Jako-o-Bildungsstudie:Eltern kritisieren Leistungsdenken in der Schule

Abitur

Ob Grundschule, Übertritt oder Abitur: Eltern von schulpflichtigen Kindern haben dazu ihre ganz eigene Meinung.

(Foto: dpa)

Mit ihren Kindern durchleben Mütter und Väter ein zweites Mal die Schule. Doch wie bewerten sie das, was sie sehen? Eine repräsentative Umfrage zeigt: Eltern wünschen sich mehr Lernzeit - und ein zentrales Abitur.

Von Johanna Bruckner

  • Die meisten Mütter und Väter sind der dritten Jako-o-Bildungsstudie zufolge überzeugt, dass ihre Kinder gerne in die Schule gehen und schätzen die Fachkompetenz und das Engagement der Lehrer.
  • Der Ausbau der Ganztagsschulen liegt Eltern nach wie vor am Herzen. Kritisch sehen sie, dass sie viele Aufgaben übernehmen müssen, die eigentlich die Schule leisten sollte.
  • Viele Eltern - und vor allem Mütter - unterstützen zu Hause die Schulbildung: Hausaufgabenbetreuung ist in fast allen Familien üblich, mitunter fungieren Mütter und Väter auch als Nachhilfelehrer.
  • Der Leistungsgedanke spielt ihrer Ansicht nach eine zu große Rolle, auch die Chancengleichheit sehen sie häufig nicht gegeben.
  • Sie fordern eine verlängerte Grundschule und ein einheitliches Abitur.

Ob langweiliger Unterricht, fiese Fragen in Klassenarbeiten oder Lehrer, die vermeintlich unfair benoten: Mit ihren Kindern erleben Eltern eine zweite Schulzeit, manchmal trifft es wohl auch der Begriff "durchleiden". Mütter und Väter sind dabei, bilden sich ihre Meinung - und mischen sich ein. Kein Wunder also, dass Eltern zunehmend auch für Bildungsforscher interessant werden. Zum dritten Mal hat nun das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag des Versandhändlers Jako-o Mütter und Väter von schulpflichtigen Kindern zum Thema Schule befragt. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.

Geschätze Lehrer

Mein Kind geht gerne in die Schule - davon sind 81 Prozent der Eltern überzeugt. Zuzuschreiben ist dieser erfreuliche Umstand wohl auch den Lehrern. Knapp 90 Prozent der befragten Mütter und Väter schätzen das Lehrpersonal ihrer Kinder nicht nur als fachlich kompetent (88 Prozent) ein, sondern sind auch überzeugt, dass sich die Pädagogen um eine gute Beziehung zu ihren Schülern bemühen (83 Prozent). Nachholbedarf sehen Eltern vor allem beim Einsatz neuer Unterrichtsmethoden. Außerdem beklagt etwa ein Viertel eine mangelnde Zusammenarbeit mit den Eltern.

Ganztagsschule: Mehr davon

Berufstätige Eltern wollen ihre Kinder auch am Nachmittag gut aufgehoben wissen - wobei ihnen die Betreuung wichtiger ist als der Unterricht. 40 Prozent gaben auf Nachfrage an, ihr Kind am liebsten auf eine Ganztagsschule mit freiwilligem Nachmittagsprogramm schicken zu wollen (entspricht am ehesten einer offenen Ganztagsschule). 30 Prozent der Eltern präferieren eine Ganztagsschule mit verbindlichem Nachmittagsprogramm (gebundene Ganztagsschule). Weitere etwa 30 Prozent haben die Kinder am Nachmittag am liebsten zu Hause und bevorzugen eine Halbtagsschule.

Soweit der Wunsch - die schulische Wirklichkeit sieht anders aus: Denn den 70 Prozent, die ein Ganztagsangebot wahrnehmen wollen, stehen lediglich 39 Prozent gegenüber, die ihr Kind tatsächlich in einer Ganztagsschule unterbringen konnten. Eine Verbesserung ist jedoch erkennbar: In der vorangegangenen Studie 2012 gaben 25 Prozent der Eltern an, dass mindestens eines ihrer Kinder eine Ganztagsschule besucht. Doch nicht nur die Quantität des Angebots spielt für Eltern eine Rolle, sondern auch die Qualität. Größter Kritikpunkt bei der bestehenden Nachmittagsbetreuung ist die individuelle Förderung, hier sehen mehr als 40 Prozent Verbesserungsbedarf.

Betreuung zuhause: Eltern als Ersatzlehrer

Schulische Bildung ist nicht allein Sache der Lehrer - so denkt eine Mehrheit der Eltern. Wobei hier zwei Tendenzen zu erkennen sind: zum einen Unzufriedenheit mit der Institution Schule. 62 Prozent der Eltern haben den Eindruck, dass sie vieles von dem leisten müssen, was eigentlich Aufgabe der Schule ist. Zum anderen wollen sich Eltern aber auch aktiv einbringen: 58 Prozent wünschen sich "mehr Möglichkeiten, um an der Gestaltung von Schule und Unterricht konkret mitzuwirken".

Momentan nehmen Mütter und Väter vor allem zu Hause Einfluss: Neun von zehn gaben an, sich intensiv um die schulischen Leistungen ihres Kindes zu kümmern, wobei es in der Mehrzahl der Fälle immer noch allein die Mutter ist (49 Prozent), die nach der Schule als Ersatzlehrerin einspringt. Eltern sorgen dafür, dass in Ruhe Hausaufgaben gemacht werden (95 Prozent), sie kontrollieren Schulaufgaben (73 Prozent), leisten Hilfestellung vor Klassenarbeiten oder Referaten (78 Prozent) - und zwei Drittel erarbeiten generell den Schulstoff mit ihren Kindern.

Dazu passt, dass auch bei der Nachhilfe das Elternhaus eine wichtige Rolle spielt: 42 Prozent der Eltern, deren Kinder Nachhilfe benötigen, organisieren diese innerhalb der Familie. 55 Prozent nehmen kostenpflichtige Nachhilfeangebote in Anspruch. Etwa jede zehnte Familie greift dabei tief in die Tasche und investiert mehr als 100 Euro, wobei es wenig überraschend vor allem Eltern mit höherem Einkommen sind, die sich eine so kostenintensive Individualbetreuung für den Nachwuchs leistet.

Insgesamt halten Eltern das Anforderungsniveau in der Schule aber für durchaus vertretbar: Lediglich acht Prozent gaben an, ihr Kind sei auf Nachhilfe angewiesen, um dem Unterricht noch folgen zu können - 62 Prozent zeigten sich demgegenüber zuversichtlich, dass ihr Kind in der Schule allein zurechtkomme.

Methode und Auswertung

Für die laut TNS Emnid repräsentative Studie wurden im Frühjahr dieses Jahres 3000 Eltern von schulpflichtigen Kindern bis 16 Jahren befragt. Etwa doppelt so viele Mütter wie Väter nahmen an dem Telefoninterview teil. Befragt nach der Schulform des ältesten Kindes ergab sich folgende Verteilung: Bei 29 Prozent der Eltern besucht das älteste Kind die Grundschule, bei vier Prozent eine Hauptschule, bei 20 Prozent eine Realschule, bei zehn Prozent eine Integrierte Haupt- und Realschule, bei 25 Prozent das Gymnasium und bei acht Prozent eine Gesamtschule (Sonstige: fünf Prozent). Bei der Auswertung wurden die Anteilsergebnisse aufgerundet, sodass das Gesamtergebnis mehr als 100 Prozent betragen kann.

Übertritt, G 8 und Inklusion

Übertritt: Wunsch nach einer verlängerten Grundschule

Die vierjährige Grundschule ist deutschlandweit immer noch die Regel. Ginge es nach den Eltern, würde sich das ändern: 58 Prozent wünschen sich eine Aufteilung erst nach der sechsten Klasse, eine Minderheit plädiert sogar für einen gemeinsamen Unterricht darüber hinaus.

Nicht nur der Leistungsdruck zum Ende der Grundschule hin wird von Eltern kritisch gesehen. Eine große Mehrheit von 86 Prozent ist der Ansicht, dass Kinder frühestens mit sechs Jahren eingeschult werden sollten. Auch der Trend zu immer mehr Bildung im Vorschulalter scheint sich umzukehren: 81 Prozent sprechen sich gegen "noch mehr Frühförderung" in diesem Alter aus.

G 8 versus G 9: Klares Plädoyer für mehr Zeit

Das achtjährige Gymnasium war und ist eine der umstrittensten Bildungsreformen der jüngeren Vergangenheit. Auch aufgrund des großen Drucks von Elternseite bieten viele Bundesländer mittlerweile wieder das G 9 an - zumindest als Wahlmöglichkeit. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass auch die Mütter und Väter in der Jako-o-Studie eine klare Präferenz äußerten: Knapp 80 Prozent bevorzugen für das eigene Kind die um ein Jahr längere Variante des Gymnasiums. Allerdings ist die Zustimmung zum G 8 in den neuen Bundesländern deutlich größer - hier ist das "Turbo-Abitur" teilweise seit Jahrzehnten etabliert.

Insgesamt ist das Abitur der beliebteste Schulabschluss: 56 Prozent der Mütter und Väter wünschen sich, dass ihr Kind die Hochschulreife erlangt. Eine möglichst gute Bildung wird von vielen Eltern als wichtig erachtet: So gab ein Drittel der Eltern von Realschülern an, dass ihr Kind langfristig das Abitur anstreben sollte. Insbesondere Eltern von Hauptschülern fürchten offenbar, dass ihr Kind schlechtere Chancen hat - hier waren es sogar mehr als 70 Prozent, die sich einen höheren Schulabschluss für ihr Kind vorstellten.

Inklusion: Geteilte Meinungen

Sollten gehandicappte Schüler in Regelschulen integriert werden? Die Meinungen der Eltern hierzu gehen auseinander, lediglich 35 Prozent sehen Inklusion als prioritäres Bildungsziel, 76 Prozent empfinden sie zumindest noch als "eher wichtig". Allerdings unterstützt die Mehrheit der Eltern vor allem den gemeinsamen Unterricht mit körperlich beeinträchtigten Kindern (91 Prozent). Deutlich weniger Unterstützung gibt es für eine stärkere Integration von verhaltensauffälligen Kindern, Kindern mit Lernschwierigkeiten oder geistig behinderten Kindern - weniger als die Hälfte der befragten Mütter und Väter hält dies für sinnvoll. Besonders gering ist der Wunsch nach mehr Inklusion am Gymnasium.

Durchwachsenes Zeugnis für die deutsche Bildungspolitik

Auch wenn viele Eltern die Leistungen von Schule und Lehrern positiv bewerten - die Bemühungen der Politik um Kinder und deren Bildung werden kritisch gesehen. So hält gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der Befragten (55 Prozent) Deutschland für ein kinderfreundliches Land. Warum das so sein könnte, zeigt ein Blick auf die aus Elternsicht wichtigsten Ziele der Bildungspolitik - und deren mangelnder Verwirklichung.

Ganz oben auf der Elternagenda stehen gleiche Bildungschancen (84 Prozent Zustimmung), das Erlernen sozialen Verhaltens im Unterricht (83 Prozent Zustimmung) sowie die Förderung lernschwacher Schüler und die Vermittlung einer umfassenden Allgemeinbildung (jeweils 81 Prozent Zustimmung). Doch nur beim ersten und beim letzten Punkt decken sich der elterliche Wunsch und die wahrgenommene Wirklichkeit: Schule erfüllt mit der Weitergabe von Wissen und Sozialkompetenzen zumindest zwei ihrer Kernpflichten. Allerdings empfinden viele Mütter und Väter den Leistungsgedanken im deutschen Bildungssystem als überpräsent - fast die Hälfte (46 Prozent) hält es sogar für ungerecht.

Woran liegt das? Viele Eltern sehen die Kleinstaaterei im Bildungswesen kritisch. Zwar gab es in jüngerer Vergangenheit Bemühungen der Länder, das Unterrichtsniveau und die Leistungsanforderungen in Abschlussprüfungen anzugleichen - doch 73 Prozent der Mütter und Väter sehen hier weiter Handlungsbedarf. Besonders beeindruckend ist die Unterstützung für eine Vereinheitlichung des höchsten Schulabschlusses: Ganze 92 Prozent unterstützen die Forderung nach einem Zentralabitur.

Der Bildungsforscher Jürgen Tillmann von der Universität Bielefeld zieht ein ernüchterndes Fazit aus den Studienergebnissen: "Das gegenwärtige föderale System ist aus Sicht einer erdrückenden Mehrheit der Eltern willkürlich und ungerecht." Ob das Zentralabitur jemals kommt, ist fraglich - zu sehr pochen die 16 Kultusminister auf die Länderhoheit in der Schulpolitik. Sollte es irgendwann tatsächlich soweit sein, werden die meisten der befragten Eltern aber wohl keine Kinder mehr in der Schule haben.

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