Vergewaltigungen im Klinikum Bamberg:Abgründe eines Chefarztes

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Er soll die Frauen betäubt, missbraucht und dabei mehr als eine Million Fotos gemacht haben: Der Leiter der Gefäßchirurgie in Bamberg sitzt seit Mitte August in Untersuchungshaft. Seine Kollegen sind schockiert - und staunen über den Fall des angesehenen Mannes.

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Beim Klinikum Bamberg gehen immer noch Briefe ein von Menschen, die ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen wollen. Die Sympathie bekunden mit einem Mann, der seit vier Wochen in Untersuchungshaft sitzt. Und der dringend verdächtig ist, Taten begangen zu haben, die nicht nur am Klinikum für Fassungslosigkeit sorgen. Bis Mitte August war der 48-Jährige Chefarzt, in Bamberg leitete er die Abteilung für Gefäßchirurgie.

Drei Tage nachdem er zurück war aus dem Sommerurlaub, wurde er im Krankenhaus festgenommen. Ermittler, die eigentlich wegen Körperverletzung gegen den Arzt ermittelten, hatten auf seinem Computer Bilder gefunden, die offenbar dokumentieren, wie der Chefarzt sedierte Frauen in der Klinik sexuell missbraucht.

Hauptsächlich Patientinnen

Die Ermittler haben inzwischen eine Menge von Bildern sichergestellt, deren Zahl allein beklommen macht. Insgesamt habe man Aufnahmen im siebenstelligen Bereich analysiert, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Bardo Backert - eine Menge, die man lediglich mit Hilfe von Computerprogrammen habe zuordnen können. Eine Million Bilder, die offenbar sexuelle Handlungen dokumentieren? Die Zahl erkläre sich aus der Frequenz, mit der diese Bilder gemacht worden sind, sagt Backert.

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:Klinik kündigt Chefarzt

Er soll mehrere Frauen betäubt und vergewaltigt haben. Nun ist dem Chefarzt der Gefäßchirurgie in Bamberg gekündigt worden. Die Entscheidung fiel am Freitag in einer Sondersitzung.

Gefunden hat man sie auf mehreren Computern des Familienvaters, zum Teil waren sie verschlüsselt. Inzwischen sei man nahezu sicher, alle betroffenen Frauen identifiziert und verhört zu haben. Backert will die exakte Zahl der Betroffenen demnächst bekanntgeben. Nach SZ-Informationen liegt sie im unteren zweistelligen Bereich. Bei den Frauen soll es sich hauptsächlich um Patientinnen der Klinik handeln.

Im Haftbefehl gegen den Chefarzt war die Staatsanwaltschaft zunächst von vier Frauen ausgegangen, an denen sich der Arzt vergangen haben soll. Bei drei dieser Frauen gehen die Ermittler vom Tatbestand der Vergewaltigung aus. Der Arzt hat demnach Frauen zur Teilnahme an einer vermeintlichen Studie überredet, angeblich wollte der Mediziner über Krampfadern forschen. Die Frauen wurden sediert und im wehrlosen Zustand, so lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, in den Klinikräumen des Chefarztes sexuell missbraucht. Und dabei fotografiert.

Die vorgeworfenen Taten flogen erst auf, als eine Studentin, die in Bamberg ihr Praktisches Jahr ableistete, den Mann wegen Körperverletzung anzeigte. Die 26-Jährige legte dem Chefarzt zur Last, ihr ein Betäubungsmittel verabreicht zu haben, ohne sie darüber vorher in Kenntnis zu setzen. In ihrem Blut wurde das Mittel tatsächlich gefunden. Die Ermittler untersuchten also die Computer des Arztes. Und fanden in den nächsten Wochen insgesamt eine Million Bilder, die zum Teil nur bestimmte Körperregionen von Frauen abbilden.

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Sie wollten an einer Studie über Krampfadern teilnehmen. Doch die Untersuchung gab es gar nicht. Ein Chefarzt aus Bamberg nahm sie offenbar als Vorwand, um Patientinnen zu betäuben, zu missbrauchen - und dies zu fotografieren.

Von Olaf Przybilla

Die Fallhöhe dieses Mannes könne man sich kaum vorstellen, sagt ein leitender Arzt des Klinikums. Da galt einer bis vor fünf Wochen als hochdekorierter Gefäßchirurg, bei einer Versammlung seiner Zunft hätte er sich 2015 Hoffnungen machen können, zum Kongresspräsidenten der Gesellschaft für Phlebologie gewählt zu werden. Er ist Vorstand in einem der angesehenen Wohltätigkeitsklubs der Stadt und gern gesehener Gast in der VIP-Abteilung des prominentesten Vereins der Region, bei den Bamberger Basketballern.

Externer Coach kümmert sich um Mitarbeiter

Als humorvoller Charmeur gilt er in der Abteilung, die er leitet. Auch die Zahlen stimmen. Und dann kommt dieser Mann aus dem Urlaub mit der Familie zurück, wird noch in der Klinik festgenommen und zwei Tage später auch gekündigt. In dieser Woche ist der Ausschreibungstext für die Leitung der Gefäßchirurgie freigegeben worden, "wir werden die Stelle auf jeden Fall neu besetzten", sagt der Ärztliche Direktor Georg Pistorius. Auch wenn der Arzt juristisch gegen seine Entlassung vorgehe. Damit aber habe man gerechnet.

Und trotzdem gehen da diese Briefe ein in der Klinik, sagt Xaver Frauenknecht, der Klinikchef. Briefe von Menschen, die hinterlegt wissen wollen, was für ein charmanter Mann der beschuldigte Arzt ist, wie sehr er ihnen geholfen, wie integer er auf sie gewirkt habe. "Das macht auch die Dramatik dieses Falls aus", sagt Frauenknecht. Um die Mitarbeiter der Abteilung für Gefäßchirurgie kümmert sich inzwischen ein externer Coach.

Blick für die Physiognomie

Von "Problemen mit ihrer Selbsteinschätzung" berichtet Direktor Pistorius, mit denen man sie nicht allein lassen wolle. Immerhin ein leitender Arzt findet sich im Klinikum, der oft schon vor dem "seltsamen Heiligen aus der Gefäßchirurgie" gewarnt haben will. Aber dass der womöglich "solche Untiefen" habe - nein, das überfordere auch ihn.

Der Chef der Pathologie am Klinikum, Gerhard Seitz, sagt es so: Er habe einen Blick für die Physiognomie von Menschen, feine Strukturen zu erkennen, gehöre zu seinem Job. Aber "so betroffene Gesichter" wie nach der Festnahme des Kollegen habe er selten gesehen. Eine Million Bilder? Für Seitz, der auch Stadtrat ist in Bamberg, hat das "eine Dimension, wie ich sie mir bislang nicht habe vorstellen können".

© SZ vom 18.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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