Erdoğans Amtseinführung:Hand in Hand in die "neue Türkei"

AKP chooses Davutoglu as Erdogan successor

Recep Tayyip Erdoğan ist in Ankara zum türkischen Präsidenten vereidigt worden, Ahmet Davutoğlu ist neuer Premier der Türkei.

(Foto: dpa)

Verfassungsreform, Kampf gegen die Gülen-Bewegung, Mega-Bauprojekte: Der frisch vereidigte Präsident Erdoğan will den Umbau der Türkei vorantreiben - gemeinsam mit seinem Nachfolger Ahmet Davutoğlu. Ein Überblick.

Von Luisa Seeling

Nun ist es amtlich: Recep Tayyip Erdoğan ist im Parlament in Ankara zum Präsidenten vereidigt worden. Mehr als elf Jahre war er Ministerpräsident der Türkei, nun wechselt er in das höchste Staatsamt. Dass er es nicht nur zeremoniell wahrnehmen will, wie es der scheidende Präsident Abdullah Gül und dessen Vorgänger gehalten haben, hat er schon im Wahlkampf angekündigt.

Zum Nachfolger hat er seinen bisherigen Außenminister auserkoren. Ahmet Davutoğlu wurde am Mittwochabend auf einem Sonderparteitag zum AKP-Vorsitzenden gewählt. Nach Erdoğans Vereidigung wird er zudem das Amt des Premierministers übernehmen und mit der Regierungsbildung beginnen. Er gilt als enger Vertrauter des neuen Staatsoberhaupts, weshalb Beobachter davon ausgehen, dass Präsident und Premier eine gemeinsame politische Linie verfolgen werden. Die Opposition hält Davutoğlu für eine Marionette Erdoğans.

Dieser beteuerte gestern zwar, der künftige Premier werde "kein Verwalter sein". Doch dass sie sich in ihren Zielen und Prioritäten einig sind, daran ließen sie auf der AKP-Veranstaltung am Mittwoch keinen Zweifel. Davutoğlu versprach, er werde gemeinsam mit Erdoğan "eine neue Türkei aufbauen - Hand in Hand, Schulter an Schulter". Erdoğan versicherte seinen Anhängern, dass sich der Kurs der AKP nicht ändern werde. "Namen haben keine Bedeutung, Namen ändern sich heute, doch unsere Essenz, unsere Mission, unser Geist, unsere Ziele und Ideale bleiben bestehen."

Was die beiden in den nächsten Jahren vorhaben - eine Übersicht.

  • Zunächst kann Erdoğan die bestehenden Spielräume für das Präsidentenamt ausschöpfen. So darf er Kabinettssitzungen einberufen und leiten oder - mit Zustimmung der Regierung - Beschlüsse und Verordnungen erlassen. Langfristig strebt der Präsident eine Verfassungsreform zugunsten eines Präsidialsystems an. Um sie im Alleingang zu ändern, benötigt er allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, die er nicht hat. Die Chance bietet sich bei den Parlamentswahlen 2015. Oder, falls es vorgezogene Neuwahlen gibt, auch schon früher. Davutoğlus wichtigste Aufgabe ist deshalb, die AKP zusammenzuhalten und auf den nächsten Wahlkampf einzuschwören.
  • Weitergeführt werden soll der "Kampf gegen die parallele Struktur". Gemeint ist die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, gegen die die AKP-Regierung in den vergangenen Monaten massiv vorgegangen ist. Auf dem Sonderparteitag hat Erdoğan seinem Nachfolger einen unmissverständlichen Auftrag erteilt: "Ich glaube, Davutoğlu wird engagiert und mutig gegen den parallelen Staat kämpfen." Dies sei ein Kriterium gewesen bei der Entscheidung, ihn zu nominieren. Früher waren die AKP und die Gülen-Bewegung Verbündete im Machtkampf gegen das laizistische Establishment. Inzwischen aber beschuldigt Erdoğan die Gülenisten, Parallelstrukturen im Staat errichtet zu haben und ihn stürzen zu wollen.
  • Davutoğlu hat angekündigt, den Friedensprozess mit den Kurden fortzuführen, den Erdoğan begonnen hat. Die bisherige Regierung hat signalisiert, dass möglicherweise auch die militärischen Anführer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die laufenden Gespräche eingebunden werden sollen. Die PKK hatte im März vergangenen Jahres eine Waffenruhe verkündet und danach mit dem Abzug ihrer Kämpfer von der Türkei in den Nordirak begonnen, diesen aber wegen des Stillstands im Friedensprozess zwischenzeitlich gestoppt.
  • In seiner gestrigen Rede hat Davutoğlu betont, seine Regierung werde das Ziel eines EU-Beitritts weiter "mit Entschlossenheit" verfolgen. Die Gespräche über einen möglichen Beitritt wurden 2005 eröffnet, stocken aber seit Jahren. Zuletzt sorgte das Vorgehen der Regierung in Ankara gegen Polizei und Justiz in der EU für Kritik. Hunderte Polizisten und Staatsanwälte, die wegen Korruptionsvorwürfen gegen regierungsnahe Kreise ermittelt hatten, waren zwangsversetzt worden.

Das Ziel: Bis 2023 zu den stärksten Volkswirtschaften der Welt zu gehören

Seit einigen Jahren beschwört Erdoğan seine "Vision 2023": Zum 100. Jahrestag der Republik soll das Land zu den zehn stärksten Volkswirtschaften der Welt gehören, diese Losung hat die Regierung Erdoğan in den vergangenen Jahren immer wieder ausgegeben. Damit die hochgesteckten Ziele erreicht werden, treibt die Regierung eine Reihe von gigantischen Infrastrukturprojekten voran - vor allem in der Millionenmetropole Istanbul. Die meisten von ihnen sind höchst umstritten. Eine Auswahl:

  • Im Norden Istanbuls soll einer der größten Flughäfen der Welt entstehen. Bis zu 150 Millionen Passagiere will man hier jährlich abfertigen. Zum Vergleich: Am größten deutschen Drehkreuz, dem Frankfurter Flughafen, wurden im vergangenen Jahr 58 Millionen Fluggäste bedient. Nach Medienberichten soll er Ende 2018 fertiggestellt sein, der Grundstein wurde bereits gelegt. Proteste und Klagen gegen den Bau vor allem von Bürger- und Umweltinitiativen blieben erfolglos. Zuletzt hatte es Gerüchte gegeben, wonach der Flughafen nach Erdoğan benannt werden soll.
  • Über den Bosporus soll eine dritte Brücke führen. Seit vergangenem Jahr wird an ihr gebaut, im kommenden Jahr soll sie eröffnet werden. Auch hier waren ehrgeiziger Planer am Werk: Die Pfeiler sollen mit 322 Metern zu den höchsten weltweit gehören. Zwei Schienen- und acht Autospuren sollen über die 1408 Meter lange Hängebrücke führen. Umweltschützer warnen, dass der Bau Trinkwasser-Reservoirs gefährdet. Um den Istanbuler Verkehr zu entlasten, öffnete im vergangenen Jahr außerdem der Marmaray-Bahntunnel unter dem Bosporus - rechtzeitig zum 90. Geburtstag der Republik.
  • Das wohl umstrittenste Projekt ist eine alternative Schiffsroute, die parallel zum Bosporus verlaufen soll. Eine Art künstlicher Bosporus also, Arbeitstitel: Istanbul-Kanal. Der Kanal soll bis zum Stichjahr 2023 fertig werden und 145 Meter breit, 25 Meter tief und 45 Kilometer lang werden. Erdoğan selbst spricht von einem "verrückten Projekt". Nach Medienberichten arbeiten die Behörden an Machbarkeitsstudien. Die Kritik an dem Vorhaben, seinen potenziellen Auswirkungen auf die Umwelt und vor allem an seinen Kosten ist schon jetzt gewaltig.

Mit Material von dpa und AFP.

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