Toni Kroos bei Real Madrid:Verkrampft zwischen den Welten

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Toni Kroos muss sich erst noch an seine neue Rolle gewöhnen.

(Foto: AFP)

Toni Kroos soll in Madrid der deutsche Xabi Alonso sein. Doch die neue Rolle überfordert ihn - sie behagte ihm schon bei den Bayern nicht. Er hat das Pech, dass er viel schneller lernen muss, als ihm das lieb sein kann.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Oft reicht es schon, wenn man Carlo Ancelotti auf den Mund schaut. Daran lässt sich die Leistung von Real Madrid leicht ablesen. Kaut der Trainer seinen Zigarettenersatz mit hastigen, ausladenden Kieferbewegungen, die so gar nicht zur übrigen Eleganz des Italieners passen, läuft es nicht so gut. Dann öffnet sich zwischen Abwehr und Sturm zuweilen eine so große, leere Grünfläche, dass man nicht überrascht wäre, dort eine Herde Bisons grasen zu sehen. So beschrieb es El Mundo am Sonntag, noch verwundert vom Madrider Derby zwischen Real und Atlético. "Carletto" hatte wieder im Akkord gekaut.

1:2 - Atlético erwies sich erneut als aufsässiger Gegner, wie in der vergangenen Saison. Ancelotti warf alles in den Sturm, was er an Großverdienern in seinen Reihen hat, vier Leute mit einem Marktwert von einer halben Milliarde Euro: Cristiano Ronaldo, Gareth Bale, Karim Benzema, James Rodríguez. Sie durften so frei agieren wie nie zuvor. Ergebnis: eine Viertelstunde Sturm und Drang.

Doch dann fiel die Mannschaft auseinander, verschwand geradezu, und ließ sich vom eingewechselten Arda Turan besiegen. Der Türke schoss in der 76. Minute nach einer schnellen Kombination über die rechte Seite das Siegestor. Unbehelligt.

Nichts passt bei den Königlichen. Zwei Niederlagen in den ersten drei Meisterschaftsspielen: Real liegt schon sechs Punkte hinter dem FC Barcelona. Und wenn Ancelotti sein Team auch nachsichtig als "Dieselmotor" beschreibt, der eben eine Weile brauche, um auf Touren zu kommen, so laufen doch die ersten Prozesse.

Am meisten Kritik muss sich Florentino Pérez anhören, der Präsident. Der hatte im Sommer einige mehr von Marketingimperativen als von sportlichen Überlegungen getriebene Transfergeschäfte getätigt - und so eine gefestigte Elf destabilisiert, die gerade das Champions-League-Finale gewonnen hatte gegen Atlético. Dem Argentinier Ángel Di María verwehrte Pérez eine Gehaltsaufbesserung, weil Real mit dessen Namen offenbar nicht genug Trikots verkauft hat, und ließ ihn dann für sehr viel Geld zu Manchester United ziehen. Xabi Alonso fühlte sich nach der Verpflichtung von Toni Kroos in die Rolle des Frührentners gedrängt und zog zum FC Bayern.

Ronaldo kritisiert Transferpolitik

Selbst Ronaldo kritisierte Pérez' Transferpolitik: "Ich hätte anders entschieden", sagte er, eine unübliche Breitseite. Es ist, als leide die Mannschaft an einem Phantomschmerz. Die beiden fehlen. Xabi mehr noch als Di María: Ancelotti sah in Alonso den "Maestro", so sehr verließ sich der Gleichgewichtstheoretiker auf das Rhythmusgefühl des Basken. In den Vereinsüberlegungen soll nun Kroos den Xabi geben, den umsichtigen Sechser vor der Abwehr, obschon allen bewusst ist, dass der Deutsche in seiner Karriere stets lieber weiter vorne agiert hatte, in der Gestaltungszone.

"Der deutsche Xabi", titelte Marca, es las sich wie eine Hoffnungsadresse. Kroos soll jetzt auch mal kompromisslos abräumen, wie ein Arbeiter grätschen, gegnerische Angriffe unterbinden. Ohne Anspruch auf Eleganz, dafür mit Einsteckerqualitäten. Er soll den Raum zwischen den Welten, diese Wiese für imaginäre Bisons, möglichst breit beherrschen, damit sich die Innenverteidiger dem anrollenden Sturm der Gegner nicht ungeschützt ausgeliefert fühlen.

Noch aber überfordert ihn die Rolle und verkrampft er. Die Presse bleibt Kroos zwar hold, man hält ihn für präzise und wohltuend passsicher. Doch sechs Gegentore in zwei Spielen - gegen San Sebastián und Atlético - sind zu viele, und sehr lange dauert die Geduld der Madrider Medien in der Regel nicht.

Toni Kroos hat das Pech, dass er viel schneller lernen muss, als ihm das lieb sein kann. Wäre Xabi Alonso geblieben, hätte er leicht versetzt neben ihm spielen können, in seiner Komfortzone. Hätte sich Reals anderer Stabilisator, Sami Khedira, nicht verletzt, wäre der Druck auf Kroos auch weniger groß gewesen. Nun aber sieht man die Abwehrspieler Sergio Ramos und Pepe oft verzweifelt in Kroos' Richtung gestikulieren: enger, noch näher ran, Reihen schließen!

Ihre Nervosität ist vermutlich auch deshalb so groß, weil der Mann ganz hinten, Torhüter Iker Casillas, die einstige Vereinsikone, gerade den traurigsten Moment seiner Laufbahn erlebt. Im Derby haben ihn die eigenen Fans ausgepfiffen, bei jeder Ballberührung. Das Verhältnis ist zerrüttet; man lastet Casillas auch Gegentore an, an denen er definitiv keine Schuld trägt. Schuld tragen in den meisten Fällen die Zwischenweltspieler. Es ist zum Kauen.

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