Zweiter Weltkrieg:Der Junge, der immer nur Glück hatte

75 Jahre Zweiter Weltkrieg Zeitzeuge Daniel Raimbaud

Zeitzeuge Daniel Raimbaud

(Foto: privat)

Zeitzeuge Daniel Raimbaud musste als Jude im besetzten Frankreich um sein Leben fürchten. Er überlebte auf abenteuerliche Weise.

Von Christian Wernicke, Paris

Daniel Raimbaud ist ein glücklicher Mensch. Das bezeugen die Lachfalten rund um seine braunen Augen. Und das sagt der 90-jährige Schlaks selbst: "Ich habe eine Frau, zwei Kinder, vier Enkel. Und ich bin gesund - was will man mehr?"

Raimbaud hockt auf dem beigen Ledersofa seines Pariser Appartements und blättert im Fotoalbum. Er lächelt, als er auf das Bild zeigt, das einen jungen Mann in Uniform unter Palmen zeigt: "Das bin ich, 1944 in Marokko." Damals tobte noch der Krieg, und dennoch: Da hatte bereits das zweite Leben des Daniel Raimbaud begonnen. "Die letzten siebzig Jahre habe ich eine schöne Zeit gehabt", sagt er.

Wachablösung der Wehrmacht in Paris, 1940

Wachablösung der Wehrmacht auf dem Champs-Élysées 1940. Im Hintergrund ist der Arc de Triomphe zu sehen.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Raimbaud ist ein Überlebender. Er existiert, weil er zuvor - in seinem ersten Leben - viel Glück im Unglück hatte: "Wieder und wieder." Rechts neben ihm auf dem Lehnstuhl sitzt Arlette, seine Frau. "Es war Zufall" sagt die 81-Jährige, "aber so ist das Leben - nichts als Zufall."

Die Deutschen beeindruckten durch Disziplin

Damals, am 1. September 1939, ahnt Raimbaud von nichts. Zwei Wochen später muss der Vater die Wohnung in Paris verlassen. Fort zum Fronteinsatz. Der wirkliche Krieg beginnt für Frankreich am 10. Mai 1940 mit dem deutschen "Westfeldzug". Nur drei Tage vergehen, da hat die Familie ein erstes Mal Glück: Der Vater wird von der Armee freigestellt, er darf zurück ins zivile Leben als Direktor eines Pariser Kinos.

Im Sommer 1940 bestaunt der Junge die deutschen Besatzer: "Ihre Uniformen, die Disziplin - das hat mich beeindruckt." Heute schüttelt er den Kopf über so viel Naivität: "Wir waren Idioten, wir konnten uns nicht ausmalen, was kommen würde." Im Dezember 1940 ereilt die Familie eine erste Warnung: Das Vichy-Regime verbietet französischen Juden die Arbeit in Zeitungen, beim Radio oder beim Film. Der Vater wird arbeitslos.

Daniel Raimbaud heißt damals noch Rubinstein. Brav gibt er seinen jüdischen Namen an, als die Behörden 1941 alle Juden registrieren. In seinem Ausweis prangt nun ein roter Stempel: "Juif".

Wozu das dient, begreift der Siebzehnjährige im August 1941. Bei einer Razzia wird der Vater auf der Straße verhaftet und im Lager von Drancy im Norden von Paris interniert. Mit dem Großvater macht sich Daniel auf, dem Vater ein paar Konserven zu bringen. Die französischen Wachen jagen beide davon. "Sie hätten uns auch festnehmen können", sagt Raimbaud.

Im Dezember 1941 zwinkert wieder das Glück. Der Vater, krank und ausgemergelt, wird freigelassen. Die Rubinsteins haben begriffen. Mit gefälschten Papieren ergreifen sie die Flucht, Daniel heißt fortan Roubichet. In der Provinzstadt Limoges verdingt er sich bis Januar 1944 mit Hilfsarbeiten: "Dann wurden die Razzien von Wehrmacht und französischer Miliz zu erdrückend - ich musste weg!"

Riskante Flucht über die Pyrenäen

Der einzige Ausweg führt über die Pyrenäen. Nach Spanien. "Wir sind nur nachts marschiert, tagsüber mussten wir uns verstecken." Schnee, Kälte zermürben Daniel: "Ohne die Hilfe der anderen wäre ich da erfroren."

Plötzlich, in der dritten Nacht, bedeutet der Bergführer den Flüchtlingen, einen Hang hinabzurennen. Im Mondschein erkennt Daniel vier deutsche Soldaten. "Ich dachte, das wäre mein Ende. Bis heute weiß ich nicht, warum sie nicht geschossen haben. So viel Glück hat man nur einmal."

Er ist in Sicherheit, heißt wieder Rubinstein. Über Spanien erreicht er im April 1944 Marokko. Er schreibt sich bei der französischen Armee ein, verpasst jedoch den Krieg, weil er - "wieder so ein Zufall" - zur Ausbildung als Funker abkommandiert wird: "Ehe der Kurs vorbei war, war Paris befreit."

1945 kehrt er heim, heiratet, übernimmt ein Möbelgeschäft. Seit Ende der Fünfzigerjahre heißt er Raimbaud: "Ich wollte nicht, dass meine Kinder je Probleme wegen ihres Namens haben." Daniel Rubinstein hat das Glück festgehalten.

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