FC Bayern in der Champions League:Hochkarätige Elf ohne klare Idee

Es könnte so schön sein: Der FC Bayern empfängt zum Beginn der internationalen Saison Manchester City und steht damit gleich vor der ersten großen Herausforderung. Doch in diesen sorgenvollen Tagen wirken sowohl Mannschaft als auch Verantwortliche seltsam undefiniert.

Von Christof Kneer

Jaguttäh, hat Franz Beckenbauer gerade gesagt, Manchester City sei zurzeit "in einer sehr guten Verfassung", der FC Bayern dagegen "noch nicht". Franz Beckenbauer ist bei Bayern nur noch in seiner Funktion als Franz Beckenbauer tätig, und diese Funktion ist nicht mehr groß genug, um den Verein wirklich umzutreiben. Der Kaiser schlägt Alarm! oder Beckenbauer geht auf Bayern los! - es gab Zeiten, da hätten findige Boulevardreporter mit so einer Beckenbauer-Aussage eine ganze Wochen-Berichterstattung bestritten.

Manchester in sehr guter Verfassung, die Bayern noch nicht? Im Moment werden die Bayern bei so einem Satz höchstens mit den Schultern zucken und sagen: Jaguttäh, der Franz, vielleicht hat er sogar Recht.

Am Mittwoch bricht der FC Bayern in eine neue Champions-League-Runde auf, aber das ist bei diesem Verein normalerweise kein Anlass für besonderes Reisefieber. Die Münchner kennen in diesem Wettbewerb jede Landebahn, jede Stadt und jedes Hotel, und in diesem Jahr muss das Reisebüro im Grunde bloß die Unterlagen vom Vorjahr aus der Schublade ziehen. Wieder Manchester City, wieder ZSKA Moskau, fehlt bloß Viktoria Pilsen, dann wäre die Vorjahresvorrunde wieder komplett. "Manchester hat noch den gleichen Trainer und fast die gleichen Spieler", hat Pep Guardiola festgestellt, für den das natürlich eine erschütternde Nachricht ist.

Auf wen oder was soll sich dieser besessene Trainer denn jetzt 24 Stunden am Tag vorbereiten, wenn er alles schon auswendig kennt? Und wo soll der Reiz für Matthias Sammer liegen, der zur Feier des Alltags wieder in den bewährten "Mahn-Modus" verfallen ist, wie die Deutsche Presse-Agentur schreibt? "Wir müssen kämpfen, fighten, stabil sein, wir müssen die Vorrunde überstehen", rief Sammer routiniert und vergaß nicht anzufügen, was er immer anfügt: dass das "eine schwierige Aufgabe" werde.

Muss den Bayern nicht allmählich langweilig werden in diesem Wettbewerb, jedenfalls bis zum Frühjahr, bis vielleicht mal Chelsea kommt oder Real Madrid?

Champions League hat sich nicht verändert

Die Wahrheit ist: Den Bayern ist es vor dem Einstieg in eine Pflichtrunde selten so wenig langweilig gewesen wie im Moment. Die Champions League hat sich nicht verändert, sie ist und bleibt die altbekannte Liga, in der immer irgendwo Martin Demichelis mitspielt. Nur der FC Bayern, der kommt sich diesmal ein bisschen neu vor.

Es gibt kaum einen Verein, der so ein klares Selbstbild hat wie der FCB, aber ausgerechnet der Mia-san-mia-Klub wirkt gerade - wenn auch auf beneidenswert luxuriösem Niveau - etwas undefiniert. Das beginnt bei der Fußballmannschaft, deren Fußball zurzeit anders aussieht als der Fußball, der ihr vorschwebt; das setzt sich fort über die Spieler, die gerade nicht so genau wissen, was sie als Erstes suchen sollen: ihre Fitness, ihre Topform oder ihre Rolle auf dem Platz. Mal spielen Lahm und Alaba außen, mal innen, mal spielt der neue Rode, mal der junge Gaudino, mal verteidigt eine Dreier-, mal eine Dreieinhalber-, mal eine Viererkette; was sonst ein Ausweis für zielsichere Rotation und die hohe taktische Flexibilität dieses Trainers ist, wirkt gerade - bei allem Erfolg - ein wenig wahllos.

Guardiola muss seine Nach-WM-Bayern noch finden, er ist gerade leidenschaftlich auf der Suche. Er ist damit die stellvertretende Figur in einem Unternehmen, das ebenfalls "in einer gewissen Findungsphase" steckt, wie ein Klubfunktionär sagt.

Die Frage, wer wo spielt, beschäftigt den Klub gerade auf allen Ebenen. Zuletzt hat sich der Verein über eine "schäbige Kampagne" beschwert, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge hat die Medien im Stadionmagazin allen Ernstes für ihre "dumpfe und provinzielle Denkweise" gerügt; den Bayern missfällt es sehr, dass die große Zahl an Spaniern im Klub hinterfragt wird, sie haben beschlossen, in der Debatte nationalistische Züge zu entdecken. Dabei steht hinter der oberflächlichen Spanien-Frage eine viel größere, viel tiefgehendere Frage.

Es ist die Frage, wer im Moment das Copyright auf diesen FC Bayern besitzt.

Undurchsichtiges Innenleben des Klubs

Seit Uli Hoeneß - zumindest einstweilen - aus dem Klubleben verschwunden ist, fällt es den Leuten schwer, sich ein Bild vom Innenleben des Klubs zu machen. Was macht eigentlich Matthias Sammer? Was hat es zu bedeuten, dass die Bayern für den früheren Leverkusener Kadermanager Michael Reschke, einen sehr findigen Transferexperten, eine neue Planstelle als "technischer Direktor" erfunden haben? Und muss es nicht zwangsläufig der Spanier Guardiola sein, der die Spanier Xabi Alonso, Juan Bernat und Pepe Reina ins Mia-san-mia-Land geholt hat?

Der Trainer sei "nicht die treibende Kraft" hinter den Transfers gewesen, versichert einer, der die Genesis der Transfers kennt - was erst recht die Frage aufwirft, wer hier was nach wessen Bilde formt. Guardiola wirke wie immer hoch konzentriert und getrieben von der Suche nach dem perfekten Spiel, wird aus dem Bauch der Arena berichtet, aber er wirke auch unzugänglicher und tiefer versunken in seiner Pep-Welt.

Womöglich fühlt sich dieser hoch emotionale Trainer so unverstanden wie einer, der den von ihm hochgradig geschätzten Toni Kroos verliert und von den Vorgesetzten statt dessen Sami Khedira angeboten bekommt - einen verdienten Profi, dessen Qualitäten aber nichts mit den Qualitäten von Toni Kroos zu tun haben.

Uli Hoeneß war schon lange nicht mehr derjenige, in dessen Ressort Themen wie "Marktüberblick" und "Spielerexpertise" fielen, aber er hat am Ende viele Entscheidungen verantwortet, mit Autorität und dem Gespür für die Gesetzmäßigkeiten dieses speziellen Klubs. Zu den Emanzipierungsversuchen des Klubs gehört, dass er jetzt mehrere Autoritäten ins Spiel bringt; den Verlust des ewigen Führungsspielers Hoeneß versucht der Verein zu kompensieren, indem er mit Viererkette spielt. Transfers werden in der Runde Rummenigge/ Sammer/Reschke/Guardiola besprochen und beschlossen, und besiegelt werden sie unter anderem vom zunehmend präsenten Finanzchef Jan-Christian Dreesen.

Herausgekommen ist dabei eine Elf, der man die Arbeitsteilung ein bisschen ansieht. Sie ist und bleibt hochkarätig, aber sie folgt vielen Einflüssen, weniger der einen, klaren Idee; und sie wird im Zentrum befehligt vom Charismatiker Xabi Alonso, der angesichts der Verletztenmisere (Martínez, Thiago, Schweinsteiger) als geradezu brillanter Spontankauf gelten darf; für einen perspektivischen Transfer werden ihn aber nicht mal Wohlmeinende halten. Die Arbeitsteilung lasse sich gut an, sagen zwei der Arbeitsteilenden, aber wer in den Klub hineinhorcht, kommt zu dem Schluss, dass im Organigramm eine Lücke klafft. Die Planstelle Papa, seit Jahrhunderten von Hoeneß belegt, ist offenkundig unbesetzt. Der Sportchef Sammer wird von vielen im Klub vorwiegend als (sehr erfolgreicher) Mentalitäts-Tuner wahrgenommen; zum machtvollen Entwurf von großen Linien und zur glaubwürdigen Bearbeitung von internen Sorgen fehlt ihm unter anderem ein neuer Vertrag. Er ist ja selbst nur bis 2015 an den Klub gebunden.

"Wenn der FC Bayern möchte, dass ich lange auf dieser Position bleiben soll, dann möchte ich lange bleiben", hat Sammer gerade gesagt. Das klingt gut. Die Frage ist jetzt nur, wer der FC Bayern ist.

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