Rüge aus Brüssel:Abzocke beim Autoverleih

Autovermietungen am Münchner Flughafen, 2010

Warum also soll jemand den doppelten Preis bezahlen, nur weil er einen Mietwagen in Großbritannien von Deutschland aus bestellt? Autovermieter stehen - wie hier am Münchner Flughafen - in der Kritik.

(Foto: lok)

Der Wohnsitz entscheidet über den Preis: Die EU-Kommission geht gegen Autovermieter vor, die für die gleiche Leistung unterschiedliche Tarife verlangen. Nicht alle Unternehmen haben Lust zu kooperieren.

Von Michael Kuntz

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Diese Erkenntnis des Lyrikers Matthias Claudius gilt mitunter bereits vor einer Reise. Dann zum Beispiel, wenn sich jemand online einen Leihwagen für ein EU-Land bestellt. Einige Autovermieter ermitteln anhand der Computeradresse den Standort des Kunden, oder sie fordern die Eingabe des Heimatlandes. Die Unternehmen verlangen dann verschieden hohe Preise, je nachdem woher der Kunde kommt. Für Verbraucher aus Deutschland konnte dieses Vorgehen mehrerer Autovermieter kostspielig werden.

"Bei einem Kunden aus Deutschland stieg der angegebene Preis für die Anmietung eines Fahrzeuges im Vereinigten Königreich um hundert Prozent, nachdem er sein Wohnsitzland eingegeben hat", stellte die EU-Kommission fest.

Es handelt sich um keinen Einzelfall, dieses Abkassieren hat System: "Die Preisunterschiede zwischen den verschiedenen länderspezifischen Internetseiten ein und derselben Autovermietung können erheblich sein." Gegen diese offenbar gängige Praxis geht die EU jetzt vor. Für die Behörde in Brüssel ist das ein klarer Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie. Die verbietet es, die Höhe von Preisen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz von Verbrauchern festzulegen.

Erich Sixt: Hier haben die EU-Bürokraten etwas Vernünftiges beschlossen

Warum also soll jemand den doppelten Preis bezahlen müssen, nur weil er einen Mietwagen in Großbritannien von Deutschland aus bestellt? Oft werde die gleiche Dienstleistung am selben Standort und von demselben Anbieter erbracht, beobachtete die EU. "Die Kosten für die Erbringung solcher Dienste dürften sich daher nicht aufgrund des Wohnsitzes des Kunden erheblich unterscheiden." Eine unterschiedliche Behandlung von Verbrauchern aus verschiedenen EU-Ländern sei somit nicht gerechtfertigt.

EU-Generaldirektor Jonathan Faull forderte sechs führende Mietauto-Firmen schriftlich auf, die geschilderte Praxis bei sich zu überprüfen. Die Unternehmen reagierten sehr verschieden, teilt die EU mit: "Sixt, Enterprise und Goldcar antworteten zufriedenstellend, Europcar, Hertz und Avis nicht zufriedenstellend."

Ein automatisches Rerouting nach Identifizierung der IP-Adresse sei von seinem Unternehmen nie betrieben worden, versichert Erich Sixt. "Das war nie unsere Politik", so der Vorstandschef und Großaktionär der Sixt SE am Dienstag bei der Vorlage des Halbjahresergebnisses, das im Branchenvergleich sehr positiv ausfiel.

"Eine Diskriminierung aufgrund von IP-Nummern finden wir nicht fair gegenüber den Kunden", sagt Sixt und setzt noch eins drauf: "Wir wollen ja, dass Konsumenten uns treu bleiben, wir wollen sie nicht über den Tisch ziehen." Er sei nicht in Ordnung, wenn ein Kunde für seine deutsche IP-Adresse bestraft wird - und dafür, dass er ein höheres Durchschnittseinkommen hat als zum Beispiel ein Ire.

Brüssel setzt den Unternehmen eine Frist

Sixt, der oft und gern über Europas Bürokratie klagt, lobt diesmal ausdrücklich das Vorgehen der europäischen Verbraucherschutz-Behörde: "Hier hatte die EU-Kommission einen lichten Moment, und sie hat etwas Vernünftiges beschlossen." Schließlich diene es dem Wettbewerb, wenn die Konkurrenz jetzt gezwungen wird, nicht länger gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen. Sixt: "Das ist eigentlich ein Wettbewerbsvorteil für uns. Wir haben das ja nie gemacht, und die Konkurrenz hat bisher davon profitiert. Das wird ihr jetzt genommen."

Anders reagiert Avis. Man gehe "nach bestem Wissen mit den einschlägigen Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie unserer Branche konform", teilt ein Sprecher mit. Avis habe den EU-Generaldirektor bereits "zweimal eingeladen, den Sachverhalt direkt zu diskutieren, sodass wir die Vorwürfe im Detail besser nachvollziehen können". Klingt nicht gerade nach einem Eingeständnis unseriöser Praktiken. "Momentan warten wir auf weitere Informationen des Generaldirektors."

Europcar hüllt sich in Schweigen

Auch der Wettbewerber Hertz zeigt sich auf SZ-Anfrage über die öffentlichen Vorwürfe der EU "sehr überrascht, da das Unternehmen bereits zuvor die Kommission darüber informiert hat, den Verpflichtungen der Dienstleistungsrichtlinie entsprechend zu handeln". Für die entsprechende Umstellung der Computersysteme benötige man nun vier bis sechs Wochen.

Der Autovermieter Europcar hüllt sich bislang in Schweigen, was das brisante Thema angeht, obwohl er im Schreiben der EU namentlich genannt wird.

Europa ist für die Autovermieter ein wichtiger Markt. Sixt macht 40 Prozent seines Umsatzes mit Mietwagen im Ausland und wächst hier deutlich schneller als in Deutschland, wo er der Marktführer ist. In Europa konnte Sixt eigenen Angaben zufolge im vorigen Jahr den amerikanischen Konkurrenten Hertz von Platz drei verdrängen. Vorne liegt mit Abstand Europcar, gefolgt von Avis.

Fast alle Autovermieter gehören Finanzinvestoren, nur Erich Sixt hält die Mehrheit der Sixt SE. "Gemessen an der Profitabilität und der Innovationsstärke sind wir längst der Marktführer in Europa", sagt Sixt unter Hinweis auf fast elf Prozent Rendite. Immerhin konnte er den Marktanteil seit 2006 verdoppeln. Europa ist nach Nordamerika der zweitgrößte Markt für die Autovermieter weltweit.

Die EU hat den Autovermietern Europcar, Hertz und Avis eine Frist bis Ende August gesetzt, auf den Vorwurf der Diskriminierung bei Online-Buchungen angemessen zu reagieren. Sollte dies nicht geschehen, droht Brüssel mit "notwendigen Maßnahmen, damit der Binnenmarkt für Verbraucher und Mietwagenunternehmen Wirklichkeit wird". Kommissar Michel Barnier: "Der Binnenmarkt soll nicht nur Realität für die großen Unternehmen sein."

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