Klöckner & Co.:Konzern will Stahl im Internet verkaufen

Der Old-Economy-Stahlhändler Klöckner & Co. geht online, und Unternehmenschef Gisbert Rühl taucht vorübergehend in Berlins Start-up-Szene ab. Er muss nur aufpassen, dass er sich nicht selbst überflüssig macht.

Von Kirsten Bialdiga, Düsseldorf

Wer das Klischee vom alten Ruhrgebiet sucht, der findet es im Silberpalais in Duisburg. Dort, im 11. Stock der Firmenzentrale von Klöckner & Co., liegt ein Besprechungsraum, in dem seit Jahrzehnten allem Anschein nach nicht viel verändert wurde: Schwere Eichenstühle gruppieren sich um einen massiven Tisch. An der Stirnseite hängt ein ausgeblichener Wandteppich mit einer Jagdszene. Dunkle Ölgemälde und Büsten ehren den Gründervater Peter Klöckner. Und die Fensterfront gibt den Blick auf die rauchenden Schlote des Thyssen-Krupp-Stahlwerkes am Horizont frei.

Wer das Klischee von der New Economy sucht, der findet es im Betahaus in Berlin-Kreuzberg. In dem Gebäude mit unscheinbarer Fassade, vor dem Dutzende Fahrräder parken, treffen Kreative aus den unterschiedlichsten Branchen aufeinander. Manchmal mieten sie nur einen Arbeitsplatz, manchmal ein ganzes Büro. "Werte werden nicht mehr in traditionellen Büros geschaffen", lautet der Wahlspruch dieser Start-up-Community. In lockerer Kaffeehausatmosphäre schmieden sie Pläne und hoffen auf die geniale Idee, die ihr Geschäft entscheidend voranbringt.

Gisbert Rühl ist bald einer von ihnen. Der Chef des mehr als 100 Jahre alten Stahlhändlers Klöckner mit 6,4 Milliarden Euro Umsatz und knapp 10 000 Beschäftigten verlegt demnächst seinen Arbeitsplatz vorübergehend nach Berlin ins Betahaus. "Wir haben dort nicht einmal ein Büro, nur einen Sechsertisch", sagt der 55-Jährige. Neben ihm werden dort zwei junge Klöckner-Mitarbeiter, potenzielle Investoren und IT-Experten Platz nehmen. In ungewohnter Umgebung: An einem der Nachbartische feilt ein Frauenportal an seinem Internetauftritt. "Wir sind in der Start-up-Szene ein Unikum", sagt Rühl. Wenn der Stahlmanager künftig ungestört telefonieren will, muss er seine angemietete Box an die Wand schieben, damit keiner mithören kann.

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Warten auf der Baustelle: Die Lieferung von Stahlträgern braucht Zeit, die Logistik ist veraltet. Doch das ändert sich - langsam.

(Foto: Hannibal Hanschke/dpa)

Was bringt einen Mann dazu, der seit mehr als 20 Jahren in der Old Economy arbeitet, von Duisburg ins industrieferne Berlin zu ziehen, weit weg von den Lieferanten und den meisten seiner Kunden?

Bisher ist der Online-Umsatz nicht der Rede wert

"Wir wollen in Berlin von der Silicon-Valley-Atmosphäre profitieren", sagt Rühl. Vor zwei Jahren hat er sich das Original in Kalifornien angesehen und dort erlebt, wie inspirierend ein branchenübergreifender Austausch sein kann. Ein 17-Jähriger ließ sich damals KlöCos Geschäftsmodell erläutern und sagte dann: "Sie liefern anscheinend viel an die wetterabhängige Bauindustrie. Werten Sie eigentlich auch Wetterdaten aus?" Das hat Rühl beeindruckt, die Idee will er aufgreifen.

Es ist nur eine von vielen Anregungen. Der KlöCo-Chef hat sich nichts weniger vorgenommen, als das Geschäftsmodell seines Unternehmens komplett umzukrempeln. In fünf Jahren will Rühl mehr als die Hälfte seines Stahl-Umsatzes über Webshops im Internet erzielen. Das ist ehrgeizig, denn bisher ist der Online-Umsatz nicht der Rede wert. Im Stahlhandel läuft es immer noch so wie seit Jahrzehnten üblich: Der Kunde ruft an oder schickt eine Bestellanfrage per Fax. KlöCo faxt dann ein Angebot zurück. Doch auch in der Stahlindustrie habe ein Generationswechsel stattgefunden: "Wer seit seinem fünften Lebensjahr im Internet ist, der weiß manchmal nicht mehr, was ein Fax ist", sagt Rühl.

Die Faxerei ist nicht die einzige Ineffizienz im Stahlhandel. Viel gewichtiger ist aus Rühls Sicht die Logistik, genauer: die Aufbewahrung der Stahlprodukte in den unterschiedlichsten Zwischenlagern, die KlöCo hohe Kosten verursacht. "Wenn man einen Stahlträger drei- oder viermal anpackt, bevor man ihn weiterverkauft, dann kann man ihn aus betriebswirtschaftlicher Sicht gleich zum Schrott fahren." Es liege zu viel Stahl nutzlos herum. Vom Stahlhandel im Internet verspricht er sich höhere Vorhersehbarkeit und mehr Effizienz. Vielmehr Produkte als bisher könnten dann von KlöCo direkt vom Lager des Herstellers zum Kunden gebracht werden - ohne lästige Zwischenlager. Die Lieferzeit könne sich damit um die Hälfte verkürzen.

Interview With Kloeckner CEO Gisbert Ruehl

Gisbert Rühl, 55, kam 2oo5 zu KlöCo, zuvor arbeitete der Wirtschaftsingenieur unter anderem für Babcock.

(Foto: Alex Kraus/Bloomberg)

Selbst von der Modebranche hat sich der Stahlhändler schon etwas abgeschaut. Die Tochter des KlöCo-Statthalters in Los Angeles ist Kundin eines Modeportals im Internet, das in einer morgendlichen Fünf-nach-acht-Mail Mode zu Schnäppchenpreisen anbietet. Das gibt es jetzt bei KlöCo in Kalifornien auch: Stahl aus Restbeständen morgens um fünf nach acht.

Schon von Ende nächsten Jahres an sollen die Kunden bei KlöCo überall online bestellen können. Am weitesten ist KlöCo in den Niederlanden, dort ist der Webshop schon online. Doch branchenweit stecken zurzeit verschiedene solcher Plattformen in den Anfängen. Es gilt, schnell zu sein, um sich als Erster einen Namen zu machen. Bisher allerdings scheiterten in der Stahlindustrie die meisten Versuche an zu wenig Traffic.

Onlinehandel als Chefsache

Damit es KlöCo nicht auch so ergeht, macht Rühl den Onlinehandel zur Chefsache. Die Feinheiten will er von der Pike auf lernen. Vor Kurzem hat der frühere Roland-Berger-Berater schon eine eigene App programmiert, passend auf seine Bedürfnisse zugeschnitten. Es ist eine Reise-App, die ihm helfen soll, beim Kofferpacken nicht so viel zu vergessen, gestaffelt nach Dauer der Reise.

Wenn mit dem Onlineverkauf alles gut läuft, dann könnte allein dadurch die Gewinnmarge (Ebitda) bei KlöCo um rund einen Prozentpunkt steigen. Das ist viel für einen Konzern, der in den vergangenen Jahren kaum über eine Gewinnmarge von drei Prozent kam. Bis 2017 soll sich das ändern: Dann plant der börsennotierte Stahlhändler eine Vorsteuer-Rendite von mindestens fünf Prozent.

In den vergangenen Jahren hatten KlöCo die maue Stahlkonjunktur und Überkapazitäten in Europa schwer zu schaffen gemacht. Rühl hatte mit einem scharfen Sparprogramm gegengesteuert, das in drei Jahren 2300 Jobs kostete. Erstmals seit drei Jahren wird KlöCo nun 2014 voraussichtlich wieder Gewinne schreiben und eine Dividende von mindestens 20 Cent je Aktie ausschütten.

Der positive Trend wird laut Rühl auch im nächsten Jahr anhalten: "Wir rechnen 2015 mit einem Nachfrageplus in Europa von mehr als zwei Prozent." Der Abschwung von 2011 laufe aus, die Stahlpreise hätten in Europa den Boden erreicht und zeigten zurzeit nach oben.

Müssen nur noch die Stahl-Lieferanten beim Online-Handel mitziehen. Dort trifft Rühl zurzeit noch auf die größten Vorbehalte. Manche fürchten, dass die Einsparungen, die KlöCo zugutekommen, auf ihre Kosten gehen. Dass sie sogar mehr Lager als zuvor vorhalten müssen. Rühl hält gegen: "Wir können online künftig viel mehr Produkte des Lieferanten anbieten, davon profitieren die Lieferanten sehr."

Und KlöCo selbst? Könnte der Stahlhändler sich nicht eines Tages überflüssig machen, wenn die Lieferanten per Internet den direkten Kontakt zu ihren Kunden suchen, wie es Hersteller anderer Branchen tun? Die Gefahr sieht Rühl nicht: "Größere Stahlteile kann man schlecht über Amazon verkaufen. Es braucht hierfür immer jemanden, der Lagerhäuser mit großen Kränen und Trucks hat."

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