Hilfsprojekt:Projekt Hoffnung

Schüler der Rudolf-Steiner-Schule in München sanieren in Rumänien ein ganzes Dorf und bekämpfen die Vorurteile gegenüber Roma. Die Initiative des Lehrers Walter Kraus aus Dachau wird jetzt mit einem Preis ausgezeichnet

Von Helmut Zeller, Dachau

Schüler der Rudolf-Steiner-Schule in München und ihr Lehrer Walter Kraus aus Dachau setzen ein Zeichen für einen humanen Umgang mit den unwillkommenen EU-Bürgern in Mittel- und Südosteuropa. In vielen Ländern sind die Roma Opfer rassistischer Verfolgung - dagegen engagieren sich die Jugendlichen seit Jahren und arbeiten an der Verbesserung der Lebensverhältnisse rumänischer Roma-Familien. Der 53 Jahre alte Mathematik- und Physiklehrer Walter Kraus ist der Kopf dieses leuchtenden Projekts in dem sonst finsteren Alltag der Roma auch in Deutschland. Gerade in München, der Heimatstadt der Rudolf-Steiner-Schüler. Stadt und Verkehrsbetriebe wollen Bettler aus Bulgarien, Rumänien und der Slowakei vertreiben. Eine Lautsprecherstimme fordert in S-Bahnen die Fahrgäste auf, kein Geld zu geben. Die Vertreibung der Bettler löst das Problem der Armut nicht - davon ist Walter Kraus überzeugt. Seine Initiative wird jetzt mit dem "Helferherzen"-Preis ausgezeichnet.

700 Juroren wählten bundesweit mehr als 1100 Initiativen aus, die mit einer Gesamtsumme von 1,1 Millionen Euro unterstützt werden. Die Auszeichnung wird vom dm-Drogeriemarkt, dem Naturschutzbund Deutschland, dem Bundesverband Kinderschutzbund und der Deutschen Unesco-Kommission verliehen. "Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung, die ganz besonders das ehrenamtliche Engagement der Schüler würdigt", sagte Kraus der SZ. Seit 2002 reisen jedes Jahr durchschnittlich 16 Schüler der 11. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule in Schwabing für drei Wochen in das rumänische Dorf Rosia. Sie opfern dafür eine Woche Ferien. In der Hans-Spalinger-Waldorfschule für Roma werden 80 Kinder unterrichtet, die im rumänischen Bildungssystem keine Chance hätten. Drei Wochen lang renovieren die Schüler Ein-Zimmer-Wohnhäuser, arbeiten am Schulgebäude oder im Kindergarten und auf den Sportstätten, die beide von der Initiative aufgebaut wurden. Kraus und die 17-jährigen Jugendlichen haben auch einen Zirkus in das Dorf gebracht - für Kinder von Roma und Nicht-Roma. Die Idee dahinter: Feindbilder und Spannungen zwischen den beiden Gruppen abzubauen. Denn die ungefähr 1200 Roma sind in Rosia nicht gerade gerne gesehen, wie Kraus erklärt.

Hilfsprojekt: Die Schüler der Rudolf-Steiner-Schule streichen streichen die Wände der Häuser und reparieren marode Dächer.

Die Schüler der Rudolf-Steiner-Schule streichen streichen die Wände der Häuser und reparieren marode Dächer.

(Foto: oh)

Nicht nur dort: Die Roma sind mit zehn bis zwölf Millionen Angehörigen die größte Minderheit in Europa - und Opfer von Diskriminierung, sozialer Ausgrenzung und Armut. Jeder dritte ist arbeitslos, 20 Prozent haben keine Krankenversicherung und 90 Prozent leben unterhalb der nationalen Armutsgrenze, wie die EU-Agentur für Grundrechte 2011 in einer Studie festhielt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet, dass Roma häufig Opfer von Zwangsräumungen, behördlichen Schikanen und gewalttätigen Angriffen sind. 2008 wurden in Griechenland an 54 Prozent der Roma Gewaltverbrechen verübt, Frankreich hat bereits unter der Regierung Nicolas Sarkozys Tausende zur Ausreise gedrängt. Und die Vertreibung geht weiter.

In Deutschland leben etwa einhunderttausend Roma - und müssen wachsenden Ressentiments ertragen. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, bezeichnete jüngst die von der CSU angestoßene Debatte über die angebliche Armutszuwanderung in die deutschen Sozialsysteme als "unerträglich und beschämend". Die Realität sieht nämlich anders aus: Die Menschen kommen nicht etwa nach München, um Sozialleistungen einzustreichen, der Arbeitsmarkt braucht sie. Viele Roma arbeiten in Deutschland und zahlen in die Sozialversicherungssysteme ein. Von knapp 74 000 Menschen, die in München Ende August 2013 Hartz-IV-Leistungen bezogen, waren 177 Bulgaren und 634 Rumänen.

Hilfsprojekt: Unter der Leitung des Pädagogen Walter Kraus kommt das Projekt voran.

Unter der Leitung des Pädagogen Walter Kraus kommt das Projekt voran.

(Foto: oh)

Doch gerade die Stadt München geht jetzt harsch gegen Roma vor. Sie will die Bettelbanden aus Südosteuropa und der Slowakei vertreiben, den Betroffenen drohen sogar Haftstrafen. Gleichzeitig starteten Deutsche Bahn, MVV und MVG eine Kampagne gegen das Betteln in S-Bahn, Bussen und U-Bahnen. Dachau zum Beispiel sieht für einen derartigen Umgang mit den Bettlern keinen Anlass, auch wenn sie organisierten Banden angehören und den Großteil des erbettelten Geldes an Hintermänner abgeben müssen. "Diese Menschen leben in entsetzlicher Armut", sagt Josef Hermann, Hauptamtsleiter der Stadt Dachau. Auch Pädagoge Kraus hält von der Jagd auf Bettler nichts. Da gehe es wohl nur darum, die Armut aus dem Blickfeld der Münchner zu verbannen. Kraus und seine Schüler wollen die Probleme an der Wurzel packen - in den Heimatländern der Roma gegen deren Armut angehen und Vorurteile abbauen.

Dazu starteten sie in diesem Jahr ein neues Projekt: Ganz Rosia wird saniert und sowohl für die Roma als auch Nicht-Roma (ungefähr 1700) sollen Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Schüler führten zunächst Interviews mit den Bewohnern und erkundeten die Sozialstruktur des Dorfes. Sie entwarfen eine Karte mit allen Funktionen des Dorfes, zeichneten die Grundrisse der kleinen und teils baufälligen Wohnhäuser und deren Gärten, listeten Probleme der Infrastruktur, hygienische Mängel und den Zustand von Straßen und Bächen auf. Die Jugendlichen wollen nun die Wände und Dächer aller Häuser reparieren und die Wohnungen mit Frischwasserleitungen und elektrischem Strom versorgen. Geplant ist der Bau eines Abwasserkanals, einer Kläranlage und die Sanierung der Dorfstraße und des Dorfplatzes.

Hilfsprojekt: Die Roma-Familien leben in meist baufälligen Ein-Zimmer-Wohnhäusern.

Die Roma-Familien leben in meist baufälligen Ein-Zimmer-Wohnhäusern.

(Foto: oh)

Das Projekt soll beide Bevölkerungsgruppen zusammenführen. Es hilft aber auch, wie der Lehrer Kraus sagt, soziales Wahrnehmen, Urteilen und Handeln der Schüler weiterzuentwickeln und zu schärfen. Walter Kraus selbst hat das in seinem Dachauer Elternhaus gelernt: Seine Mutter Rose Kraus ist die langjährige Vorsitzende des Arbeitskreises Asyl und hilft den Flüchtlingen in Dachau. Sie unterstützt das Projekt ihres Sohnes mit einer Weihnachtspaketaktion für Rosia und drei benachbarte Dörfer. Viele Dachauer Schulen beteiligen sich daran, auch Privatleute unterstützen das Projekt der Münchner Schüler und des 2007 gegründeten Vereins "Pro Rosia".

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