Auftritt in Berlin:Vitali Klitschko und die mysteriöse Mauer

Vitali Klitschko

Während einer Pressekonferenz bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin entstand das Missverständnis mit der Mauer.

(Foto: dpa)

Als Bürgermeister von Kiew muss Vitali Klitschko eine andere Sprache sprechen als früher im Boxring. In Berlin fällt ihm das schwer. Vielleicht muss er deshalb Meldungen dementieren, die Deutschen sollten beim Mauerbau helfen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Plötzlich gibt es Aufregung um Vitali Klitschko. Ein enger Mitarbeiter des neuen Bürgermeisters von Kiew geht zu seinem Chef auf die Bühne, flüstert ihm etwas ins Ohr. Dann geht er zum Moderator, flüstert dem auch etwas ins Ohr. Über die Nachrichtenagenturen läuft gerade diese Meldung: "Klitschko bittet um Hilfe bei Mauerbau." Einige Internetseiten verbreiten die Meldung bereits.

Klitschko hatte im Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin zuvor eine kurze Pressekonferenz gegeben. Da ist ihm diese Frage gestellt worden nach dem angeblichen Mauerbau an der ukrainisch-russischen Grenze und ob er Hilfe von Deutschland erwarte. Klitschko hat lange darüber nachgedacht, bevor er antwortete.

Ihm schien bewusst zu sein, dass das Wort Mauer in Deutschland eine wenig rühmliche Geschichte hat. Klitschko sprach deshalb nicht von einer Mauer, sondern von der Notwendigkeit sicherer Grenzen in seiner Heimat.

Zurzeit habe die Ukraine gar keine erkennbare Grenze zu Russland. Die Separatisten könnten ungehindert Waffen und Material aus Russland ins Land schaffen. Das müssten auch die europäischen Freunde sehen. Schon bald könne dies eine "europäische Außengrenze" sein, sagte er. Deshalb freue er sich über jede Hilfe, die er von "Freunden der Ukraine" bekommen könne.

Hilfe für eine Grenze, wie sie auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko will. Gesichert mit Zäunen, Wällen und Gräben.

Im großen Saal der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin kursiert jetzt aber die Mauer-Meldung. Der Moderator gibt Klitschko die Gelegenheit, dazu noch etwas zu sagen. "Es geht nicht um die Frage, eine Mauer zu bauen. Sondern darum eine sicherere Grenze zu haben", sagt er vor Publikum. Ein Recht, das auch die Bundeskanzlerin der Ukraine nicht absprechen will, wie eine Sprecherin am Nachmittag erklärte.

Klitschko ist seit ziemlich genau 100 Tagen Bürgermeister von Kiew. Er muss eine andere Sprache sprechen als früher, als er noch meist siegreich im Boxring stand. Im Ukrainischen mag das gehen. Auf Deutsch ringt er mit den Worten. Vielleicht auch deshalb dieses Mauer-Missverständnis. Er ist da, um für seine Stadt zu werben. Und um Hilfe zu bitten. Die Ukraine brauche finanzielle Hilfe, Know-How und allerlei mehr. Und ja, auch militärische Unterstützung.

Klitschko misstraut dem Frieden

Um die Armee des Landes sei es schlecht bestellt, sagt Klitschko. Seit 20 Jahren sei dort nicht modernisiert worden. Er schaut jetzt entschlossener als zuvor. Als wolle er einem Gegner im Ring allein durch Blickkontakt vermitteln, welche Schmerzen er ihm gleich zuzufügen gedenkt. "Aber wir haben einen wahnsinnigen Patriotismus", sagt er dann. Die Menschen in seiner Heimat kämpften für Freiheit für Demokratie und nicht zuletzt für die Sicherheit Europas. Das sollte wohl wie eine Warnung an Russland klingen.

Dennoch, die Armee müsse dringend erneuert werden, um gegen die hochgerüsteten Separatisten eine Chance zu haben. Und auf Dauer genug Abschreckung entfalten zu können, um Russland von weiteren Interventionen abzuhalten. Klitschko hält es heute für einen Fehler, dass die Ukraine blockfrei geblieben ist. Sie wäre wohl besser in die Nato aufgenommen worden. "Heute sind wir alleine", sagt er. Militärisch gesehen stimmt das wohl.

Diplomat genug, um deutliche Antworten zu vermeiden

Ist es da in Ordnung, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in großen Teilen aussetzen will, um Putin entgegenzukommen? Klitschko ist inzwischen Diplomat genug, um eine deutliche Antwort zu vermeiden. Stattdessen lobt er das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und seinem Land. Hier wie in allen Bereichen "erwarten wir Hilfe von allen Freunden der Ukraine".

Aber jetzt muss erst mal der Krieg beendet werden. Die Waffenruhe sei ein gutes Zeichen. "Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Krieg", sagt Klitschko. Er und viele seiner Landsleute seien jedoch noch misstrauisch. Jetzt müssten Kompromisse gefunden werden, um die Eskalation zu stoppen.

Die Sanktionen gegen Russland hält er für hilfreich. Sie "stoppen den Aggressor Russland". Das sei auch im Interesse der EU. Eine Destabilisierung der Ukraine bringe eine Destabilisierung des ganzen Kontinentes. "Der Krieg ist bereits in Europa, er ist an der Schwelle zur Europäischen Union." Ukrainische Soldaten und Freiwillige hätten ihre Leben in diesem Krieg gelassen. Die, die noch kämpften, "verteidigen das gesamte Europa".

Klitschko lädt alle ein

Das ist seine Kernbotschaft. Ohne Europa kann die Ukraine nicht überleben. Ohne die Ukraine ist die EU nicht vollzählig. Sein flammender Appell: "Wenn wir heute Putin nicht stoppen, wird sich morgen kein europäisches Land mehr in Sicherheit fühlen können." Ohne Kampf aber gebe es keinen Sieg. Das wisse er besser als jeder andere. Aber: "Wir sind stark. Wir kämpfen. Und wir gewinnen."

Und dann? Muss die Ukraine föderalistisch werden? "Wir können über die Dezentralisierung sprechen", sagt Klitschko. Aber eine Föderalisierung stehe nicht an. Erstes Ziel müsse die Einigung des Landes sein. Eine "Spaltung des Landes unterstützt keiner". Von den Separatisten und Russland mal abgesehen.

Darum seien auch die vorgezogenen Neuwahlen richtig. "Reformen ohne vorgezogene Parlamentswahlen sind nicht möglich", findet Klitschko. Die Ukraine müsse jetzt schnell ihre Systeme herunterfahren und danach ganz neu laden. Ein klassischer Neustart also.

Am Ende hat Vitali Klitschko noch eine Bitte: "Wenn sie Zeit haben, dann herzlich Willkommen in Kiew, eine der schönsten Städte Europas." Es wäre ihm zu wünschen, dass seiner Aufforderung schon bald viele folgen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: