Neuer EU-Ratspräsident:Persönlichkeit geht vor Partei

Neuer EU-Ratspräsident: Drei Kandidaten (von links): der irische Premierminister Enda Kenny, Andrus Ansip, langjähriger Ministerpräsident Estlands, und Helle Thorning-Schmidt, sozialdemokratische Premierministerin Dänemarks

Drei Kandidaten (von links): der irische Premierminister Enda Kenny, Andrus Ansip, langjähriger Ministerpräsident Estlands, und Helle Thorning-Schmidt, sozialdemokratische Premierministerin Dänemarks

(Foto: dpa/AP/Reuters)

Klug, sprachbegabt, nervenstark. Gern weiblich, am besten aus Nord- bis Osteuropa. So sollte die neue EU-Ratspräsidentin sein. Oder doch der neue Ratspräsident? Am Samstag soll er oder sie ernannt werden. Die Liste der Kandidaten und Kandidatinnen ist lang.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Gesucht wird eine Person, gerne weiblich und aus Nord- bis Osteuropa stammend, mit folgenden Eigenschaften: Unauffällig und gepflegt, ausgleichend und geduldig, klug und nervenstark, im Teppichhandel erfahren, mit ausreichend Sitzfleisch und gutem Telefonakku ausgestattet, so viele Sprachen wie möglich sprechend; Selfies mit dem amerikanischen Präsidenten oder beim Schneeschippen sind nicht von Nachteil, starrköpfiges Beharren auf der eigenen Meinung dagegen schon.

Ungefähr so müsste die Stellenbeschreibung lauten für einen der wichtigsten europäischen Posten, den die Staats- und Regierungschefs am kommenden Samstag auf einem Sondergipfel in Brüssel an einen früheren oder amtierenden Kollegen vergeben wollen. Gesucht wird der nächste Präsident des Europäischen Rates, der Nachfolger von Herman Van Rompuy. Offizielle Bewerber gibt es nicht. "Zum Ratspräsidenten wird man berufen, man bewirbt sich nicht", sagt ein EU-Diplomat in Brüssel.

Zwei Tage vor der geplanten Entscheidung gibt es aber so etwas wie eine virtuelle Liste mit Namen, die für den Posten infrage kommen. Diese Liste ist in akribischer Kleinarbeit im Büro des amtierenden EU-Ratspräsidenten Van Rompuy entstanden. Der Belgier hat in den vergangenen Tagen viel Zeit am Telefon verbracht. Er hat mit vielen der 28 nationalen Regierungen telefoniert und erkundet, wen diese für denn dafür geeignet halten, sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin werden zu können.

Am Donnerstag standen eine Handvoll Kandidaten aus den drei größten europäischen Parteienfamilien auf der Liste, die alle grundsätzlich auf die Stellenbeschreibung passen.

Der irische Premierminister Enda Kenny aus dem Lager der Christdemokraten, der als zuverlässig und loyal gilt und im vergangenen Jahr lautlos und erfolgreich für sechs Monate die Geschicke der Europäischen Union als rotierender Ratspräsident leitete.

Helle Thorning-Schmidt, sozialdemokratische Premierministerin Dänemarks, gilt als begabte Vermittlerin zwischen den europäischen Parteienfamilien - und den USA. Ihre Handyfotos mit Barack Obama sorgten für eine Aufhellung der angeschlagenen transatlantischen Beziehungen.

Andrus Ansip, langjähriger Ministerpräsident Estlands und als früherer Vorsitzender der wirtschaftsliberalen Reformpartei ein Kandidat der Liberalen. Ansip ist bisher als Kandidat für die nächste Europäische Kommission nominiert.

Keine neuen Personaldiskussionen

Aus dem Nachbarland Lettland kommt ein weiterer Kandidat: Valdis Dombrovskis, der als Premierminister sein Land in den Euro führte und sich bereits im Frühling als Kandidat der Europäischen Volkspartei um das Amt des EU-Kommissionsvorsitzenden beworben hatte. Dombrovskis, der englisch, deutsch und russisch spricht, zog seine Bewerbung damals kurzfristig zurück.

Als wenig sprachbegabt, aber loyal und freundschaftlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premier David Cameron verbunden gilt der liberal-konservative Donald Tusk. Der polnische Premierminister wird schon länger als Kandidat für das Amt gehandelt, hat Ambitionen aber stets zurückgewiesen.

Auch der frühere finnische Ministerpräsident Jyrki Tapani Katainen hatte es kurz auf die Liste geschafft; der Liberale gilt aber wegen der rigiden Sparpolitik, die er in seiner Regierungszeit verfolgte, als nicht konsensfähig im Süden Europas.

Wird es ein kurzer oder ein langer Gipfel?

EU-Diplomaten zufolge wollen sich die Staats- und Regierungschefs bei der Vergabe des Postens am Samstag weniger auf die Parteifarbe als auf die Person konzentrieren. "Der Ratspräsident wird alle Sitzungen der Chefs vorbereiten und leiten, es ist also wichtig, dass sie ihm vertrauen", hieß es in Brüssel. Die 28 Chefs müssten sich "genau überlegen, von wem sie sich führen lassen wollen".

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Juli nach einem EU-Sondergipfel erklärt, dass es bei dem Ratspräsidenten mehr darauf ankomme, die geeignete Person zu finden als parteipolitische oder geostrategische Wünsche zu erfüllen. Sie hatte betont, Amtsinhaber Van Rompuy habe ausgezeichnet gearbeitet.

Der Christdemokrat war Ende 2009 als belgischer Premier überraschend als EU-Ratspräsident vorgeschlagen worden. Er hatte binnen einer Woche den Job gewechselt. In einer idealen Welt, so verlautete am Donnerstag in Brüssel, werde Van Rompuy bis Freitag mit allen Staats- und Regierungschefs telefoniert haben. Danach gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder es zeichne sich ein Kandidat ab, mit dem alle zufrieden wären und der offiziell vorgeschlagen werde.

Oder aber Van Rompuy müsse am Samstag vor dem Sondertreffen weitere Gespräche führen. "Freitagabend wissen wir, ob es ein langer oder ein kurzer Gipfel wird." Ausgeschlossen sei, dass sich die Chefs abermals vertagen. Angesichts der wirtschaftlichen und außenpolitischen Krisenherde könne sich die Europäische Union keine weitere Personaldiskussion leisten, hieß es in Verhandlungskreisen.

Neben dem Ratspräsidenten sollen am Samstag auch der oder die neue Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, also der Nachfolger für Lady Catherine Ashton, bestimmt sowie die wichtigsten Posten in der neuen Europäischen Kommission besprochen werden.

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