Mögliche Abspaltung Schottlands:Todesstoß für das Empire

A woman stands by a Union flag as she watches a pro-Union rally in Edinburgh, Scotland

Das schottische Referendum ist eine innere Angelegenheit Großbritanniens - mit weitreichenden Folgen für die Welt.

(Foto: REUTERS)

Auf Europa kommen große Probleme zu, sollte sich Schottland am Donnerstag von Großbritannien lösen. Doch am meisten hat London zu befürchten: Sein Einfluss in der Welt steht auf dem Spiel.

Von Stefan Kornelius

Jeder Politiker kennt die Grundregel im internationalen Geschäft: In die inneren Angelegenheiten eines Staates mischt man sich nicht ein. Zumindest nicht, wenn sie im Prinzip klar geregelt sind, wenn alles nach den Buchstaben des Gesetzes abläuft.

Das schottische Referendum ist so eine innere Angelegenheit des Staates Großbritannien. Das Referendum ist legitim, das Anliegen ausführlich politisch begründet, ihm wurde hinreichend widersprochen, und nun liegt es am Souverän, die Entscheidung zu treffen.

Und dennoch gärt es in Europa. Wenn die Schotten über ihre Unabhängigkeit abstimmen, dann ist das eben keine reine innere Angelegenheit mehr. Eine Abspaltung hätte dramatische Folgen für Europa und sogar die Welt. Das Königreich mag eine Insel sein, aber seine Politik ist mehr als vernetzt.

Deshalb hat sich als erster der schwedische Außenminister Carl Bildt in diesem Sommer zu Wort gemeldet, der vor einer "Balkanisierung" der britischen Inseln warnte. Inzwischen haben sich auch ein paar Mutige aus den USA vorgewagt und sich die inneren Angelegenheiten vorgenommen: Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Senator John McCain kann sich mit der Idee der Spaltung genauso wenig anfreunden wie der frühere Zentralbankchef Alan Greenspan.

Die Risiken der Trennung sind enorm

Während die britische Zentralbank große Bargeldreserven nach Schottland schafft, um auf einen Sturm auf die Geldautomaten am Tag nach dem Referendum vorbereitet zu sein, beißen sich in fast allen Hauptstädten der EU die Staats- und Regierungschefs auf die Lippen und hoffen auf ein glimpfliches Ende dieser Spaltungsgeschichte. Denn die weitgehend einhellige Meinung sieht große Probleme für Europa und die Staatenwelt heraufziehen, sollte sich Schottland vom Königreich lösen.

Die größten Probleme müssen dabei die Rest-Briten selbst befürchten. Von der Rigorosität der Debatte überrumpelt traut sich kaum ein Politiker seiner Majestät, den Schotten vor der Abstimmung eine Zumutung zu bereiten. So fiel es dem Autor und Fernsehmann Jeremy Paxman zu, den "wahren Skandal" zu benennen: "Die Hälfte der Union ist von der Entscheidung über ihre Zukunft ausgeschlossen."

Und diese Zukunft sieht für England, Wales und Nordirland nicht rosig aus. Wäre Großbritannien geteilt, verlöre es einen bemerkenswerten Teil seines Staatsgebietes und seines Staatsvolkes mit unmittelbaren Folgen für sein weltpolitisches Gewicht. Die volkswirtschaftlichen Eckdaten würden Großbritannien auf der Rangliste der Weltökonomien nach unten drücken, das Stimmgewicht in internationalen Gremien bis hin zum Europaparlament müsste justiert werden.

Und obwohl die Mitgliedschaft im Club der sieben stärksten Industrienationen inzwischen eher willkürlich festgelegt wird, würde der britische Absturz Fragen über den Verbleib in den G 7 aufwerfen. Ökonomen gehen allemal davon aus, dass eine Spaltung tiefe Auswirkung auf den Finanzplatz London hätte, weil das Land auf Jahre mit seiner Selbstorganisation beschäftigt wäre und womöglich sein wichtigstes Bündnis aufgäbe: die Mitgliedschaft in der EU.

Rettung von links ist nicht zu erwarten

In Brüssel herrscht Konsens, dass eine Abspaltung der Schotten das britische Problem mit der EU nur verstärken und damit den Austritt aus der Europäischen Union beschleunigen würde. Die Argumentation geht so: Schottland garantiert als europafreundlichster Teil des Königreichs mit seinem linksliberalen Wählerpotenzial zumindest einen gesunden Widerstand gegen die antieuropäische Politik der Konservativen in London.

Fällt die schottische Stimme weg, werden sich die englischen Tories und die Ukip in ihrer Europakritik überbieten. Ein Regierungswechsel hin zu Labour mit der nächsten Unterhauswahl wäre eher unwahrscheinlich. Rettung von links ist also nicht zu erwarten. Die Tories müssten ihr Versprechen einhalten, ein EU-Referendum abhalten - und das würde den britischen Abschied bedeuten.

Europapolitiker in Berlin sehen diesem Szenario mit Sorge entgegen, weil dann die Balance in Europa zugunsten des Südens verschoben und auch noch das falsche Signal gesendet würde: Europa wächst nicht zusammen - Europa löst sich auf.

Falsches Signal für Europa

In einer Zeit, in der die Größe und Geschlossenheit eines Landes oder eines Bündnisses über die Konkurrenzfähigkeit auf der Welt entscheiden, wäre das ein fatales Signal. Noch nimmt Europa für sich in Anspruch, als weltgrößter Binnenmarkt Regeln und Standards für Politik und Wirtschaft zu definieren. Ohne die Briten und mit einem sich auflösenden Gebilde EU wäre die Glaubwürdigkeit geschmälert.

Ein ganz unmittelbares Problem mit der EU müssten die Schotten selbst lösen. Auch wenn die Spaltungsbefürworter die Logik leugnen: Es gilt als völkerrechtlich unstrittig, dass Rest-Großbritannien der legitime Rechtsnachfolger des Vereinigten Königreichs wäre. Damit aber wäre Schottland weder Mitglied der EU noch der Nato und müsste sich um Aufnahme bemühen.

Der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat eine unzweideutige Bemerkung dazu gemacht, als er zu den spanischen Querelen mit Katalonien gefragt wurde. Es ist unstrittig, dass er aber auch Schottland meinte. Edinburgh müsste sich nach einer Staatsgründung also offiziell um die Aufnahme in die EU bemühen.

Da Schottland ja bereits jetzt zum EU-Gebiet gehört, dürften die formalen Hürden nicht allzu groß sein. Den Bestand von mehreren Zehntausend Seiten an EU-Rechtsnormen durchzugehen, wird allerdings auch kein Spaziergang werden. Fachleute rechnen mit mindestens zwei Jahren, die Schottland bräuchte, um auf Herz und Nieren auf seine eigenständige EU-Mitgliedschaft getestet zu werden.

Auch Belgien sieht mit Sorge nach Schottland

Damit aber wären die politischen Hürden nicht beseitigt: Spanien würde mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Segen für die Aufnahme verweigern. Die Sorge: Hier wird ein Präjudiz geschaffen, das andere - wie die Katalanen - in ihrer Abspaltungsabsicht befeuert. Auch die Belgier sehen mit Sorge auf das schottische Vorbild. Eine Aufnahme müsste von allen EU-Mitgliedern einstimmig beschlossen werden.

Auch die Hoffnung auf eine schnelle Einführung des Euro in Schottland ist wenig begründet. Erstens müsste Schottland EU-Mitglied sein, um den Aufnahmeantrag zu stellen. Und zweitens muss seine Volkswirtschaft ihre Lebensfähigkeit unter Beweis gestellt haben. Das kann dauern.

Die britische Sonderrolle in der Welt könnte verschwinden

Bleibt das bedeutende Thema äußere Sicherheit, Verteidigung, Nato. Der Preis der Trennung wäre enorm. Rest-Großbritannien muss um seinen Status als Veto-Macht im UN-Sicherheitsrat fürchten, der sich auch aus seiner nuklearen Fähigkeit ergibt. Zwar wird niemand den Sicherheitsrat reformieren, das Gremium wäre aber mit einem Rumpf-Königreich wahrlich nicht stärker.

Ein wirkliches Problem stellt die britische Nuklear-Flotte da, die in der schottischen Marinebasis Faslane ihren Heimathafen hat. Die Unabhängigkeitsbefürworter haben bereits ein nuklearwaffenfreies Schottland versprochen, die U-Boote müssten also weichen. Aber wohin? In Großbritannien gibt es keinen geeigneten Hafen, die Umlegung würde nach Schätzungen zehn Milliarden Pfund verschlingen.

Dazu kommt ein grundsätzliches Problem: Großbritannien müsste die Flotte bald modernisieren - zu enormen Kosten. Westminster könnte sich deshalb gegen eine nukleare Streitmacht entscheiden und damit das Land endgültig aus seiner Sonderrolle in der Sicherheitspolitik lösen. Freunde der Abrüstung wird das freuen. Wer aber über strategische Gleichgewichte und Abschreckung nachdenkt, der sieht darin auch eine Gefahr.

Gegner der Spaltung ist wohl mehrheitlich das schottische Militär. Eine beeindruckende Gruppe schottischstämmiger Offiziere stellte sich gerade öffentlich gegen die Spaltung - aus Sorge um die Sicherheit des Landes, die enormen Kosten einer eigenen Streitkraft, die Einbindung und damit die Sicherheitsgarantien der Nato, und nicht zuletzt aus nostalgischen Gründen. Unterschrieben haben auch Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Dabei könnten sie noch weiter in der Geschichte zurückgehen: Vor 300 Jahren suchte Schottland nicht zuletzt wegen der Außen- und Sicherheitspolitik den Bund mit England. Geostrategie im frühen 18. Jahrhundert diktierte das Bündnis gegen Frankreich, außerdem winkten Freihandel und koloniale Abenteuer.

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