Image-Problem der Altenpflege:"Wenige Berufe sind so sinnstiftend"

Der Bedarf an Altenpflegern steigt, aber kaum jemand will Pfleger werden. Schuld sind schlechte Bezahlung und wenig Karrierechancen. Pflegeforscher Stefan Görres erklärt, wie die Altenpflege ihr Image aufpolieren könnte.

Von Miriam Hoffmeyer

Altenpflege gilt nicht gerade als Traumberuf. Auch deshalb werden laut Studien in 20 Jahren etwa eine halbe Million Mitarbeiter in der Pflege fehlen. Stefan Görres, Leiter des Instituts für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen, hat untersucht, warum sich das Urinkellner-Image so hartnäckig hält. Er setzt auf eine stärkere Professionalisierung des Berufs.

SZ: Warum hat die Altenpflege so ein schlechtes Image?

Görres: Pflegeberufe sind in Deutschland allgemein nicht gut angesehen. Aber während die Krankenpflege noch von der Nähe zur Medizin profitiert, steht die Altenpflege in der Hierarchie ganz unten. Alter ist in unserer Gesellschaft per se negativ besetzt und wird sehr stark mit Krankheit, Tod und Sterben assoziiert - auch wenn sich dieses Bild wegen der großen Zahl fitter und wohlhabender Senioren langsam zu ändern beginnt. Dazu kommt, dass es immer mal wieder Skandale um schlecht geführte Heime gibt. Das wird dann verallgemeinert, und Altenpfleger, die täglich ihr Bestes geben, fühlen sich skandalisiert.

Entscheiden sich deshalb so wenige Schulabgänger für den Beruf?

Ja, wir haben für eine Studie Schüler, Lehrer und Eltern befragt und festgestellt, dass das schlechte Image sehr abschreckend wirkt. Die Lehrer könnten mehr für den Beruf werben und zum Beispiel auch Schulpraktika in Seniorenheimen vermitteln, aber die wenigsten tun das. Und viele Eltern, die ja einen großen Einfluss auf die Berufsentscheidung haben, raten ihren Kindern ausdrücklich von der Altenpflege ab. Sie finden Bezahlung und Karrierechancen zu schlecht.

Das stimmt ja auch, oder?

Ja, leider. Eines hat sich aber schon verbessert. Früher hatten fast alle Heimleiter einen Abschluss in Sozialarbeit oder Betriebswirtschaft, heute steigen mehr Altenpfleger in solche Positionen auf. Um die Karrierechancen zu verbessern, muss der Beruf weiter professionalisiert werden. Wir brauchen mehr Studiengänge in Altenpflege. Bessere Qualifikationsmöglichkeiten wirken sich direkt auf die gesellschaftliche Wertschätzung von Berufen aus.

Wo sollen denn die Altenpflege-Bachelors eigentlich arbeiten?

Es gibt nicht nur Chancen in der Heimleitung, sondern auch im ambulanten Bereich. Die Bachelors können zum Beispiel als Berater in Pflegestützpunkten arbeiten, Gutachten für die Medizinischen Dienste der Krankenkassen schreiben, Kommunen bei der Konzeption von Angeboten beraten. In Zukunft könnten sie sogar in Unternehmen Tagesbetreuungen für Angehörige von Mitarbeitern aufbauen. In unserer alternden Gesellschaft wird der Bedarf an hochqualifizierten Altenpflegern steigen.

Altenpfleger scheiden oft nach einigen Jahren wieder aus dem Beruf aus und verstärken damit den Mangel. Warum?

Die körperliche und psychische Belastung ist sehr hoch, in den letzten Jahren hat sich die Arbeit immer weiter verdichtet. Die Dokumentationspflichten verschlingen viel Zeit. Und viele Altenpfleger klagen über zu wenige Gestaltungsmöglichkeiten. Nötig sind intelligente Modelle für eine bessere Work-Life-Balance. Wenn sich die Betreiber da etwas einfallen lassen, können sie die Mitarbeiter auch länger halten.

Sie haben auch Auszubildende befragt. Sind die mit ihrer Berufswahl zufrieden?

Sehr sogar. 95 Prozent haben gesagt, dass sie den Pflegeberuf wieder wählen würden. Daran sieht man, wie das schlechte Image auch auf Vorurteilen von Menschen beruht, die die Praxis gar nicht kennen. Viele Auszubildende haben betont, dass ihnen die Arbeit sehr viel Spaß macht und sie gar nichts anderes mehr machen wollen. Eines steht fest: Es gibt nur wenige andere Berufe, die so sinnstiftend sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: