Dachverband der Studierenden:Konkurrenz zwischen Ausbildung und Studium wird "künstlich herbeigeredet"

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Frust über "Bedrohungsszenarien": Studentenvertreter kritisieren, dass die Politik Studium und betriebliche Lehre gegeneinander ausspielt. Bildung werde zunehmend Mittel zum wirtschaftlichen Zweck.

Von Johann Osel, München

Zum Beginn des Ausbildungsjahrs am Montag warnen Studentenvertreter davor, Studium und betriebliche Lehre gegeneinander auszuspielen. "In letzter Zeit können sowohl Auszubildende als auch Studierende manchmal das Gefühl bekommen, jeweils das Falsche gewählt zu haben. Bei dem Streit um ,Überakademisierung' auf der einen und ,Fachkräftemangel' auf der anderen Seite werden Menschen zur blanken Verschiebemasse des Wirtschaftsstandortes Deutschland erklärt", schreibt der Dachverband fzs in einer noch unveröffentlichten Stellungnahme, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die "Konkurrenz zwischen beiden Wegen" werde "künstlich herbeigeredet". Dem überparteilichen fzs gehören Asten und Studentenräte von gut 90 Hochschulen an.

Zählte man 1993 noch 279 000 Studienanfänger, so waren es 2003 schon 370 000, seit 2011 nun jährlich gut 500 000. Dazu haben die doppelten Abiturjahrgänge in vielen Ländern beigetragen - mehr aber noch der Trend zur akademischen Bildung. Als Leidtragende sehen sich viele Industrie- und Handwerksbetriebe.

Da die Zahl der Schulabgänger sinkt und immer mehr junge Menschen studieren, "spitzt sich die Situation zu", sagte jüngst Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Im IHK-Bereich seien 2013 etwa 80 000 Lehrstellen offengeblieben - nächste Woche werde die Zahl "nicht niedriger sein", denn der "Run auf die Hochschulen" sei ungebrochen.

Angst vor Überakademisierung

Längst wird diese Debatte politisch geführt. Der Philosoph und SPD-Politiker Julian Nida-Rümelin machte einen "Akademisierungswahn" zu Lasten der betrieblichen Lehre aus. Man sei im Begriff, "die einzigartige Qualität" des Bildungssystems zu beschädigen - die Herausbildung einer Facharbeiterschaft, die alle Schichten der Gesellschaft aufnehmen könne.

"Ein handwerklicher Beruf ist kein Abstieg. Das müssen wir den Leuten wieder beibringen", sagte Klaus von Dohnanyi. Er war in den Siebzigerjahren Bundesbildungsminister, als es erstmals Ansätze eines Massen-Studiums gab, nicht vergleichbar aber mit heutigen Dimensionen. "Spanische oder griechische Jugendarbeitslosigkeiten sind auch auf eine Überakademisierung zurückzuführen", so der SPD-Politiker.

Und der Wissenschaftsrat, dessen Beschlüsse von allen 16 Ländern getragen werden, hat im April gemahnt: Trotz wachsender Anforderungen am Arbeitsmarkt könne man "die Akademikeranteile nicht beliebig steigern".

All die "Bedrohungsszenarien" sind es, die bei den Studentenvertretern Frust auslösen: Bildung werde zur Ressource erklärt und im Sinne der erwarteten Ansprüche der Wirtschaft verteilt - ein Irrweg. "Niemand sollte sich bei der Entscheidung zwischen Ausbildung und Studium von Prognosen über zukünftige Wirtschaftstrends leiten lassen, die zudem auf Spekulationen beruhen, sondern den Weg auswählen, der den eigenen Interessen entspricht", heißt es.

Und mit einem Seitenhieb auf eine angebliche Überakademisierung: "Die Angst, dass niemand mehr einen Schrank bauen kann, wenn einmal alle Akademiker geworden sind, ist die Angst einer Gesellschaft, die Bildung nur als Mittel zum wirtschaftlichen Zweck begreift."

© SZ vom 29.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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