Frankreichs Front National:Anleitung zum Hassen

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FN-Chefin Marine Le Pen und ihr Vater Jean-Marie Le Pen (links) am Wochenende in Fréjus an der Côte d'Azur (Foto: AFP)

Brüssel wolle Frankreich zerstören und jenseits des Rheins lauerten die Unfairsten von allen: In einer Art Feriencamp für Nachwuchspolitiker schürt Frankreichs Front National den Zorn auf Euro, Einwanderer - und Deutschland.

Von Christian Wernicke, Fréjus

Louis sieht schwarz für sein Land. Aber er selbst hat - "vielleicht" - gerade deshalb eine strahlende Zukunft vor sich. Der blasse, gerade mal 20-jährige Mann mit dem Stoppelbart und der schmalen Brille sitzt auf einer kleinen Mauer in der Sonne und kaut sein Sandwich. Mittagessen, die "Sommeruniversität" der Jugendorganisation des "Front National" (FN) im südfranzösischen Fréjus hat Pause. Drüben am Bürgersteig hat der FN ein blaues Plakat aufgestellt, das die aktuellen Umfragen auf den Punkt bringt: "Premier Parti de France" - der FN, die stärkste Partei im Land. Louis grinst. Und schmiedet Pläne.

Auch Louis spürt ja den Aufwind, der den Front National trägt. "Früher haben mich Freunde oft nur verlegen angesprochen", erzählt er, "inzwischen bekennen sich die Leute mit Stolz zu uns!" Ihn selbst hat der Frust schon vor über zwei Jahren zum FN getrieben: "Die Sozialisten und die Konservativen, Hollande wie Sarkozy, ruinieren unser Land". Louis beklagt, was fast alle FN-Anhänger plagt: die vielen Arbeitslosen, die Immigranten, die hohe Kriminalität. "Ich bin in den Banlieues von Paris aufgewachsen, ich hab's selbst erlebt", sagt der junge Computertechniker. Inzwischen lebt Louis in Antibes, dem Hafenstädtchen am Mittelmeer. Seine ganze Freizeit gibt er dran, um das lokale Terrain zu bereiten - für Frankreichs rechtsextreme Truppe, für sich selbst. "Ja", sagt er leise auf die Frage, ob er Politiker werden will. Und "nein", seinen Nachnamen mag er nicht preisgeben: "Noch bin ich nicht so weit."

Louis will lernen. Deshalb ist er ja nach Fréjus gekommen, wo die Partei von Marine Le Pen 400 Nachwuchskader übers Wochenende in den kargen Saal eines Gemeindezentrums gepfercht hat. Die Luft ist stickig, ein paar Plakate schmücken die grauen Wände. Auf Plastikstühlen harren die jungen Aktivisten artig, um ihren Partei-Vordereren zu lauschen. Die meisten sind junge Männer: Studenten mit steifem Hemdkragen, Oberschüler in kurzen Jeans, kleine Angestellte.

So mancher Vortrag dieser Sommeruni mutet tatsächlich an wie eine Vorlesung. Zum Beispiel, wenn der schnauzbärtige Schatzmeister Wallerand de Saint-Just ans Pult tritt und über "die Werte des Patriotismus" anhebt. Andächtig hängt die FN-Jugend an seinen Lippen, da der 64-Jährige "die heiße Liebe fürs Vaterland" predigt. De Saint-Just beschwört nationale Mythen und Identität, preist die Nation, "ohne die es keine menschliche Bestimmung gibt". All das, so warnt er, sei nun bedroht: durch Einwanderer, durch Euro und Europa. Brüssel wolle Frankreich als Industrienation zerstören, und die größte Gefahr lauere - per Billigkonkurrenz - hinterm Rhein: "Deutschland, das ist das unfairste Land!" Da erntet er tosenden Beifall.

Auch Louis klatscht. "Deutschland ist in Europa gut aufgestellt", sagt er, "ihr seid da doch die Chefs." Das wurmt ihn. Und das ärgert ebenso Florian Philippot, den FN-Vizepräsidenten. Der 32 Jahre junge Parteistratege hat sich für die Sommeruni "die Schlacht um Frankreichs Freiheit" zum Thema gewählt. Und schürt den Zorn auf die Deutschen: Die dominieren nicht nur Europa, die stecken angeblich auch hinter dem Plan der Pariser Regierung, nun Frankreichs Zentralstaat per Regionalreform auszuhöhlen. "Immer dasselbe - das deutsche Modell", schimpft er, "das zerstört Frankreichs Charakter!" Die Nation, so verheißt Philippot, sei dazu bestimmt, "eine Weltmacht zu sein, sogar die erste!" Zum Schluss reißt er sein junges FN-Volk mit der Prophezeiung von Frankreichs Befreiung von den Sitzen: "Ihr seid diejenigen, die diesen Krieg gewinnen werden."

Diesen Glauben an den Sieg in Gewissheit zu verwandeln, das vollbringt am Sonntag Marine Le Pen. Wie eine Erlöserin wird die FN-Chefin gefeiert. Sie verdammt die EU: "dieses Europa von Brüssel, das mehr und mehr das Europa von Berlin wird". Sie zeiht es als "Verrat", dass die Regierung ihre Nation zum "Vasallen Deutschlands" herabwürdige. Und sie fordert Neuwahlen. "Marine Présidente!", schreit der Saal. Selbstbewusster denn je wirkt Le Pen, sie kennt die Umfrage, die ihr für 2017 im ersten Urnengang der Präsidentschaftswahl eine satte Mehrheit prophezeit.

Auch Louis ist von Le Pen hingerissen. Aber er bleibt vorsichtig. Sein Vorbild ist vorerst David Rachline, mit 26 Jahren kaum älter als Louis - und schon Bürgermeister von Fréjus. Um dessen Wahlsieg vom März zu würdigen, hatte der FN ja Fréjus erst zu seinem Campus erkoren. Viel zustande gebracht hat Rachline bisher nicht. Er kürzt die Zuschüsse für Schulen und Sozialzentren, will den Neubau einer Moschee stoppen. Und er ließ, als Akt der Befreiung, die blaue Europafahne überm Rathausportal entfernen. Da weht nun einsam die Tricolore.

© SZ vom 08.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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