Musiker Falco:Sein Leben - ein einziges Chaos

Popstar Falco wäre 50

Der österreichische Popstar Falco während eines Auftritts (Archivfoto vom 18.10.1997). Der Wiener war 40, als er im Februar 1998 bei einem Autounfall ums Leben kam.

(Foto: dpa)

Er starb in der Dominikanischen Republik mit 1,5 Promille Alkohol und großen Mengen Kokain im Blut. Dabei hätte Falco in New York leben und Weltruhm haben können. Über einen Provokateur, der den Größenwahn zelebrierte - und später an sich selbst scheiterte.

Von Angelika Slavik

Vielleicht sollte man ein Leben, das so viele Tiefen kannte, zuerst im Augenblick des größten Triumphs betrachten. 1986, im Frühjahr, ruft die Plattenfirma an. "Jetzt bist du das Größte, das es gibt", sagen sie. Er findet das deprimierend.

Johann Hölzel, 29, Arbeiterkind aus Wien, steht da gerade an der Spitze der US-amerikanischen Billboard-Charts. "Rock me Amadeus" hatte längst Platz eins in vielen europäischen Verkaufslisten erobert. Er war schon ein großer Star, ein Frauenliebling, der Mittelpunkt der Wiener Gesellschaft. Aber die Billboard-Charts, das ist eine andere Liga. Jetzt ist er ein Weltstar. Das Größte, das es gibt. Falco.

Knapp drei Jahrzehnte später hängen dicke graue Regenwolken über seiner Heimatstadt. Wien gilt vielen als Metropole der Morbidität, und an einem Tag wie diesem verstehen das sogar Menschen, die nicht hier geboren sind. Ein älteres Paar macht einen Nachmittagsspaziergang über - wo sonst? - den Zentralfriedhof.

Ehrenhain, Gruppe 40, Nummer 64.

Der Mann bleibt stehen. Wie er es findet, wird er gefragt. "Na ja", sagt er. "Bitte, er ist ja auch sehr eigenwillig gewesen, da ist das vielleicht irgendwie . . . na ja. Passend."

Nummer 64: Ein riesiger dunkelroter Obelisk. Davor ein halbkreisförmiges Ungetüm aus Glas, auf das ein Ganzkörperbild gelasert ist, das aussieht, als stamme es aus einem defekten Tintenstrahldrucker. In der Wiese liegen Engelsfiguren aus Gips. Herzchen mit Flügeln an der Seite, aus der Garten-Kitsch-Abteilung im Baumarkt. Im Beet blühen, ernsthaft, Begonien. Rosa und weiß. Nein, es ist nicht passend. Es ist provinziell. Ein letztes bitteres Missverständnis. Eine Demütigung mit Balkonblumen.

Er hatte Angst vor der Messlatte, die er sich selbst gelegt hat

Als er der Größte ist, damals im März 1986, denkt er nur noch an seinen Untergang. "Alle haben gefeiert, nur der Einzige, der immer trauriger wurde, war der Hans", wird einer seiner Weggefährten später erzählen. Falco, der den Größenwahn zelebriert hat wie kaum ein anderer, hat nun Angst vor der Messlatte, die er selbst gelegt hat. "Das schaff' ich nie wieder", sagt er.

Die Niederlagen also. Nach dem Erfolg von "Rock me Amadeus" in den USA soll er dort auch auf Tour gehen. Zuvor noch einige Auftritte in Japan als Test. Es läuft gut. Aber er hat Heimweh. Er will zurück nach Wien. Dabei ist man dort gar nicht so nett zu ihm: Über "Jeanny" ist eine aufgeregte Debatte entbrannt; es ist ein Lied, das einen Frauenmord beschreibt. Verherrlicht, finden manche. Viele Radiosender weigern sich, es zu spielen. Trotzdem sagt er, das Schönste an der amerikanischen Fahne sind die rot-weiß-roten Streifen. Vielleicht ist es eine Niederlage gegen die eigene Angst vorm Versagen. "Jeanny" wird ein Riesenhit. In Europa.

Sein Privatleben: ein Chaos. Lange gilt er als Weiberheld, zieht mit einem, drei, fünf Models durchs Wiener Nachtleben. Dann, 1986, bringt seine Freundin Isabella eine Tochter zur Welt: Katharina Bianca. Falco zelebriert das neue Familienglück öffentlich. Er ist aufgekratzt, ein enthusiastischer Vater. Zwei Jahre später Hochzeit in Las Vegas. Die Zweifel seiner Freunde, die leisen Andeutungen überhört er. Die Ehe ist nach knapp einem Jahr wieder Geschichte, die Liebe zur Tochter nicht. Aber die Bemerkungen aus seinem Umfeld sind jetzt nicht mehr sehr subtil. Im Herbst 1993 lässt er einen Vaterschaftstest machen. Das Kind ist nicht mit ihm verwandt.

In der Dominikanischen Republik kokst und säuft er vor sich hin

Die gängige postume Interpretation lautet, dass dieser Betrug der Anfang der finalen Talfahrt ist. "Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren, kennt heute jedes Kind": Die Presse spekuliert munter über seine Drogenprobleme - und sie liebt die Geschichte von der untergejubelten Tochter. Falco schont sich nicht. Er gibt Interviews, flapsig, ironisch. Keine Verletzung, die er nicht nach außen trägt. Keine Niederlage, die er nicht zum Mythos stilisiert.

Mehrere Jahre lang klappt musikalisch wenig. Irgendwann sitzt er in der Late-Night-Show von Harald Schmidt und feixt, er müsse nun eine neue Platte bewerben, die er gemacht habe, weil ihm die Kohle ausgegangen sei. Nichts daran ist ein Scherz. Die Scheidung, die Autos, das Koks. Die Lust am Desaster. Er erzählt, dass er nicht einmal genug Geld für ein Flugticket habe - wenn er aus seiner Wahlheimat, der Dominikanischen Republik, nach Europa fliegen wolle, müsse es jemanden geben, der ihn einlädt. Er ist immer noch charmant und schlagfertig, aber wenn man den Auftritt heute noch einmal ansieht, ist das ewige Über-sich-selbst-Reflektieren irgendwie: zäh. Er wirkt wie einer, der versucht, sich an eine Masche zu erinnern, die er früher mal draufhatte.

Trotzdem hat er noch einmal einen Hit. "Mutter, der Mann mit dem Koks ist da" wird ein Überraschungserfolg. Auch für ihn. Der Titel erscheint zuerst unter einem Pseudonym: "T>>MA". Als Falco wollte er keinen weiteren Misserfolg riskieren.

Kurzfristig schöpft er wieder Mut. 1996 kommt "Naked" auf den Markt, es soll eine Singleauskopplung aus einem Album sein, das "Egoisten" heißen soll. "Naked" läuft in Österreich ganz okay, in Deutschland ist es ein Flop. Falco ist deprimiert. Er stellt die Arbeit an dem Album ein und verkriecht sich in der Dominikanischen Republik. Dort kokst er vor sich hin. Wenn er nicht kokst, säuft er. Fast zwei Jahre geht das so. "Naked" wird der letzte Song bleiben, den er zu Lebzeiten veröffentlicht.

1,5 Promille Alkohol im Blut, dazu große Mengen Kokain und THC

Am 6. Februar 1998 fährt er mit seinem Geländewagen vom Parkplatz nahe Puerto Plata. Er will auf die Hauptstraße einbiegen. Die Stelle ist übersichtlich, es ist eigentlich kein Ort, an dem man einen Reisebus übersehen könnte. Die Obduktion ergibt 1,5 Promille Alkohol im Blut, dazu große Mengen Kokain und THC.

Falco ist tot, sein Heimatland begreift das als Startschuss zur Heldenverehrung. Niki Lauda reist in die Dominikanische Republik, um die Leiche abzuholen und in einem seiner Jets persönlich nach Wien zu fliegen. Zur Beerdigung kommen 4000 Leute. Die Plattenfirma wirft das "Egoisten"-Album auf den Markt, es heißt jetzt "Out of the Dark", enthält die schöne Zeile "Muss ich denn sterben, um zu leben?". Es wird zwei Millionen Mal verkauft.

Diverse Frauen geben Interviews bei RTL und erzählen, sie wären jeweils die letzte, die allerletzte oder die letzte richtige Freundin Falcos gewesen. Alle sagen, er habe schon die Hochzeit geplant. Das Erbe geht trotzdem an seine Mutter. Sie stirbt 2014 und hinterlässt die Anweisung, ihre Urne zum Sohn ins Ehrengrab zu befördern.

Auf dem Zentralfriedhof geht endlich das Gewitter nieder, krachend und gnadenlos. Es schüttet eine gefühlte Ewigkeit. Die Begonien überstehen es unbeschadet.

Der Text ist der sechste Teil der SZ-Serie "Arm, verkannt, rebellisch".

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