"Ice Bucket Challenge":Was Sie über das Phänomen Eiskübel wissen müssen

Melbourne Attempts World Record Ice Bucket Challenge

Teilnehmerrekord in Melbourne: Dort traten mehr als 700 Menschen gleichzeitig zur Ice Bucket Challenge an.

(Foto: Getty Images)

Ein Eimer kaltes Wasser, ein spitzer Schrei, drei Nominierungen - Tausende stellen sich für einen guten Zweck der "Ice Bucket Challenge". Was steckt hinter dem Spaß mit dem Eiswasser? Warum wird die Aktion kritisiert? Und wessen Teilnahme wird am sehnlichsten erwartet?

Fragen und Antworten zur "Ice Bucket Challenge"

Sie haben es vielleicht mitbekommen: Seit ein paar Wochen überschütten sich Menschen auf der ganzen Welt mit Eiswasser und stellen Videos davon ins Netz. Das Ganze geschieht nicht zum Spaß, natürlich nicht. Sondern für den guten Zweck - durch die Aktion sollen Spenden für die Erforschung der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, gesammelt werden.

Was es mit der Krankheit auf sich hat, wie sinnvoll die "Ice Bucket Challenge" wirklich ist und wie es nun weitergeht:

Was ist ALS?

Amyotrophe Lateralsklerose ist eine Erkrankung, die Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark angreift. Langfristig sterben die Zellen ab, die elektrische Impulse vom Gehirn in die Muskeln leiten. Die Erkrankten verlieren die Kontrolle über ihre Muskeln, es kommt zu spastischen Lähmungen. Da die Muskeln keine Befehle mehr erhalten, schwinden sie langsam, die Gliedmaßen von Betroffenen werden immer dünner. In den USA leben etwa 30 000 Personen mit ALS, in Deutschland zwischen 6000 und 7000. Die Krankheit verläuft aggressiv, die Lebenserwartung nach der Diagnose beträgt im Schnitt zwischen drei und fünf Jahren. Einer breiten Öffentlichkeit wurde die Krankheit durch Lou Gehrig bekannt. Der Baseballspieler der New York Yankees starb 1941 im Alter von nur 37 Jahren an der Krankheit. ALS wird daher auch als Lou-Gehrig-Syndrom bezeichnet.

Boxer Ezzard Charles, Basketballer George Yardly oder der Maler Jörg Immendorff: Die Liste von Prominenten, die an ALS erkrankten, ist zwar lang. Dennoch ist ALS eine seltene Erkrankung. Von 100 000 Menschen erkranken pro Jahr ein bis drei Personen an ALS.

Was sind die Ursachen für ALS?

Die Krankheit setzt meist zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr ein. Was sie auslöst, ist noch relativ unklar; vermutlich spielen genetische Faktoren eine Rolle. So wird bei 20 Prozent aller familiär gehäuften ALS-Fälle ein Gendefekt auf dem 21. Chromosom beobachtet. Zusätzlich könnten Umwelteinflüsse das Risiko für die Erkrankung erhöhen. Zwei ALS-Erkrankte haben ein Projekt gestartet, um die möglichen genetischen Ursachen genauer zu erforschen. Sie wollen das Erbgut von 15 000 ALS-Patienten durchleuchten und mit der DNA von Gesunden vergleichen. Bislang haben sie zehn Prozent der dafür nötigen Summe eingesammelt.

Wer steckt hinter der "Ice Bucket Challenge"?

Als einer der ersten, die sich im Netz mit Eiswasser übergossen haben, um auf ALS aufmerksam zu machen, gilt Corey Griffin. Der junge Mann wuchs in Hingham bei Boston auf und soll sich schon vor der "Ice Bucket Challenge" für wohltätige Zwecke engagiert haben. Wie der Boston Globe berichtet, war Griffin zum Beispiel im Vorstand eines Vereins für Benefiz-Eishockeyspiele. Griffin starb vergangene Woche im Alter von 27 Jahren in der Nähe von Boston bei einem Badeunfall. Er war am Hafen von Nantucket, Massachusetts, vom Dach eines Hauses ins Wasser gesprungen und ertrunken. Bis zu diesem Zeitpunkt soll Griffin etwa 100 000 Dollar im Kampf gegen ALS gesammelt haben.

Inspiration für die "Ice Bucket Challenge" soll Griffins Kumpel Pete Frates geliefert haben, der selbst an der unheilbaren Nervenkrankheit leidet. Der einst gefeierter Baseball-Spieler aus Boston soll die Challenge wiederum bei einem Bekannten abgeguckt haben - dem New Yorker Pat Quinn, bei dem ebenfalls ALS diagnostiziert wurde. Zusammen mit Griffin startete Frates den Spendenaufruf. So wurde die Challenge innerhalb kürzester Zeit im Bostoner Raum bekannt und breitete sich von dort in den USA und dann im Rest der Welt aus.

Wieviel Geld wurde bisher eingenommen?

Geld oder Eiswasser, das ist die Grundidee hinter der "Ice Bucket Challenge": Wer vor dem Eiskübel kneift, soll für den guten Zweck spenden. Das Prinzip wurde mittlerweile jedoch abgewandelt. Gerade prominente Nominierte machen beides - kalt duschen und spenden. Auf diese Weise sind nach Angaben der amerikanischen ALS Association (ALSA) allein in den USA 70 Millionen Dollar (Stand Sonntag) zusammengekommen. Auch in Deutschland wird eifrig gespendet. Die ALS-Ambulanz der Berliner Charité hat bereits mehr als 200 Spenden erhalten. Das Team stellte sich auch selbst der Eiswasserdusche.

Was passiert mit den Spenden?

Die ALSA, die sich um die Erforschung der Krankheit bemüht, vergibt ihre Gelder in Form von Zuschüssen an Wissenschaftler. Viele der derzeit 98 von der Organisation geförderten Projekte beschäftigen sich damit, den Verlauf der Krankheit besser zu verstehen, etwa anhand von Biomarkern. Ein israelischer Forscher will testen, ob das Protein GDNF die Nervenzellen vor dem Absterben bewahren kann. GDNF ist ein sogenannter Wachstumsfaktor für Neuronen. Auch mit Organisationen wie dem "NEALS"-Konsortium in den USA arbeitet ALSA zusammen. Dieses Netzwerk koordiniert klinische Studien zur Erforschung möglicher Medikamente. Daneben unterstützt ALSA Doktoranden, die sich mit ALS beschäftigen.

Im Vorjahreszeitraum nahm ALSA 2,5 Millionen US-Dollar Spenden ein, jetzt sind es 70 Millionen - ein enormer Schub für die Organisation. "Wir waren nie zuvor in einer besseren Position, um den Kampf gegen die Krankheit anzutreiben", schreibt ALSA in einer Pressemitteilung. Mit dem Geld wolle man weiter in die Forschung investieren, die Pflege von Kranken verbessern und verstärkt politische Lobbyarbeit für die Belange von ALS-Patienten betreiben.

Die "Ice Bucket Challenge" - ein Spendenmodell für die Zukunft?

Wer Geld gibt, sollte darauf achten, dass es sich um eine seriöse Spendenaktion handelt. Darauf weist das Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) hin. Grundsätzlich haben die Spendenexperten aber nichts gegen einen humorvollen Zugang: "Wir finden nichts Verwerfliches daran, wenn man über Spaß an eine Sache herangeführt wird", sagt DZI-Leiter Burkhard Wilke. Man könne sogar von der "Ice Bucket Challenge" lernen - nämlich, dass Spenden nicht nur über Mitleid oder negative Botschaften funktionierten.

Kopierbar sei der Erfolg der Kampagne nicht, auch sollten Organisationen es nicht krampfhaft versuchen. Social-Media-Experten betonen, dass die "Ice Bucket Challenge" auch deshalb funktioniere, weil sie organisch gewachsen sei. Die Zeitung Star Tribune aus Minnesota zitiert in ihrer Online-Ausgabe Ravi Bapna. Der Experte von der Universität Minnesota beschreibt drei Mechanismen, die bei der Spendenaktion greifen: Wer öffentlich nominiert wird, steht unter Druck, sich zu beteiligen. Durch die Videos können Teilnehmer ihren Altruismus offen zur Schau stellen. Und ganz nebenbei können sie durch eigene Nominierungen zeigen, wer ihre besten oder "coolsten" Freunde sind. Ein Erfolgsrezept, das so aber nicht leicht nachzumachen sei, auch nicht durch Marketing-Fachleute.

Wer muss noch unter den Eiskübel?

Die Amerikaner warten gerade vor allem auf eine Teilnahme Barack Obamas. Der Präsident wurde von der 86-jährigen Ethel Kennedy nominiert. Bislang hat er lediglich zugesagt, der ALS-Organisation eine Spende zu überweisen. Viele trauen Obama jedoch zu, dass er sich doch noch mit Eiswasser überschütten lässt. Manche flehen regelrecht darum, wie Jessica Roy vom New York Magazine. Die Autorin glaubt, dass sich die weltweite Ice-Bucket-Aufregung erst dann wieder lege, wenn sich Obama der Herausforderung stellt. Zuvor gebe es einfach keine Ruhe.

In Deutschland hofft wohl immer noch der eine oder andere, dass sich Angela Merkel unter den Eiskübel stellt. Doch die Chancen stehen schlecht. Merkels Sprecher Steffen Seibert hat bereits vor einigen Tagen per Twitter mitgeteilt, dass über persönliche Spenden der Bundeskanzlerin grundsätzlich nicht berichtet werde.

Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat die Nominierung durch Journalistin Anne Will angenommen. Statt sich wie von ihr gewünscht als Eisbär Knut verkleidet unter die kalte Dusche zu begeben, spendete Gabriel 1000 Euro - und verwies auf den ernsten Hintergrund.

Warum wird die Spendenaktion kritisiert?

Gabriel hat damit einen der Hauptkritikpunkte an der "Ice Bucket Challenge" angesprochen. Gegner empören sich, dass durch die Spaß-Aktion die Schwere der Krankheit trivialisiert werde. Außerdem zeige die Selbstdarstellung im Video nichts als den Narzissmus der Teilnehmer.

Auch von dem Spenden-Modell selbst sind nicht alle überzeugt: So sagt Ken Wyman, der in Toronto "Fundraising Management" lehrt, kurzfristig würden die Spenden zwar ansteigen. Nach dem Hype um die "Ice Bucket Challenge" könnte die Spendenbereitschaft jedoch für lange Zeit einbrechen, warnt er in einem Interview mit der Financial Post.

70 Millionen US-Dollar werden die Krankheit ohnehin kaum besiegen. Zum Vergleich: Alleine für die Pflege von Alzheimer-Patienten geben die USA jährlich 214 Milliarden US-Dollar aus. In die Grundlagenforschung zu Alzheimer investieren die National Institutes of Health (NIH) etwa eine halbe Milliarde US-Dollar, für Aids mehr als drei Milliarden.

Gleichzeitig werden die Spenden für andere Erkrankungen stark vernachlässigt. Zurzeit etwa für Ebola. Gerade im Westen sei das Interesse für die Bekämpfung des Virus' nicht groß genug, dabei würden Spenden dringend benötigt, zitiert die US-Seite ABC News einen Experten. Auch wegen des mangelnden Interesses hätten große Hilfsorganisationen wie das Amerikanische Rote Kreuz oder Ärzte ohne Grenzen bislang noch nicht einmal eine eigene Spendenseite für den Kampf gegen Ebola eingerichtet.

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