SPD-Chef Sigmar Gabriel:Verflixt und festgetackert

Sigmar Gabriel

Kämpft mit Kritik aus den eigenen Reihen: SPD-Chef Sigmar Gabriel.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Nach vielversprechendem Start in die große Koalition kämpft SPD-Chef Sigmar Gabriel mit schlechten Wahlergebnissen und Kritik aus den eigenen Reihen. In der Partei greift Ratlosigkeit um sich, weil die Sozialdemokraten nicht über Umfragewerte um die 25 Prozent hinauskommen.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Sigmar Gabriel wird am Samstag eine Rede halten, danach wird es eine Debatte geben, das Thema lautet: "Die digitale Zukunft unserer Gesellschaft". Und weil man bei der SPD schon in der Gegenwart total digital drauf ist, wird man sich Debatte und Rede im Internet ansehen können - und zwar nur im Internet. Ins Willy-Brandt-Haus wird man nämlich am Samstag nicht hineinkommen, wenn man nicht gerade bei der SPD arbeitet oder Delegierter des Parteikonvents ist. Der Parteikonvent ist eine Art kleiner Parteitag und tagt, abgesehen von der Sache mit der digitalen Zukunft, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Dabei dürfte es interessante Diskussionen eher zu den anderen Themen geben: zur Außenpolitik und vor allem zum Freihandelsabkommen TTIP, das unter den Genossen besonders umstritten ist. Vom linken Flügel kommen Forderungen, die Verhandlungen zu stoppen, was für Gabriel unangenehm ist - schließlich ist er nicht nur Parteichef, sondern auch Wirtschaftsminister. Und der Ärger um TTIP dürfte dieser Tage nicht die einzige Angelegenheit sein, die ihm eher mäßige Laune bereitet.

Es läuft derzeit nicht allzu rund für Gabriel, erstmals seit einem Dreivierteljahr häufen sich gerade ein paar größere und kleinere Widrigkeiten. Damals, im letzten Quartal 2013, führte er seine Partei gegen große Widerstände in das Bündnis mit der Union, drückte in den Verhandlungen erstaunlich viele Sozialdemokratismen in den Koalitionsvertrag und triumphierte beim Mitgliederentscheid. Nun, im Spätsommer 2014, passieren wieder ein paar Dinge, wie sie länger nicht passiert sind.

Kritik an Gabriel hatte es lange nicht gegeben

Da war der Wahlabend am vergangenen Sonntag, als Gabriel den von ihrer Niederlage sowieso gerade erst frisch gebeutelten Thüringern auch noch vor den Kameras die Schuld am Ergebnis zuschob. Sogleich folgte am nächsten Tag die Reaktion: Im Parteipräsidium, dem obersten Führungsgremium, gab es Kritik an Gabriels Äußerungen - zunächst in Abwesenheit, weil Gabriels deutlich zu spät kam. Unsolidarisch sei Gabriels Verhalten gewesen, so wurde unter anderem Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke später zitiert.

Direkte Kritik am übermächtigen Vorsitzenden, das hatte es länger nicht gegeben. Am Mittwoch dann dichtete die Bild-Zeitung Gabriels ehemaliger Generalsekretärin Andrea Nahles Ambitionen auf die Kanzlerinnenkandidatur 2021 an. Bemerkenswert war das weniger wegen der mehr als gewagten Annahme, derlei ließe sich sieben Jahre im Voraus planen - sondern wegen der Einschätzung, 2017 könne die SPD wegen abermaliger Aussichtslosigkeit einen "Pro-forma-Kandidaten aufstellen". Gabriel, der ja gemeinhin als natürlicher Kandidat für eine Wahl in drei Jahren gilt, wurde nicht einmal erwähnt.

Derartige Unverfrorenheiten wären Anfang des Jahres noch nicht denkbar gewesen.

Hinzu kommen die Wahlergebnisse der vergangenen Wochen: Während die SPD in Brandenburg unangefochten ist, gab es in Sachsen zwar einen Zuwachs, aber am Ende eben auch nur gut zwölf Prozent. Genau wie in Thüringen, wo die Sozialdemokraten von mehr als 18 Prozent abstürzten.

Mindestlohn und Rente mit 63 nutzen für Umfragen wenig

In den ersten Monaten des Jahres war die SPD noch ziemlich zufrieden mit sich: Von der Rente mit 63 bis zum Mindestlohn bekomme man ein Herzensthema nach dem anderen durch, man streite nicht untereinander und sei geschlossen wie selten - so hörte man es von vielen Genossen. In der zweiten Jahreshälfte hört man das zwar immer noch - allerdings mit einem Zusatz versehen: Und was nützt es uns?

Nichts, zumindest nicht in den Umfragen. Da hat offenbar irgendeine finstere demoskopische Macht die SPD bei einem Wert um die 25 Prozent festgetackert. Was sie auch tut, sie bewegt sich nicht von dort weg. Und die Europawahl im Mai? Da legten die Sozialdemokraten dank ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz zwar im Vergleich zu 2009 deutlich zu. Über 27,3 Prozent kamen sie trotzdem nicht hinaus.

Um den Kanzler zu stellen, ist das zu wenig - zumal an der SPD-Spitze allmählich die Befürchtung wächst, die unschlagbar beliebte Kanzlerin könnte 2017 wieder antreten. Und angesichts der Zustände in der Linken glauben derzeit nicht einmal berufsmäßige Verfechter eines rot-rot-grünen Bündnisses, dass es damit 2017 klappt.

Gabriel nervös? Ganz und gar nicht

Wird Gabriel da nicht nervös? Ganz und gar nicht, versichern seine Leute. Man arbeite in Ruhe und denke in langen Linien. Allerdings verlaufen manche dieser Linien in eine Richtung, mit der nicht alle einverstanden sind. So hat sich Gabriel von der noch im Wahlkampf propagierten Umverteilung vorerst verabschiedet und setzt nun auf Wirtschaftsfreundlichkeit - ein Profil, wie es übrigens bestens zum gescheiterten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück gepasst hätte.

Doch gegen Gabriels Kurswechsel regt sich Widerstand. In einem Strategiepapier machte Carsten Sieling, Sprecher der Parlamentarischen Linken, kürzlich klar, was mit ihm und seinem Flügel zu machen ist und was nicht. "Eine vernünftige Verteilungspolitik ist nicht Gegensatz, sondern Voraussetzung für eine vernünftige Wachstumspolitik", schrieb er. Und weiter: "Machen wir nicht den Fehler, den politischen Gegner von heute mit seinen Rezepten von gestern zu kopieren."

Die Ursachen für ihr 25,7-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl hat die SPD nie ernsthaft aufgearbeitet. Stattdessen folgte man Gabriels Vorgabe, nun erst mal gut zu regieren - schließlich erweckte der Vorsitzende den Eindruck, er habe eine Idee, wie man aus dieser großen Koalition stärker herauskommen werde als aus dem ersten Bündnis mit Angela Merkel. Damals standen für die SPD am Ende 23 Prozent.

Noch sind es drei Jahre bis zum nächsten regulären Wahltermin, doch auf eine Sache darf man sich schon mal festlegen: Auch die "digitale Zukunft unserer Gesellschaft" wird nicht das Thema sein, das die Genossen wieder über 30 Prozent hievt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: