Expansion einer Kultbrauerei:Es gärt im Tegernseer Tal

Expansion einer Kultbrauerei: Das zweite große Kultbier - neben dem Münchner Augustiner: Regionale Brauereien wie das Tegernseer Bräuhaus boomen.

Das zweite große Kultbier - neben dem Münchner Augustiner: Regionale Brauereien wie das Tegernseer Bräuhaus boomen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Weil so viele Menschen ihr Bier wollen, expandiert die Tegernseer Brauerei. Die Anwohner sagen: rücksichtslos. Rundreise um einen See, an dem man fürchtet, dass der Erfolg eines Kultgetränks die Heimat zerstört.

Von Jan Stremmel

Johannes von Miller will das Bier seiner Heimat nicht mehr mögen. Die Familie von Johannes von Miller lebt seit hundert Jahren in Bad Wiessee am Tegernsee. Der 52-Jährige kennt und schätzt das Bier noch aus der Zeit, als kaum jemand außerhalb des Landkreises die Flaschen mit dem weißblauen Etikett überhaupt je in der Hand gehalten hatte. Es wurde gebraut und abgefüllt im ehemaligen Benediktinerkloster, direkt auf der anderen Seeseite. Wenn er die Augen zusammenkneift, kann er die zwei weißen Türme von seiner Terrasse aus sehen.

Das Klostergebäude ist zur Hälfte Brauerei, zur Hälfte Gymnasium. Manchmal, erinnert sich Miller, waren die Kästen im Innenhof so hoch gestapelt, dass man sich aus dem Fenster des Klassenzimmers ein Bier aus dem Träger angeln konnte. Irgendwann ließ die Brauerei dann im Sommer über die Lokalzeitungen ausrichten, die Menschen mögen bitte ihr Leergut zurückbringen - man habe nichts mehr, worin man das Bier füllen könne. Damit fing es an. Vor zwei Jahren bauten sie dann den sandfarbenen Koloss. Und Miller beschloss, das Bier nicht mehr mögen zu wollen.

Er trinkt nur noch das Bier der Konkurrenz

Fast alle hier waren früher mal stolz auf das Bier: Die Gemeinderätin am Nordufer des Sees, 30 Jahre lang Stammgast im Bräustüberl, seit vier Jahren erbitterte Gegnerin. "Weil die expandieren, dass es entsetzlich ist!"

Stolz war auch die Umweltschützerin vom Südufer, die sich freute, dass "offenbar jeder dieses Bier trinken will" - und dann sah, wie die Brauerei "systematisch Bürgerbegehren torpedierte", wie ein CSU-Landrat hektarweise Wiesen aus dem Landschaftsschutzgebiet riss und den Biermachern als Baufläche anbot. "Warum müssen die denn unbedingt mehr produzieren?", fragt die Frau. "Die Engpässe erhöhen doch gerade die Lust!"

Und stolz aufs Bier war auch der Stadtrat in Miesbach. Eines Tages sah er aus dem Autofenster, "wie die dieses eklige Betonbauwerk da mitten in die Kulturlandschaft hineinwurschteln". Seitdem verbringt er seinen Ruhestand damit, Petitionen und Klagen zu verfassen, um den weiteren Ausbau seiner Heimat zu verhindern. Er trinkt nur noch das Bier der Konkurrenz aus Miesbach.

Der Denkmalschutz ist streng

Man kann zwei Tage um den See fahren und Dutzende Menschen treffen, die Ähnliches sagen, auch gerne in drastischeren Worten als Miller. Immer wieder fallen die Begriffe "Profitgier", "Wachstum um jeden Preis" und "CSU-Filz".

Die Wut der Menschen im Tegernseer Tal speist sich aus der erstaunlichen Karriere eines Bieres, das jahrzehntelang nur rund um diesen kleinen grelltürkisfarbenen See getrunken wurde. Irgendwann nach der Jahrtausendwende tauchte das Tegernseer Hell in Münchner Clubs auf. Das erste Helle in 0,33-Liter-Fläschchen. Die Flaschen machten bayerisches Bier erstmals komplett kalt trinkbar und brachten den Wirten mehr Umsatz. Heute bekommt man sie in fast jedem Spätkauf in Hamburg, in Kölner Büdchen und Kreuzberger Kneipen. Seitdem rüstet die Brauerei auf.

Neue Abfüllanlage mitten im Schutzgebiet

Sie lässt den Standort im Kloster ausbauen. Allein in diesem Jahr ist geplant: Die Aufstockung des Brauereigebäudes um 1,30 Meter; eine neue Fahrspur für Tanklaster; eine neue Lagerhalle; bis zu 15 Gärsilos im Innenhof. Aber der Denkmalschutz ist streng, viel mehr lässt sich im Kloster nicht machen. Also hat die Brauerei vor zwei Jahren den Koloss auf die Wiese gestellt. Eine neue Abfüllanlage, auf drei Hektar, mitten ins Schutzgebiet. In diesem Jahr wird die Anlage in der Fläche noch mal verdoppelt.

Die Gegner der Expansion werfen der Brauerei Gier und Arroganz vor - den Ausverkauf ihrer Heimat, der mit den Bauprojekten rund um den Tegernsee ohnehin seit Jahren erstaunliche Blüten treibt. Der Landrat, der das Bauprojekt abgesegnet hat, argumentiert, er müsse sich um Arbeitsplätze in der Region kümmern - und man könne ja keine "Käseglocke" übers Tal stülpen.

Einer der Gegner der Brauerei hat nun eine Petition beim Europaparlament eingereicht. Sie beruft sich auf die "Alpenkonvention", einen alten Völkerrechtsvertrag zum Schutz der Berge. Vor ein paar Wochen hat das EU-Parlament sich bei den Brauerei-Gegnern im Tegernseer Tal gemeldet: Die Petition ist zugelassen. Der Kampf geht weiter.

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