S-Bahn-Chaos in München:"Nehmt's halt die Straßenbahn!"

S-Bahn-Chaos in München: Die Bahnsteige in München - hier in Pasing - sind wegen des Oberleitungsschadens überfüllt.

Die Bahnsteige in München - hier in Pasing - sind wegen des Oberleitungsschadens überfüllt.

(Foto: Robert Haas)

Seit Stunden geht bei der Münchner S-Bahn nichts mehr. Auch am Abend wird das Chaos vermutlich noch anhalten. Die Fahrgäste sind verärgert - und die SZ-Kollegen haben aufgeschrieben, was sie heute auf dem Weg zu Arbeit alles erlebt haben.

Bei der S-Bahn herrscht Chaos: Seit gegen 6.55 Uhr ein Kurzschluss zu einem Schaden an der Oberleitung geführt hat, geht auf dem Münchner Streckennetz so gut wie nichts mehr. Bis der Schaden behoben ist, wird es voraussichtlich noch einige Stunden dauern. Unsere Kollegen, die bereits heute Morgen mit Verspätungen und mangelhaften Durchsagen zu kämpfen hatten, haben ihre Erlebnisse kurz zusammengefasst. Und auch auf Twitter regt sich einiger Unmut gegen die S-Bahn. (Aktuelle Informationen finden Sie hier.)

Immer wieder in der Kritik - die Informationspolitik der Bahn. Saskia Meyer Eller aus der Ebersberger Redaktion hat am Ostbahnhof folgende Situation beobachtet:

Chaos am Ostbahnhof. Die Bahnsteige sind überfüllt, Bahnbeamte werden nach Auskunft suchend belagert - und sind dabei nicht immer hilfreich. Plötzlich fluchte und schimpfte ein älterer Herr lautstark vom gegenüberliegenden Bahnsteig über die Schienen hinweg. Mit dem Ziel Haar habe er sich an den Helfer auf Gleis 4 gewandt, der ihn dann auf Gleis 5 schickte, da sollte gleich die S6 Richtung Zorneding einfahren. Und tatsächlich: Keine fünf Minuten später fuhr besagte S6 ein - allerdings nicht auf Gleis 5, sondern auf Gleis 4, auf dem sich der Mann noch bis kurz davor aufgehalten hatte. Wegen seines fortgeschrittenen Alters war es für ihn natürlich unmöglich, Treppen runter und wieder rauf zu sprinten, um den Zug vielleicht doch noch zu erwischen. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als mit anzusehen, wie die S-Bahn vor seinen Augen Richtung Haar fuhr - nur leider ohne ihn.

Das Chaos hat auch gute Seiten? Nadeschda Scharfenberg aus der Bayernredaktion hat es erlebt:

Das S-Bahn-Chaos hat auch seine guten Seiten: Endlich dürfen sich die Lokführer einmal von ihrer unterhaltsamen Seite zeigen. Sonst sitzen sie nur stumm hinter ihren Knöpfchen und Schaltern und überlassen das Sprechen der Computerstimme. Im Wirrwarr um gerissene Oberleitungen und verspätete Züge ist aber echte menschliche Wärme gefragt. Kurz vor neun in der S2 Richtung Petershausen, die Fahrgäste sind unleidig bis sauer, weil die Bahn vorher ohne Ankündigung ausgefallen ist. Da meldet sich, nach einem kurzen Knacken, der Lokführer: "Liebe Fahrgäste, derzeit herrscht Notbetrieb. Es gibt nur zwei Linien, die durch die Stammstrecke fahren: Die S7 und die S2. Das ist die, wo Sie drin sitzen. Glück gehabt. Hurra." Ende der Durchsage. Und die Laune ist gleich ein klitzekleines bisschen besser.

Überfüllte Züge und schlecht verständliche Durchsagen - Stefan Simon, Chef vom Dienst, hat auf seiner Fahrt in die Redaktion folgendes erlebt:

In Puchheim im Kreis Fürstenfeldbruck erfuhren die Fahrgäste einer S4 gegen 8.20 Uhr aus dem Lautsprecher, es bestehe "keine Hoffnung, dass es so schnell weitergeht". Sie könnten deshalb gerne aussteigen und zum anderen Bahnsteig gehen, dort werde in Kürze außerplanmäßig ein Regionalzug in Richtung München halten. Die überfüllte S-Bahn leerte sich auf einen Schlag - nur die wenigsten hörten dabei noch den letzten Satz der Durchsage: dass auch der Regionalzug schon ziemlich voll sei. Viele der Fahrgäste, die durch die Unterführung zum anderen Gleis eilten, passten tatsächlich nicht mehr in den Zug, sie kehrten murrend in ihre S-Bahn zurück.

Andreas Ross aus der Bayernredaktion war heute im Fugger-Express unterwegs.

Die Fahrgäste, die im Fugger-Express sitzen, der gegen 8.10 Uhr (planmäßig wäre 8.06 Uhr gewesen) aus dem Augsburger Hauptbahnhof in Richtung München losfährt, sind noch guter Laune. Wenige Minuten Verspätung sind schließlich normal auf dieser Strecke. So mancher runzelt freilich die Stirn, als kurz vor Pasing der Zug auf freier Strecke anhält. Aus dem Lautsprecher erfährt man dann, dass es auf der Strecke eine Oberleitungsstörung gegeben hat und dass der Zug noch nicht in den Bahnhof Pasing einfahren kann, weil das Gleis noch von vorausfahrenden Zügen belegt ist.

Nach etwa zehn Minuten Aufenthalt werden die ersten Handys gezückt. "Hallo, ich komme etwas später, sitze noch im Zug, wir haben eine Oberleitungsstörung" - so oder so ähnlich klingen die Anrufe, mit denen man sich an seiner Arbeitsstätte meldet. Andere tippen hektisch eine SMS in ihre Smartphones.

Und wieder kommt die Stimme aus dem Lautsprecher und bittet noch um etwas Geduld. Außerdem sollten Fahrgäste, die in Pasing geplant hatten, auf die S-Bahn umzusteigen, im Zug bleiben und bis zum Hauptbahnhof mitfahren. Auch bei der S-Bahn gebe es eine Oberleitungsstörung. Erstes vernehmliches Grummeln unter den Fahrgästen. Doch bald darauf rollt der Fugger-Express an und kurze Zeit später in den Pasinger Bahnhof ein. Der Blick aus dem Zugfenster zeigt einen Bahnsteig voller Menschen, die es kaum erwarten können, dass der Zug endlich hält und seine Türen öffnet.

Spätestens jetzt ist klar: Das sind gestrandete S-Bahnfahrer, die jetzt hoffen, mit unserem Zug endlich weiter in die Innenstadt zu kommen. Schnell füllt sich der Zug, doch draußen, vor den Türen drücken und drängen noch immer dichte Menschentrauben. "Seids doch vernünftig, hier ist alles voll, da geht keiner mehr rein", ruft ein Mann mitten im Türgetümmel. "Ich warte aber schon eine halbe Stunde", ruft einer zurück und eine weitere Stimme klagt: "Ich noch viel länger".

S-Bahn-Chaos in München: Zwischen den Haltestellen Laim und Pasing wird versucht, den Oberleitungsschaden zu reparieren.

Zwischen den Haltestellen Laim und Pasing wird versucht, den Oberleitungsschaden zu reparieren.

(Foto: Robert Haas)

Im Zug herrscht derweil dicke Luft, die Menschen stehen so dicht beieinander, dass man kaum noch Luft bekommt und sich vorstellt, dass es in einer Heringsdose dagegen gemütlich sein muss. Selbst wenn der Zugführer die Türen schließen wollte, es geht nicht, denn zu viele Menschen, die noch mitfahren wollen, blockieren die Lichtschranken. "Nehmt's halt die Straßenbahn oder die U-Bahn", ruft jetzt einer. "Pasing hat keine U-Bahn", schallt es postwendend zurück. Und: "Was ist das überhaupt für ein Bürgermeister, dass Pasing noch keine U-Bahn hat?".

Jetzt meldet sich wieder der Lautsprecher: "Verehrte Fahrgäste, bitte machen sie die Türen frei, nehmen sie den nächsten Zug, der steht doch schon hinter uns." Lautes Aufstöhnen, doch nach einer weiteren Minute schließen die Türen. Der Zug rollt wieder an und der Mann aus dem Lautsprecher bittet um Entschuldigung und verweist noch einmal auf die Oberleistungsstörung. Gegen 9.15 Uhr ist der Hauptbahnhof endlich erreicht: Mit 25 Minuten Verspätung und einem nicht ganz alltäglichen Fahrerlebnis.

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