Schadenersatzforderung über 200 Millionen Euro:RWE verlangt die Quittung für den Atomausstieg

Das Aus für deutsche Atomkraftwerke nach der Katastrophe von Fukushima könnte Steuerzahler teuer kommen: RWE fordert 200 Millionen Euro Schadensersatz von der öffentlichen Hand - und weitere Konzerne könnten folgen.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Susanne Höll, Berlin/Frankfurt

Lange hatten Ministerpräsidenten, Minister und Beamte gegen das Atomkraftwerk im südhessischen Biblis gekämpft. Die beiden Blöcke des einst größten Atomkraftwerks der Welt waren seit vielen Jahren so umstritten wie keine andere Anlage. Doch kein Vorstoß zur Stilllegung glückte den Biblis-Gegnern - bis zum 15. März 2011.

Die Angst nach den Explosionen im japanischen Fukushima saß tief, als eine Riege deutscher Spitzenpolitiker um Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vier Tage nach der Reaktorkatastrophe im Berliner Kanzleramt einen radikalen Beschluss verkündete: Ein dreimonatiges Moratorium für Deutschlands älteste Atommeiler. Seither tobt ein erbitterter Streit zwischen Energiekonzernen und Politik über die Kosten des Atomausstiegs, für den Deutschlands zweitgrößter Energiekonzern am Montag die nächste Runde einläutete.

Es soll um rund 200 Millionen Euro gehen

Denn als erster Versorger fordert RWE wegen des Moratoriums Schadensersatz von der öffentlichen Hand. Nach Angaben aus Branchenkreisen geht es allein für die dreimonatige Auszeit um rund 200 Millionen Euro. Der Essener Energiekonzern hat eine entsprechende Klage gegen den Bund und das Land Hessen eingereicht. Begründung: Entgangene Gewinne aus der Stromproduktion der Reaktoren.

In das Zentrum des heftigen Streits zwischen Konzern und Politik rückt damit ein Papier, das die AKW-Betreiber nur Tage nach der Berliner Pressekonferenz erreichte. Die Aufsichtsbehörden in den Standortländern adressierten Briefe an RWE, Eon, Vattenfall und EnBW mit dem Betreff: "Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung". Gegen ältere Anlagen liege ein "Gefahrenverdacht" vor, erfuhren die Unternehmen. Es sei "zu überprüfen, inwieweit bisher nicht berücksichtigte Szenarien nunmehr eine neue Bewertung erfordern". Drei Monate sollte der Stillstand währen, doch er endete nie.

Den juristischen Kniff mit dem Gefahrenverdacht erfand damals Gerald Hennenhöfer, Abteilungsleiter im Bundesumweltministerium. Der Bund kann den Ländern Anweisungen erteilen, doch vollziehen müssen sie die jeweiligen Umweltministerien. Folgerichtig legten sie den Hennenhöfer-Brief ihrer eigenen Verfügung bei. Allerdings war der RWE-Konzern der einzige, der gegen die Anordnung klagte, alle anderen hielten still.

Weitere Konzerne könnten RWE folgen

Das Land Hessen wiederum wehrte sich unter anderem mit dem Argument, es habe letztlich nur vollzogen, was in Berlin entschieden worden sei - das allerdings ohne Erfolg. Im Februar 2013 gab der Verwaltungsgerichtshof in Kassel RWE Recht. So habe das Land das Unternehmen "nicht ordnungsgemäß angehört", urteilten die Kasseler Richter. Ob sich daraus ein Anspruch auf Schadensersatz ergeben kann, ließen sie offen.

In jedem Fall zeichnet sich ab, dass der Politik weitere Klagen aus der Energiebranche drohen. Denn nach den Erfolgen von RWE vor Gericht prüft auch der Düsseldorfer Konkurrent Eon eine Schadensersatzklage gegen das Moratorium. Davon waren die Meiler Unterweser in Niedersachsen Isar 1 in Bayern betroffen. Eine Klage sei aber noch nicht eingereicht worden, sagte ein Eon-Sprecher. Der Konzern habe dazu bis Ende des Jahres Zeit. In Hessen löste die seit Monaten erwartete Klage von RWE nun neuen politischen Streit zwischen der schwarz-grünen Landesregierung und der Opposition aus SPD, Linkspartei und FDP aus - aber auch zwischen Bund und Ländern. Die hessische Opposition wirft der CDU und deren früherer Umweltministerin Lucia Puttrich schwere Versäumnisse bei der Abschaltung von Biblis vor. Das Energieunternehmen hätte vor einer solchen Entscheidung angehört werden müssen. Die schwarz-grüne Landesregierung argumentiert dagegen, dass die Entscheidung damals richtig und geboten, darüber hinaus vom Bund vorgegeben worden war.

Deshalb müsse der Bund, nicht das Land Hessen für eventuelle Schadensersatzansprüche aufkommen. Der Bund allerdings sieht das ganz anders. "Der Bund hat im Verhältnis zu RWE keinerlei rechtlich relevante Handlungen vorgenommen", sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Aus Sicht der hessischen Regierung steht auch längst noch nicht fest, ob RWE überhaupt einen Anspruch auf Schadensersatz hat.

Auch Experten rätseln über die Gründe für die von RWE geforderte hohe Summe. Denn der Reaktorblock B von Biblis befand sich zu Beginn des Moratoriums bereits in Revision - und konnte gar keinen Strom produzieren. Reaktorblock A sollte einige Wochen nach Beginn dem Moratoriums für eine Wartung abgeschaltet werden. Die gesamte Anlage hätte dann ohnehin stillgestanden.

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