Schieflage am Ausbildungsmarkt:Selbstverschuldete Misere

Lesezeit: 3 min

Die Lage ist paradox. Einerseits bleiben viele Stellen unbesetzt, andererseits finden Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Ein Grund: Manche Arbeitgeber sind zu bequem geworden.

Kommentar von Thomas Öchsner

Sie heißen Kevin oder Chantal, Jan oder Anna und bleiben draußen vor der Tür. Während in diesen Tagen Hunderttausende Jugendliche einen entscheidenden Schritt in ihrem Leben machen und mit einer Ausbildung beginnen, gehen wieder viele junge Menschen leer aus. Oft hinterlässt dies eine Narbe fürs Leben: Sie werden früh zum "Problemfall". Sie reihen sich ein in die viel zu große Gruppe derjenigen, die nur schwer oder gar nicht den Einstieg ins Berufsleben schaffen, dann häufig arbeitslos sind, stets wenig verdienen und später in die Altersarmut rutschen.

Seit Jahren ist dieses Phänomen die Schattenseite eines Erfolgsmodells. Die duale Ausbildung, die praktisches und theoretisches Wissen miteinander verzahnt, gehört zu den Errungenschaften des Standorts Deutschlands. Sie hat dazu beigetragen, dass in der Bundesrepublik die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig ist wie nirgendwo sonst in Europa. Doch immer weniger junge Leute profitieren davon. Und dies wird die Wirtschaft noch teuer zu stehen kommen, gelingt es nicht, daran etwas zu ändern.

Unbeliebteste Azubi-Jobs
:Rauer Umgangston, mieses Gehalt

Udo Walz auf dem roten Teppich, Christine Neubauer rettet den Landgasthof: Friseur oder Köchin wirken im Fernsehen wie Traumjobs, doch Azubis sind rar. Warum diese Berufe so unbeliebt sind und welche Chancen sie bieten.

Von Violetta Hagen

Die Situation ist paradox. Auf der einen Seite bleiben so viele Ausbildungsplätze unbesetzt wie noch nie, besonders im Osten des Landes. Das hat zu einem Teufelskreis geführt: Weil die Unternehmen keine geeigneten Bewerber finden, ziehen sich vor allem Kleinbetriebe als Ausbilder vom Markt zurück. Sie resignieren, weil die besser qualifizierten Bewerber zu den vermeintlich attraktiveren Großbetrieben drängen. Dadurch nimmt die Anzahl der Betriebe, die überhaupt ausbilden wollen, weiter ab.

Gewiss, das liegt vor allem am Geburtenknick. Die Anzahl der Schulabgänger sinkt langfristig drastisch. Zugleich wollen viele lieber studieren. Hinzu kommt allerdings: Manche Arbeitgeber sind zu bequem geworden, um auszubilden. Oder sie wollen, wie neue Dienstleister oder junge Unternehmen aus der Digitalwirtschaft, mit der klassischen Ausbildung nichts zu tun haben.

Das Schulsystem versagt

Auf der anderen Seite stehen jedes Jahr viele junge Leute mit leeren Händen da. Sie landen im "Übergangssystem", wo derzeit 250 000 auf einen Ausbildungsplatz warten, einen höheren Schulabschluss erwerben oder fit gemacht werden für eine Lehrstelle.

Gründe für diese Schieflage gibt es viele: Häufig passen in einer Region das betriebliche Angebot und die Nachfrage der Jugendlichen nicht zusammen. Noch immer klammern sich Jugendliche an Wunschberufe, ohne Chance einen der begehrten Plätze zu ergattern. Und wenn auch die Anzahl der Unternehmen wächst, die nicht nur auf Zeugnisse und Noten gucken, beteiligen sich nach wie vor viele Arbeitgeber am Wettrennen um die vermeintlich besten. Der Kfz-Meister, der sich von der Arbeitsagentur bewusst Problemfälle holt, die bei ihm aufblühen, ist leider die Ausnahme.

Die Misere beginnt aber schon früher. Das Schulsystem versagt, wenn jährlich 50 000 Abgänger nicht einmal einen Hauptschulabschluss schaffen und die Klagen der Firmen über mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse auch nur halbwegs stimmen. Mehr gut ausgestattete Ganztagsschulen würden helfen, dass der Schulabschluss weniger stark vom Einkommen und der Bildung der Eltern abhängt.

Die Zukunft der deutschen Wirtschaft

Die Betriebe müssen besseres Marketing in eigener Sache betreiben, um Lehrern die regionale Wirtschaft näherzubringen und Schüler von einer Ausbildung zu überzeugen. Mehr Unternehmen müssen lernen, Lernschwächere in den Blick zu nehmen. Jeder Jugendliche, sagt Heinrich Alt, Vorstand bei der Bundesagentur für Arbeit, hat "ein Talent, ist ein ungeschliffener Diamant", mit dem sich arbeiten lässt. In manchen Betrieben übernehmen daher Mitarbeiter Patenschaften für Azubis mit Problemen, damit keiner seine Lehre vorzeitig abbricht.

Zu häufig bleiben auch gerade junge ausländische Menschen links liegen. Die Quote der Ausbildungsanfänger ist bei ihnen nur halb so hoch wie bei jungen Deutschen. Ein Mehmet hat immer noch schlechtere Chancen auf ein Bewerbungsgespräch als ein Maximilian. Vor allem für jüngere Menschen türkischer Herkunft ist es deutlich schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden, heißt es im neuen Berufsbildungsbericht. Doch auch die Migrantenfamilien müssen umdenken und verstehen, dass es für den Nachwuchs langfristig auch finanziell besser ist, sich ausbilden zu lassen, als im Kiosk oder im eigenem Laden auszuhelfen.

Es geht auf dem Ausbildungsmarkt um die Zukunft der deutschen Wirtschaft und den Wohlstand der Nation: 2030 könnten eine Million Fachkräfte mit beruflicher Ausbildung fehlen. Das kann sich das Land nicht leisten.

© SZ vom 04.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: