Selbstverteidigung für Menschen mit Behinderung:Von wegen kleines Mäuschen

Selbstverteidigung für Menschen mit und ohne Behinderung

Karin Thiel ist durch Selbstverteidigungs-Kurse eine starke und selbstsichere Frau geworden. Jetzt unterrichtet sie andere Menschen.

(Foto: David Ebener / fototronik.de)

Für Karin Thiel gibt es kein "aber", sie findet immer einen Weg. Vor allem wenn sie sich selbst verteidigen muss. In der Hinterhand hat sie immer noch üble Tricks und Gemeinheiten.

Von Sabine Cygan, Bamberg

Karin Thiel aus Bamberg leidet an Multipler Sklerose und ist seit zehn Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen. Doch hilflos fühlt sie sich nicht. Für Menschen mit und ohne Behinderung gibt sie Unterricht in Selbstverteidigung.

SZ: Frau Thiel, mussten Sie sich schon einmal selbst verteidigen?

Karin Thiel: Nein, zum Glück noch nicht, aber es hilft mir zu wissen, dass ich es könnte. Wenn mich ein Mann blöd anspricht, dann gehe ich auf ihn zu, ich weiche nicht zurück. Und wenn ich müsste, dann würde ich die Zwölf ganz gut treffen, denn die ist genau auf meiner Höhe.

Wurden Sie schon einmal wegen Ihrer Behinderung blöd angemacht?

Vor einigen Jahren wollte ich meine Schwester beim Einparken einweisen und habe mich dafür in eine Parklücke gestellt. Dann kam ein Auto mit einer vierköpfigen Familie und hat mich mit dem Rollstuhl einfach aus der Parklücke heraus gedrängt. Danach musste ich mir anhören, ich solle doch daheim bleiben, wenn ich nicht laufen kann. Gegen die kam ich verbal einfach nicht an. Ich holte schließlich die Polizei, die Familie musste eine Strafe zahlen. In der Situation habe ich mir gedacht: So etwas passiert mir nicht mehr.

Wie sind Sie zur Selbstverteidigung gekommen?

Ich wollte schon immer eine Kampfsportart lernen, habe mich aber immer geschämt, weil ich dachte, ich bin körperlich dazu nicht in der Lage. Vor 13 Jahren hat dann die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft in Bamberg einen Selbstverteidigungskurs angeboten. Mich hat das so begeistert, dass ich meinen Fachübungsleiterschein gemacht habe.

Wie sieht ein Selbstverteidigungskurs bei Ihnen aus?

Jeder Teilnehmer braucht einen Partner. Bei Menschen im Rollstuhl ist das meist die Begleitperson. Wir üben am Anfang immer grundsätzliche Bewegungen, die müssen bei jedem ins Blut übergehen. Das richtige Abblocken zum Beispiel, wenn mich jemand von hinten, von vorne oder von der Seite angreift. Da können ziemlich viele mitmachen.

"Noch andere üble Tricks und Gemeinheiten"

Aber dann wird es kompliziert?

Ja, manchmal ist das nicht ganz einfach, wenn Menschen mit unterschiedlicher Behinderung teilnehmen. Es geht ja schon damit los, dass ich als Übungsleiterin Bewegungen theoretisch erklären muss, weil ich sie nicht vormachen kann: zum Beispiel, wie man richtig mit dem Fuß abwehrt oder tritt. Wenn eine Person stark eingeschränkt ist, überlegen wir uns etwas anderes. Es wird zum Beispiel häufig vergessen, dass wir uns ganz gut verteidigen können, indem wir schreien oder spucken. Auch das üben wir. Aber ich kenne noch andere üble Tricks und Gemeinheiten.

Welche sind das?

Die verrate ich nicht. Ich bin da kreativ und lasse mir Dinge einfallen.

Nur ein Beispiel?

Gut, eines gebe ich Ihnen. Ich habe ein Sturmfeuerzeug. Das hat eine sehr heiße Flamme und erlischt nicht, wenn es windet. Wenn mich jetzt einer von hinten packt und würgt, dann kann ich zu dem Feuerzeug greifen und es dem Angreifer gegen die Hand halten. Ich kann mich nicht gegen jeden wehren, das ist mir bewusst. Aber ich überlege mir, wozu bin ich in der Lage, was kann ich einsetzen.

Verraten Sie diese Tricks Ihren Kursteilnehmern?

Ja, klar! Ich überlege mir ständig etwas Neues für sie. Einmal hatte ich eine Frau in meinem Kurs, die in einem E-Rolli saß und sich kaum noch bewegen konnte. Mit ihren Fingern war sie aber noch recht flink. Ich habe mir überlegt: Wenn die Frau Gas gibt, dann kann sie mit ihrem Rolli einen Angreifer leicht umfahren oder ihm mit ihren 300 Kilo auch nur auf den Fuß fahren. Das tut auch närrisch weh.

Was versuchen Sie neben den Abwehrtechniken zu vermitteln?

Das Wichtigste ist die eigene Körperhaltung. Aufrecht muss ich mich geben, egal ob ich behindert bin oder nicht. Und man braucht Selbstvertrauen. Viele fühlen sich als armes Wesen, als kleines Mäuslein oder als Opfer, das sich nicht wehren kann. Nach den Kursen gehen die Teilnehmer ganz anders aus dem Raum raus. Das ist jedes Mal ein Traum.

Bemerken Sie vor allem bei Menschen mit Behinderung eine gewisse Unsicherheit?

Manchmal höre ich "Aber, das kann ich nicht!" Für mich gibt's aber kein "Aber"! Wir finden immer einen Weg. Seit ein paar Monaten sehe ich zum Beispiel etwas schlechter. Ich merke, dass ich seitdem viel intensiver höre.

Denken Sie, dass Menschen mit Behinderung häufig angegriffen werden, weil sie sich nicht so gut wehren können?

Nein. Als ich noch gesund war, da war ich ein kleines graues Mäuslein. Es geht nur um Selbstvertrauen. Menschen mit Behinderung können auch eine unglaubliche Kraft entwickeln, wenn es sein muss.

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