Religionsfreiheit:Warum bedrohte Christen jetzt Hilfe brauchen

Christliche Flüchtlinge Erbil Irak

Christliche Flüchtlinge im Irak haben auf dem Gelände der Erzdiözese von Erbil vorerst Schutz gefunden.

(Foto: dpa)

Heute wird das Bundeskabinett wohl Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak beschließen. Den Schrecken selber aber werden die Waffen nicht vertreiben - die Christen in der Region fürchten, dass sich die Gewehre am Ende auch gegen sie richten. Deshalb zählt zur Hilfe auch, verfolgte Christen großzügig in Deutschland aufzunehmen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Ein arabisches "N" malen sie den Christen auf die Hauswand, die Männer, die da angeblich im Namen Gottes das Land heimsuchen. Nasrani, Nazarener, so heißen die Christen im Koran. Und wen die Killer des Islamischen Staates als Nazarener brandmarken, der muss seinem Glauben abschwören oder eine Kopfsteuer zahlen. Oder er stirbt. Oft genug helfen weder Schwur noch Geld, oft genug machen die muslimischen Nachbarn von gestern mit, in dieser Mischung aus Angst und Gier, die auch die Nazis nutzten, um die Juden auszurauben und zu ermorden.

Im Irak, aber auch in Syrien findet eine mörderische religiöse Säuberung furchtbaren Ausmaßes statt. Sie zerstört die Kultur der Region, zu der auch die vielen uralten christlichen Gemeinschaften gehörten. Sie wird weitere Gewalt gebären, Glaubenskriege und Glaubenskrieger. Sie wird weltweit Christen und Muslime weiter auseinandertreiben. Am Sonntag wird das Bundeskabinett wohl Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak beschließen. Vielleicht stoppt das den Vormarsch der Terroristen, weil die Kurden so ein Gleichgewicht des Schreckens aufbauen können. Den Schrecken selber aber werden diese Waffen nicht vertreiben. Schon fürchten Jesiden wie Christen, dass sich die deutschen Gewehre am Ende auch gegen sie richten könnten. Das "N" an den Häusern ist ein Menetekel, ein Feuerzeichen an der Wand.

Christen sind in 111 Ländern der Erde benachteiligt

Es ist das Zeichen der zunehmend religiös aufgeladenen Konflikte - und das Zeichen einer zunehmenden weltweiten Christenverfolgung. Man muss dazu gar nicht das makabere Ranking der Organisation "Open Doors" bemühen, bei der Nordkorea auf Platz eins der Verfolger steht, gefolgt von Somalia, Syrien, Irak. 2013 legten die großen christlichen Kirchen in Deutschland eine Untersuchung vor: Ihr zufolge sind die Christen in 111 Ländern der Erde besonderer Benachteiligung und Verfolgung ausgesetzt. Sie sind es in Nordkorea und China, sie sind es auch in Lateinamerika, wo Priester bedrängt werden, die auf der Seite der Armen stehen. Sie sind es aber vor allem dort, wo sie als Minderheiten in muslimischen Ländern leben, in Asien, in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, dort also, wo Fanatismus und Gewalt im Namen des Islams dramatisch zugenommen haben.

Die Christen dort wollen keine Märtyrer sein, anders als viele ihrer Vorgänger im alten Rom, die sich in heiligem Eifer vor hungrige Löwen knieten. Sie wollen schlicht leben, ohne beraubt zu werden, ohne Todesangst zu haben um ihre Kinder und sich. Doch sie werden nun Opfer der Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in der Region und der Welt. Auch sie zahlen den Preis dafür, dass aus dem Konflikt zwischen säkularer PLO und säkularen Zionisten der Kampf der radikalislamischen Hamas gegen die religiöse Rechte in Israel geworden ist. Sie zahlen den Preis, dass seit der iranischen Revolution 1979 und den Anschlägen von 2001 Auseinandersetzungen als heilige Kriege und Kreuzzüge überhöht werden. Die Christen zahlen für George W. Bushs Messianismus, mit dem er den Irak per Invasion zu einem besseren Land machen wollte. Den Ex-Präsidenten kriegen die IS-Terroristen nicht, also halten sie sich an jene, die in ihren Augen die Agenten des Westens sind - und ihnen wehrlos ausgeliefert.

Niemand schützt die religiösen Minderheiten in der Region, auch das ist die bittere Erkenntnis der vergangenen Wochen. Es gibt dort keine Zivilkultur, in der die muslimischen Nachbarn für die Christen oder Jesiden nebenan einstehen würden. Nicht nur die Waffen machen die verschiedenen Terrorgruppen stark. Eine jahrelange Indoktrination hat ihr den Boden bereitet, verbreitet von Propagandasendern, finanziert mit Petrodollars von der arabischen Halbinsel: Der böse jüdisch-christliche Westen unterdrückt die Muslime. Das wirkt bis in die muslimischen Gemeinden in Deutschland hinein.

Religionsfreiheit ist der natürliche Feind aller Fundamentalisten

In Deutschland hat man die zunehmende Verfolgung der Christen lange kaum wahrgenommen. Sie waren weit weg, eher potenzielle Flüchtlinge und Kostgänger als bedrohte Menschen. Die Christenverfolgung war das Thema konservativer, manchmal gar islamfeindlicher Gruppen. Und Anlass zu irgendwelcher Überheblichkeit haben die Christen, hat der reiche Westen ja wirklich nicht. Lange genug wurden auch dort Andersgläubige benachteiligt, oft genug säten die europäischen Kolonialherren den Samen für die heutigen Religionskonflikte. Und dass in Bosnien sich christlich nennende Truppen ein Massaker unter Muslimen anrichteten, ist erst zwei Jahrzehnte her.

Doch es gibt alle guten Gründe, den bedrohten Christen zu helfen. Nicht, weil sie dem Westen näher wären als die Muslime, sondern weil sie ein Recht auf Religionsfreiheit haben. Sie haben das Recht zu glauben, was sie wollen, ohne dafür mit dem Tod bedroht zu werden. Das Recht, anders zu glauben - oder eben gar nicht -, für dieses Menschenrecht bezahlten Sokrates und Jesus mit dem Leben, in der Neuzeit wurde es erkämpft gegen die Macht und Gewalt der Kirchen. Es ist das Recht, sich öffentlich vor dem wie immer vorgestellten Höchsten in den Staub werfen zu dürfen, und das Recht, diesem Höchsten Lebewohl zu sagen. Die Religionsfreiheit ist der natürliche Feind aller Fundamentalismen. Sie ist meist ein Zeichen dafür, wie es um die anderen Menschenrechte bestellt ist: In Ländern ohne Religionsfreiheit geht es meistens allen Dissidenten schlecht.

Wer gegen Christenverfolgung ist, muss auch für Freiheit der Muslime eintreten

Die Hilfe für die Christen sollte in Klugheit geschehen. Die Waffenlieferungen an die Kurden sind eher ein Zeichen des Scheiterns als der großartige Aufbruch in die neue Welt der Schutzverantwortung für die Bedrohten der Welt. Zur Hilfe gehört, verfolgte Christen großzügig und schnell in Deutschland aufzunehmen, zu ihr gehört aber auch, alles zu tun, dass die christlichen Gemeinden im Nahen Osten nicht sterben. Zu dieser Hilfe gehört auch, gegenüber islamischen Staaten klarer als bisher Religionsfreiheit zu fordern - für alle. Und muss man wirklich in einem Land wie Katar eine Fußballweltmeisterschaft abhalten, in dem sich das Zusammenspiel von religiöser und sonstiger Unfreiheit idealtypisch zeigt?

Religionsfreiheit ist übrigens auch in Deutschland unteilbar. Wer gegen die Christenverfolgung im Irak ist, muss auch für die Freiheit der Muslime eintreten, in Deutschland Moscheen zu bauen. Wer als Muslim für seine Rechte eintritt, darf nicht zu dem schweigen, was den Christen geschieht. Wir müssen Juden sein, wenn Synagogen bedroht werden, und Muslime, wenn es Anschläge auf Moscheen gibt. Und eben Nazarener, wenn die Brandzeichen an den Häusern der Christen stehen.

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