Prozess in München:Mordversuch auf Klassenfahrt

Die Mahnung ihrer Lehrer, während eines Ausflugs nach München nicht mehr als zwei Bier zu trinken, ignorieren zwei Schüler aus Niedersachsen - mit fatalen Folgen: Sturzbetrunken greift der eine seinen Freund mit einer Bierflasche an. Vor Gericht wirkt der Angeklagte schüchtern.

Von Christian Rost

Die beiden Lehrer der Fachoberschule im niedersächsischen Osterholz hatten geahnt, dass ihre Schüler auf der Klassenfahrt über die Stränge schlagen könnten. Deshalb lautete die klare Ansage beim München-Besuch im Februar: "Nicht mehr als zwei Gläser Bier!" Die meisten Schüler, sie waren längst volljährig, hielten sich nicht daran.

Sie tranken ein Vielfaches der vorgegebenen Menge, für einen 21-Jährigen und einen 24-Jährigen endete das fatal. Sturzbetrunken attackierte der jüngere den älteren Schüler in einer Münchner Disco mit einer abgebrochenen Bierflasche. Seit Mittwoch muss sich Frank W. (Name geändert) wegen versuchten Mordes am Landgericht München I verantworten.

Frank W. lernte Industriemechaniker, sein 24-jähriger ehemaliger Mitschüler Automechaniker, ehe sie im Herbst 2013 wieder zur Schule gingen, um das Fachabitur zu erreichen. "Sehr gut verstanden" hätten sie sich, erzählt W., teils hätten sie auch zusammen gelernt. "Es gab nie Auseinandersetzungen." Dem Jugendalter waren sie jedenfalls entwachsen und hatten auch schon eine gewisse Lebenserfahrung gesammelt, als sie mit ihrer zwölften Klasse Anfang Februar nach München kamen, um MAN und das Verkehrsmuseum zu besuchen.

Dabei führten sich die jungen Männer aber auf wie pubertierende Halbwüchsige: Schon morgens in ihrem Hotel am Hauptbahnhof tranken sie Bier, auf dem Viktualienmarkt und im Hofbräuhaus ging es weiter. Im Weißen Bräuhaus erhöhten sie die Taktzahl und tranken Starkbier. "Lustig" sei es gewesen, so W., als sie dann wechselseitig ihre Handys mit Salz und Pfeffer am Wirtshaustisch eingerieben hätten. Nach Mitternacht, es war der 5. Februar angebrochen, landeten sie nach Auskunft des Angeklagten "stark betrunken" in der 089-Bar am Maximiliansplatz.

Zwei heftige Schläge ins Gesicht

Der Alkohol hatte das spätere Opfer offenbar aggressiv gemacht. Mit zwei Mitschülern aus der umherziehenden Gruppe soll sich der Automechaniker schon vor dem Barbesuch wegen Nichtigkeiten gestritten haben. Im 089 geriet er mit Frank W. aneinander. Aus unerfindlichen Gründen, so der Angeklagte, habe ihm sein Mitschüler zwei heftige Schläge ins Gesicht versetzt.

W. erlitt dabei einen Cut am Auge, das blau anlief, und verlor einen Teil von einem Schneidezahn. "Begeistert war ich nicht", sagt W. auf die Frage des Vorsitzenden der 2. Strafkammer, Norbert Riedmann, wie er sich danach gefühlt habe. "Zunächst wusste ich nach den Schlägen nicht, wo vorne und hinten ist", so W.

Die Reaktion des 1,96 Meter großen und 92 Kilo schweren Schülers ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Wie er in seinem Geständnis einräumt, schlug er zurück. Wie genau er auf seinen Mitschüler eingeschlagen und ob er dabei etwas in der Hand gehalten hatte, daran kann sich Frank W. vor Gericht nicht mehr erinnern. Eine Videokamera im Club hielt aber das Geschehen fest.

Opfer sinkt hinter dem Vorhang zusammen

Laut Anklage hatte der Automechaniker W. bereits den Rücken gekehrt und wollte weggehen, als der Angeklagte ihm zunächst von hinten eine Bierflasche auf dem Kopf zertrümmerte und mit dem abgebrochenen Flaschenhals dann noch mindesten fünf Mal auf den Hals- und Nackenbereich seines Mitschülers einstach. Das Opfer sank stark blutend hinter einem Vorhang zusammen, ein Stich hatte ihm im Genick einen Muskel durchtrennt. "Abstrakte Lebensgefahr" habe bestanden, so die Staatsanwaltschaft.

Die Security-Leute in der Bar hatten die Auseinandersetzung nur zum Teil mitbekommen, weshalb sie Frank W. zwar gleich ins Freie beförderten, sich aber nicht um den Verletzten hinter dem Vorhang kümmerten. Sie hatten ihn schlicht übersehen. Erst einige Zeit später wurde der 24-Jährige entdeckt und vom Notarzt in eine Klinik gebracht. Frank W. hatte sich nicht mehr um ihn gekümmert. Bis eine Polizeistreife eintraf - etwa eine Dreiviertelstunde nach der Attacke -, war er vor allem damit beschäftigt, wieder in die Bar hineinzukommen, was ihm die Türsteher verwehrten.

Von den schweren Verletzungen seines Mitschülers will er nichts mitbekommen haben: "Ich weiß noch, dass ich ihn geschlagen habe. Ich hatte aber nicht die Absicht, ihn zu töten", sagt der schüchtern wirkende junge Mann zum Richtertisch gewandt.

In einem Brief hat sich W. bei seinem Opfer entschuldigt und ihm als Täter-Opfer-Ausgleich 5000 Euro Schmerzensgeld gezahlt. Die Klassenfahrt war nach dem Vorfall sofort abgebrochen worden, an der Schule entbrannte eine Debatte über den Alkoholkonsum bei solchen Reisen. Der Prozess dauert an.

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