Roman "The Zone of Interest" von Martin Amis:Provokation als Geschäftsmodell

Martin Amis

Der britische Autor Martin Amis, aufgenommen im Februar 2008 in Barcelona

(Foto: dpa)

Martin Amis' Holocaust-Roman "The Zone of Interest" ist von der britischen Presse gut aufgenommen worden. Doch sein deutscher Verlag will das Buch nicht herausbringen. Warum?

Von Alexander Menden, London

Vor ein paar Jahren schlug Martin Amis vor, "Euthanasiehäuschen" an jeder Straßenecke in Großbritannien aufzustellen, in denen sich alte Menschen "mit einem Martini und einem Orden" verabschieden könnten. Es gab entrüstete Reaktionen, Amis sagte, er verstehe die ganze Aufregung nicht und verteidigte seine Bemerkungen als satirisch. Wieder einmal hatte der Autor seine Meisterschaft in der Kunst bewiesen, eine öffentlichkeitswirksame Kontroverse anzustoßen. Das ist Martin Amis immer wieder gelungen. Provokation ist sein literarisches Geschäftsmodell.

Aber nachdem bereits im August alle britischen Kritiken zu seinem neuen Roman "The Zone of Interest" gedruckt waren, schien es fast, als komme ausnahmsweise einmal ein Amis ganz ohne Skandal auf den Markt. Denn die Rezensionen waren überwiegend positiv: "Erfrischend seltsam" sei das Buch, urteilte der Daily Telegraph. Die Financial Times erkannte "künstlerischen Mut, finstere Komik und unbestreitbare moralische Ernsthaftigkeit". Der Independent und der Observer hielten "The Zone of Interest" sogar für Amis' besten Roman seit langem.

Dabei hat Amis scheinbar schon mit seinem Szenario alles dafür getan, Tabus zu brechen: Die interessante Zone, die der Titel umschreibt, ist "Kat Zet I", die lautmalerische Übertragung des deutschen Kürzels für Konzentrationslager. Hier siedelt Amis seine Geschichte an, die aus der Sicht dreier Figuren erzählt wird: Da ist Angelus "Golo" Thomsen, der äußerlich jedem arischen Klischee entsprechende Neffe Martin Bormanns. Da ist der KZ-Kommandant und Alkoholiker Paul Doll. Und da ist Szmul ("der traurigste Mann im Lager"), ein Häftling, der zur Beseitigung der Leichen gezwungen wird.

Sex spielt, wie immer bei Amis, eine große Rolle

Narrativ wird das Ganze lose durch Golos erotische Faszination für Hannah Doll zusammengehalten. Golo versucht, der Frau des Kommandanten zu helfen, das Schicksal ihres früheren Geliebten Dieter zu ermitteln, der von den Nazis inhaftiert wurde. Sex spielt, wie immer bei Amis, eine große Rolle in dieser KZ-Story; Golo Thomsen hält sich unter anderem an der sadistischen Aufseherin Ilse Grese schadlos. Die Macho-Attitüde, derer sich Amis auch sonst gern bedient, verschmilzt mit der grausigen Banalität alltäglicher KZ-Logistik.

Ein bisschen Skandal hat es dann doch noch gegeben, weil Martin Amis' bisherige Verlage in Deutschland und Frankreich, Hanser und Gallimard, von einer Publikation von "The Zone of Interest" absahen. Amis hat mittlerweile (wieder einmal) zu Protokoll gegeben, dass er nicht begreife, warum es da ein Problem gibt. Tatsächlich ist dieses Problem, zumindest im Falle einer möglichen deutschen Ausgabe, vielleicht gar nicht so sehr die KZ-Thematik im Allgemeinen oder die Einladung an den Leser, sich mit den Tätern zu identifizieren. Würden die Behauptung, dass auch Nazis sich verlieben können oder selbst die von Amis gezeichnete, surreale Komik der KZ-Realität tatsächlich ausreichen, einen deutschen Verlag vor der Publikation dieses Buchs zurückschrecken zu lassen? Immerhin passierte auch der nicht weniger spekulative erste KZ-Roman desselben Autors, "Pfeil der Zeit", anstandslos die Hürden des deutschen Verlagswesens.

Bei der Lektüre des englischen Originals erscheint vielmehr die Sprache selbst als ein Problem. Man beneidet nicht den Übersetzer, der sich an diesem Mischmasch aus Englisch und Deutsch abarbeiten müsste: "Her Brustwarten (sic) are excitingly dark", bemerkt Doll über ein paar "Titten". Wie würde man Pseudowörter wie "Uberschenkeln" übersetzen? Und wie einem deutschen Leser das Amüsement vermitteln, das ein des Deutschen Unkundiger mutmaßlich empfindet, wenn er liest, Golo "could clearly see the outlines of her Buste, the concavity of her Bauchnabel and the triangle of her Geschlechtsorgane"? Amis nennt diese Verwendung deutscher Vokabeln im Nachwort eine "Garnierung", als seien sie Petersilie auf seinen Sprachhäppchen.

Das nähert sich schon stark dem Niveau der gnadenlos albernen britischen Weltkriegs-Sitcom "'Allo 'Allo!" an. Und das in der gleichen (englischen) Erzählung, in der Golo Thomsen sich zwischendurch fragt, ob "die Geschichte des Nationalsozialismus sich in irgendeiner anderen Sprache" als der deutschen hätte "entfalten" können. Dabei stellt Amis durch seine Figur Szmul einmal selbst ganz ernsthaft die Frage nach den Grenzen der Sprache. Dieser schließt beim Versuch, die Geschehnisse im KZ aufzuschreiben: "Dieser Bleistift und diese Papierfetzen sind nicht genug. Ich brauche Farben, Klänge - Öl und Orchester. Ich brauche mehr als Sprache."

Amis hat den Roman unter anderen Paul Celan gewidmet. Celan sagte über Sprache nach Auschwitz, sie habe hindurchgehen müssen "durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede". Am Ende habe sie wieder zutage treten dürfen, "angereichert von all dem". Zwischen "Anreicherung" und "Garnierung" besteht ein gewaltiger qualitativer Unterschied. Es ist der gleiche Unterschied wie jener zwischen Celans "Todesfuge" und "The Zone of Interest".

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