Nach Tsunami vermisste Kinder gefunden:Wunder, Teil zwei

Nach Tsunami vermisste Kinder

Eine glücklich wiedervereinte Familie? Das Bild zeigt den kleinen jungen Arif (re.) mit seiner Mutter Jamaliah, deren Mann, Sohn Jumadi und Raudhatul (v. re.).

(Foto: AFP)

Knapp zehn Jahre nach dem Tsunami in Südostasien finden indonesische Eltern nun ihren vermissten Sohn. Wenige Wochen zuvor entdeckten sie bereits ihre totgeglaubte Tochter. Doch die Geschichte scheint einen Haken zu haben.

Von Arne Perras, Singapur

Für die Eltern ist ein größeres Glück kaum vorstellbar. Da sind zwei ihrer Kinder seit fast zehn Jahren verschollen. Und plötzlich tauchen sie, innerhalb weniger Tage, beide wieder auf. Frau Jamaliah, die Mutter aus Aceh, und ihr Ehemann Septi Rangkuti, glauben beide fest an ein Wunder. Sie versetzten die Welt in Staunen, als sie kürzlich berichteten, dass ihre verschollene Tochter Raudhatul zehn Jahre nach dem Tsunami wieder aufgetaucht sei. Das aber ist noch nicht alles. Denn nun soll auch der verlorene Sohn wieder da sein. So kommen aus Aceh also Bilder einer strahlenden vereinten Familie, die das alles noch kaum fassen kann.

"Ich konnte sie damals im Wasser nicht mehr halten, die Strömung riss sie beide davon." So erinnert sich Vater Septi Rangkuti an den Moment, als ihm damals der Tsunami Tochter und Sohn entriss. Die beiden Kinder klammerten sich an einem Holzstück fest und trieben davon. Das war am 26. Dezember 2004. Damals kamen 230 000 Menschen in Südostasien um, die meisten im Norden Sumatras, wo auch die Eltern des Mädchens Raudhatul und des Jungen Arif lebten. Nichts deutete darauf hin, dass die Kinder, die damals vier und sieben Jahre alt waren, überlebt hatten. Das Ehepaar suchte überall nach ihnen, vergebens.

Doch dann, fast zehn Jahre später, findet der Bruder der Mutter in seinem Ort Susoh plötzlich ein Mädchen, das ihn an die kleine Raudhatul von damals erinnert, die verlorene Tochter seiner Schwester. Er bringt die beiden zusammen. Und die Mutter ist sich sicher: Das ist ihre vermisste Tochter.

So hat das sogenannte indonesische Wunder von Aceh seinen Anfang genommen, und nun scheint es vollkommen zu sein, nachdem dieser Junge auch noch aufgetaucht ist. Oder ist vielleicht doch alles ganz anders in diesem Fall?

Ein Wunder mit Zweifeln

Was das Mädchen betrifft, so bleiben jedenfalls Zweifel, wie SZ-Recherchen in Aceh ergaben. Denn der Mann, der das Kind nach dem Tsunami von einer entlegenen Insel aufs Festland brachte, behauptet, dass das Mädchen zwar ein Waisenkind, aber seine Nichte und nicht die Tochter von Frau Jamaliah sei. Seither gibt es Streit. Und die 14-Jährige spricht selbst kaum. Ein DNA-Test könnte alle Fragen klären, doch ob es ihn geben wird, ist unklar, denn das Labor ist teuer und die Familie ist arm.

Und wie tauchte nun der verloren geglaubte Sohn wieder auf? Das alles hätten sie dem Fernsehen zu verdanken, erzählt die Mutter Jamaliah am Mittwoch am Telefon. Und sie erzählt das so: In einem Ort namens Paya Kumbuh, in den Bergen Westsumatras, lebt eine Frau namens Lana Bestari, die mit ihrem Mann ein Internet-Café betreibt. Eines Tages finden sie vor ihrer Tür einen obdachlosen Jungen. Er ist verletzt und er braucht neue Kleider. Sie kümmern sich um ihn, sie geben ihm zu essen, und er darf unter dem Dach ihres Cafés schlafen, so oft er das möchte. Sie nennen ihn Ucok. Er zieht ohne Eltern umher, schläft mal hier, mal dort. Ucok hat eine große Narbe auf dem Kopf. Eine alte Frau habe ihm als Kind einmal heißes Wasser über den Kopf geschüttet, erzählt er.

Dann sieht Lana Bestari die Berichte im Fernsehen über die Mutter Jamaliah, die ihre verlorene Tochter angeblich wieder gefunden hat. Dabei zeigt das Fernsehen auch ein altes Foto vor dem Tsunami, auf dem das kleine Mädchen mit ihrem Bruder Arif zu sehen ist. Frau Bestari will es kaum glauben, aber der Junge auf dem Bild sieht dem obdachlosen Waisen, der manchmal vorbeikommt, sehr ähnlich. Sie fotografiert die Mutter vom Fernseher ab, sie sucht Ucok und zeigt ihm das Bild von Frau Jamaliah. "Das ist meine Mutter", ruft der Junge. So finden sie, mit Hilfe des Fernsehens, schließlich zueinander.

Auch der Junge hat, wie das Mädchen, bislang nicht viel gesprochen. Aber die Mutter behauptet, dass er sich noch daran erinnere, wie ihn sein Vater damals, an jenem 26. Dezember 2004, im Wasser auf das Holz hob, wie er mit seiner Schwester fortgeschwemmt wurde. Irgendwann habe sie dann ein Fischerboot aus den Wellen gerettet. So will es die Mutter Jamaliah von dem 17-Jährigen jetzt erfahren haben.

Kann das der Junge auch selbst bestätigen? Noch sei er nicht bereit für ein Telefonat, sagt die Mutter. Vielleicht morgen. Sie müssten das Wunder jetzt alle erst einmal verkraften.

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