Nachtleben Zürich:"'S isch' mega"

RIMINI-BAR - die Freiluftbar am Schanzengraben

Raus aus der Badehose, rein in die Rimini-Bar in der Männerbadi am Schanzengraben.

(Foto: PR)

Erst im Fluss oder im See schwimmen, dann Partys feiern. Ausgehen in Zürichs historischen Freibädern ist das Beste am Sommer in einer Stadt, in der man die Nacht so zielstrebig ansteuert wie eine Bank oder ein Büro.

Von Verena Mayer, Zürich

Nachts lebt jede Stadt so, wie sie untertags funktioniert. In den hektischen Städten entlädt sich etwas, in den gemächlichen gleitet man, sobald es dunkel wird, langsam in einen anderen Zustand hinüber. Und dann gibt es die geschäftigen Städte, in denen sich das Nachtleben zu den Nachtleben-Geschäftszeiten abspielt, Freitagabend bis Samstag letzter Nachtbus. Zürich ist eine solche Stadt. Allein die Bezeichnung, die man hier dafür hat, sich die Nacht um die Ohren zu schlagen: Man geht nicht feiern oder Party machen, sondern "in den Ausgang". Als würde man durch eine Tür in die Nacht steuern, so zielstrebig, wie man eine Bank oder ein Büro betritt.

Zürich im Ausgang, das beginnt pünktlich Freitagabend. Am Central, dem Platz gegenüber dem Hauptbahnhof, setzt sich die Masse in Bewegung, junge Leute, die Frauen aufgebrezelt, die Männer in lärmenden Gruppen. Sie strömen an der Limmat entlang, zu den Restaurants und Kinos, biegen ab in die engen Gässchen des Niederdorfs, wo die Bars und Kneipen sind. Dazwischen stehen ein paar Prostituierte herum, von 19 bis 5 Uhr, so schreibt es die Stadt vor. Selbst das Verruchte folgt in Zürich den Geschäftszeiten.

Die hippere Szene drängt sich indessen mit derselben Vorhersehbarkeit durch die Langstraße, wo sich schicke Galerien und Cafés mit Billig-Shops, Asia-Imbissen und alten Spelunken abwechseln, und hin und wieder stolpern ein paar Junkies vorbei. Und dann gibt es noch den angesagten Kreis 5, das frühere Industrieviertel mit seinem markanten neuen Hochhausturm Prime Tower. Hier sind die Jugendlichen aus den Vororten unterwegs, Woche für Woche, es ist immer dasselbe Ritual. Vorglühen rund um den Bahnhof Hardbrücke, dann abstürzen in den Großraumclubs. Sonntag um drei, vier Uhr morgens ist das Nachtleben dann ebenso pünktlich zu Ende, wie es angefangen hat. Still und leer liegen die Zürcher Straßen da, die Betrunkenen sind heimgetorkelt, die Polizei hat die letzten Schläger eingesammelt. Das Motto der Zürcher Silvesternacht fällt einem ein. Es steht auf den Pfaden der Feiernden über den Abfalleimern und lautet: "Feste ohne Reste". Das trifft das Zürcher Verhältnis zum Rausch, zum Gehenlassen ziemlich gut. Das Zürcher Nachtleben ist nur eine etwas dunklere Form des Tagwerks.

Wenn es dunkel wird, verwandeln sich die Badis

Aber es gibt eine Ausnahme von der Geschäftigkeit, der Routine. Und das ist Zürich im Sommer. Genauer gesagt, der Sommer am Wasser. Im Sommer organisiert sich alles Leben um die Zeit, die man am See oder am Fluss verbringen kann. Den Morgen beim Frühstück im schönen alten Seebad Utoquai mit seinen weißen Holzwänden und den Sonnenterrassen. In der Mittagspause geht man schwimmen und nach der Arbeit noch mal, selbst die Geschäftsleute haben ein Handtuch unterm Arm, und unter den Kleidern der Zürcher Frauen zeichnen sich Bikiniträger ab. Und wenn man dann erst am Wasser ist, am Ufer der Limmat oder der Sihl, an der Seepromenade oder in einem der See- und Flussbäder, dann geht man auch nicht mehr weg. Die ganze Nacht lang.

21 Uhr, im Seebad Enge spiegelt sich die Abendsonne in der Discokugel auf der Sonnenterrasse. Halbhohe Tischchen stehen auf den Holzplanken, davor fläzen die Leute, die einen noch in Badehosen, die anderen schon in Abendgarderobe. Rund um das kleine Becken mit dem Seewasser sitzen Pärchen und Frauenrunden mit ihren Drinks. Vorglühen muss man nicht in den Zürcher Sommernächten, das erledigt die Bergkette für einen, die am Horizont im roten Abendlicht leuchtet. Zwei junge Russinnen in engen Kostümen, die Prada-Taschen auf einem Handtuch, lassen ihre Füße ins Wasser baumeln und unterhalten sich über "Internships in Hongkong". Dort, wo die Leute sonst ihre Badelatschen abstellen, stehen Eiskübel mit Weißweinflaschen, daneben schläft einer auf seiner Strandmatte, wahrscheinlich schon seit Mittag. Und das ist das Großartige an dem Zürcher Ausnahmezustand: Man muss sich im Sommer nicht einmal wegbewegen aus dem Bad. Denn wenn es dunkel wird, werden die Zürcher Bäder zu Bars, Clubs oder Kinos.

Ein ganz normaler Donnerstag im Seebad Enge. Auf dem Zürichsee ziehen Segelboote vorbei, das Wasser wird rot und blau im Licht der untergehenden Sonne. Leise schwappen die Wellen gegen die Plattform des Seebades. Im Teil, der sonst den Frauen vorbehalten ist, steht ein Abend mit dem Motto "Badi-Afterwork" an.

Die einzige Sorge: dass das iPhone ins Wasser fällt

Gut, das klingt wieder geschäftig, aber, Gopferdeckel!, wie sie in Zürich ausrufen würden, was sind die Leute alle gelöst. Als gäbe es kein Heute und kein Morgen, ja, als müsste man überhaupt nicht arbeiten für die 25 Franken, die der Blattsalat mit Ziegenkäse hier kostet, oder die sieben Franken für die winzige Flasche Turbinen-Bräu. Die Zürcher Preise kennen leider keinen Sommer. Die Frauen tragen lange luftige Kleider, ihre Haare haben sie zu Zöpfen geflochten. Die Männer sind in Sakkos, Strohhüten und Shorts unterwegs. Die Stimmung ist irgendetwas zwischen Poolparty und Kreuzfahrtschiff. "Ça va?", fragt eine Frau ihren Begleiter. "'S isch' mega", antwortet der.

Flussssbar Zürich

Die einzige Sorge, die man hier hat, ist, dass einem das iPhone ins Wasser fällt: "Flussssbar" in der Badi Unterer Letten.

(Foto: flussssbar.ch/PR)

Würden einen die Zürcher Sommernächte nicht so träge und zufrieden machen, müsste man sich nach ein, zwei Drinks aufraffen. Und ins Flussbad Unterer Letten wechseln. Dort zieht grün schäumend der Fluss vorbei, am Ufer sitzen die Leute in langen Reihen und schauen auf eine riesige Leinwand gegenüber. Über die flimmert einer der Filme des Freiluftkinos, das es hier an den Sommerabenden gibt. Fledermäuse ziehen vorbei, die Nacht ist erfüllt von Filmsätzen und vom Flussrauschen. Man ist hier sehr weit weg von der Stadt, vom Tagwerk. Die einzige Sorge, die man in diesen Nächten hat, ist, dass einem das iPhone ins Wasser fällt.

"Jede Nacht ist, als sei man in den Ferien", sagt Florian Weber. Er ist ein junger Gastronom aus Basel und betreibt den einzigen Campingplatz der Stadt. Er heißt "Fischers Fritz" und liegt stadtauswärts am Ufer des Zürichsees. Dorthin könnte man jetzt, wenn man die Kraft hätte, ebenfalls weiterziehen. Abends werden hier die Fische gebraten, die am Tag aus dem See gezogen wurden, Felchen, Hechte, Welse. Selbst die Schichtarbeit in der Gastronomie sei am See entspannend, sagt Weber. An einem Stand lässt er Süßwasser-Sushi servieren und Fisch-Knusperli, für die allein sich der Besuch schon lohnt.

Grillgeruch mischt sich mit Seeluft, und der Zürichsee ist hier so weit, als wäre er nie zu Ende. Der See ist übrigens der beste Begleiter in diesen Zürcher Sommernächten, man braucht eigentlich nichts und niemanden anderen, nur die Farben und die Wellen, auf denen mehr abgeht als im abgefahrensten Club. Dunkel und rau wird der See in den nächsten Nachtstunden werden, bis er dann am frühen Morgen spiegelglatt daliegt, "wie unberührt, und die Berge spiegeln sich darin", sagt Weber.

Genauso lange sollte man auch am See bleiben. Erst geht es vom Seebad Enge noch ein Stückchen weiter in die Stadt, zur Frauenbadi an der Limmat. Untertags eines der traditionellen Flussbäder, nachts die "Barfußbar".

Die ist, es ist kurz vor Mitternacht, voll, die Leute sitzen am Boden, bilden eine Schlange an der Theke. Im Wasser spiegeln sich die Lichter der Stadt, die angestrahlten Türme des Großmünsters leuchten in der Ferne. In einer Ecke sitzt eine Wahrsagerin und liest aus der Hand, am Beckenrand hat sich eine portugiesische Band aufgestellt, die ersten Leute beginnen zu hüpfen. Ausgelassenheit liegt in der Luft, so, als würden sich die ersten gleich mit den Kleidern in den Fluss schmeißen oder zumindest ihren Nebenmann im Liegestuhl küssen. Hier und da sind noch Spuren der Zürcher Strenge erkennbar. "Bitte Zeitungen in Recycling-Körben entsorgen", steht auf einem Schild. Aber sonst bedeutet, in den Ausgang zu gehen, hier vor allem: sich gehen lassen.

Wenn in Zürich auch das letzte Bad geschlossen hat, dann zieht man nicht weiter ins Hive, um zu Elektromusik "go sheeke", wie Tanzen auf Züritüütsch heißt. Man geht auch nicht ins Meyers oder auf einen Absacker "ins bsetzte Huus" an der Kalkbreite, wie es der Zürcher Sänger und DJ Ian Constable in seinem berühmten Lied über das Zürcher Szeneleben mal beschrieben hat. "Hippiekacke" lautet sein Titel, was sich ungefähr mit "heißer Scheiß" übersetzen lässt. Und der ist jetzt, am Ende einer langen Zürcher Sommernacht, nun einmal, einfach hierzubleiben.

Am Wasser, auf einer Wiese am Ufer oder auf einer Bank auf der Promenade. Irgendwann gehen die Lichter aus, das letzte Zürichseeschiff ist schon lange weg, und der See ist ein einziger schwarzer Spiegel, der wie die Nacht nie zu enden scheint. In diesem Zustand von entspannter Gleichgültigkeit bleibt man dann sitzen, so lange, bis man sich vorstellen kann, dass es keinen Tag mehr gibt und schon gar kein Tagwerk.

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