Rassismus in den USA:Wenn alle schweigen, gedeiht die Angst

Ferguson USA Rassismus

In dem Ort Ferguson sind Schwarze zwar in der Mehrheit, werden aber dennoch von einer hauptsächlich weißen Polizei kontrolliert.

(Foto: REUTERS)

Unter all den Trennlinien, die Amerika durchziehen, ist die der Hautfarbe die empfindlichste. Schwarze und Weiße in den USA haben Mühe, offen miteinander zu reden. Meist tun sie es erst, wenn jemand erschossen wurde. Selbst Präsident Obama hat angesichts der Ereignisse in Ferguson eine merkwürdige Sprachlosigkeit erfasst.

Kommentar von Nicolas Richter

Ist der weiße Polizist Darren Wilson ein Rassist, weil er den Schwarzen Michael Brown erschossen hat? Für ein Strafverfahren ist es nicht entscheidend: Ein Gericht könnte Wilson allein deshalb verurteilen, weil er ohne Not getötet hat. Ob Wilson in gleicher Lage auch einen Weißen erschossen hätte, weiß er vielleicht nicht einmal selbst, und die Welt wird es wohl nie erfahren.

Trotzdem hat sich die US-Öffentlichkeit eine Meinung gebildet, oder eher: die beiden Öffentlichkeiten. 80 Prozent der Schwarzen glauben, der Todesfall in Ferguson habe mit Hautfarbe zu tun. Nur 37 Prozent der Weißen sind dieser Meinung. Auch 50 Jahre nach Ende der Rassentrennung denken und fühlen beide Gruppen getrennt, beeinflusst von verschiedenen Wahrnehmungen und Erfahrungen. Unter all den feinen Trennlinien, die Amerika durchziehen, bleibt Hautfarbe die empfindlichste.

Die USA sind ein mehrheitlich weißes, von Weißen gesteuertes Land. Die Schwarzen sind in der Minderheit. In dem Ort Ferguson sind sie zwar in der Mehrheit, werden aber dennoch von einer martialischen weißen Polizei kontrolliert. Viele Schwarze quälen sich mit der Frage, wie sie sich mit den Weißen arrangieren sollen: Müssen sie besonders selbstbeherrscht auftreten, um die Weißen nicht zu erschrecken, und werden sie dadurch sogar "zu weiß"? Viele Weiße wiederum halten Schwarze allgemein für unzuverlässig bis gefährlich und geraten in Panik, wenn sie abends einem Schwarzen im Kapuzenpulli begegnen. Das ist teils Rassismus, teils Ignoranz, teils auch Klischee aus der Popkultur.

Furcht vor dem Mann im Hoodie

Im Land der einstigen Sklavenhaltung hat sich der Rassismus durchaus gehalten, wenn auch subtiler als einst. Aber er erklärt nicht alle Probleme, mit denen viele Schwarze in Amerika leben müssen. Die USA müssten darüber mehr debattieren, aber zu oft herrscht Schweigen. Schwarz und Weiß haben Mühe, offen miteinander zu reden. Meist tun sie es erst, wenn jemand erschossen wurde, und dann mit großen Emotionen und polemischen Diskutanten auf beiden Seiten.

Rechte Weiße behaupten oft, die Schwarzen hätten längst gleiche Rechte, und man dürfe sich ja wohl vor einem Mann im Hoodie fürchten, wenn man das Ausmaß schwarzer Kriminalität in den Großstädten bedenke. Das ist Unsinn. Es stimmt, dass überdurchschnittlich viele Schwarze Tötungsdelikte begehen, aber meist sind auch Schwarze die Opfer. Das Verbrechen gedeiht in Vierteln mit miserablen Schulen und miserablen Chancen, dem Elend zu entkommen.

Viele Weiße ignorieren (böswillig), dass der amerikanische Traum vielen Schwarzen schon wegen ihrer Hautfarbe verwehrt ist. Schwarze werden härter bestraft, sie sitzen öfter und länger in Haft wegen Besitzes von Marihuana, obwohl sie nicht mehr davon rauchen als Weiße. Der Zorn in Ferguson richtet sich gegen eine staatliche Härte, die die meisten Weißen nie erleben. Die Schwarzen ahnen hingegen, dass sie oder ihre Kinder die nächsten Opfer einer schnell schießenden Polizei sein könnten.

Schwadronieren vom "umgekehrten Rassismus"

Unsinnig ist aber auch der Vorwurf schwarzer Aktivisten, das Land sei so rassistisch wie einst. Manche Schwarze neigen dazu, "den Weißen" die Schuld an eigenen Fehlern zu geben, und sie leugnen echte Fortschritte: Millionen Schwarze sind in die Mittelschicht aufgestiegen, an der Spitze des Landes stehen ein schwarzer Präsident und ein schwarzer Justizminister, der in Ferguson und anderswo die Exzesse weißer Polizisten untersuchen und verfolgen lässt. Doch trotz aller Erfolge muss der Staat die Schwarzen fördern, etwa durch die affirmative action, die Bevorzugung an Universitäten. Jene Weißen, die darin "umgekehrten Rassismus" sehen, verkennen (böswillig) das Ausmaß vererbter Ungerechtigkeit.

Oft entladen sich die Spannungen so unkontrolliert, weil im Alltag so viel geschwiegen wird. Manche Schwarze halten weiße Kollegen für unsensibel und voll dummer Vorurteile, behalten ihren Ärger aus Angst vor Verwerfungen aber lieber für sich. Manche Weiße stören sich an staatlichen Hilfen für Schwarze, schweigen aber ebenso, weil sie nicht als Rassisten gelten möchten.

Diese Sprachlosigkeit hat nun ausgerechnet den Präsidenten erfasst, der einst so brillant über Hautfarbe redete. Barack Obama hat den Schwarzen meist mehr Symbolik geboten als Substanz, wirtschaftlich geht es ihnen heute sogar schlechter als vor seiner Präsidentschaft. Nun geht auch noch die Symbolik verloren: Statt in Ferguson zu reden, hat sich Obama still entwunden. Aber Schweigen bringt Schwarze und Weiße einander nicht näher. Wenn alle schweigen, gedeiht die Angst voreinander. Diese Angst kann manchmal tödlich sein, vielleicht war sie auch tödlich für Michael Brown.

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