Islamistische Jugendliche:Diskussion statt Dschihad

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Ihre Mission ist der Heilige Krieg: 400 junge Männer sollen in den Irak und nach Syrien gereist sein. Angeworben von Extremisten in Deutschland. Was tun, damit Jugendliche nicht zu Gotteskämpfern werden? Fragen an Dirk Sauerborn, der in Düsseldorf ein Beratungsangebot für muslimische Jugendliche leitet.

Von Felix Hütten

Der 21-jährige Ahmet C. soll sich und 54 weitere Menschen am 19. Juni im Irak in die Luft gesprengt haben. Im Auftrag der Terrormiliz "Islamischer Staat", dafür spricht im Moment alles. Der Jugendliche kam aus Ennepetal, einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen, und wurde dort von den Extremisten angelockt.

Um Jugendliche wie Ahmet C. vor gewaltbereiten Salafisten zu schützen, gründete sich im März der Verein Wegweiser in Düsseldorf. Zwei muslimische Berater bieten dort Gespräche an, sie besuchen Schulen und Sportvereine, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu kommen. Und doch hat es der Verein schwer, die jungen Menschen zu erreichen. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden von Wegweiser, Dirk Sauerborn.

SZ.de: Herr Sauerborn, melden sich häufiger Menschen bei Ihnen, seitdem die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Syrien und im Irak wütet?

Dirk Sauerborn: Wir spüren tatsächlich einen Zulauf. Wir bekommen beinahe täglich E-Mails und Anrufe mit Fragen und Hilferufen. Gerade habe ich mit einem Mitarbeiter des Sozialamts gesprochen, der von Streitigkeiten zwischen Muslimen und Jesiden berichtet hat. Gestern rief mich jemand von der Arbeitsagentur an, der von muslimischen Bewerbern erzählte, die religiöse Äußerungen machten, die er nicht einordnen konnte. Uns rufen Eltern an, die um ein Gespräch bitten, weil ihr Sohn kaum mehr nach Hause kommt und nur noch über den Islam redet.

Wenn Sie einen Hilferuf bekommen, wie gehen Sie vor?

Zunächst hören wir einfach zu. Wenn wir einen Jugendlichen beraten, möchten wir wissen, welche Fragen und Sorgen er hat. Häufig werden die Jugendlichen diskriminiert. Wir bieten zudem an, über seinen Glauben zu sprechen. Anschließend führen wir ein pädagogisches Gespräch, um zu erfahren, welche Ressourcen der Jugendliche mitbringt. Wir fragen uns dann, wie wir ihn stärken und fördern können.

Wie zum Beispiel?

Wir hatten vor kurzem einen Jugendlichen, der war überzeugt von den Inhalten pseudosalafistischer Propagandavideos im Internet. Wir haben dann ein Gespräch mit einem Imam vermittelt, der mit ihm fünf Stunden lang über Glaubensfragen diskutiert hat. Für den Jugendlichen war das eine ganz neue Erfahrung, dass sich jemand fünf Stunden Zeit für ihn nimmt, um mit ihm auf Augenhöhe über seinen Glauben zu sprechen.

Was genau wird bei so einem Gespräch geklärt?

Manche Jugendliche verweigern zum Beispiel die Schule, weil sie von Lehrerinnen unterrichtet werden. Weil auf dem Schulhof Mädchen sind, die sich ihrer Meinung nach nicht muslimisch verhalten. Es ist oftmals ein Wechselspiel zwischen dem Gefühl, selbst diskriminiert zu werden und dem Bedürfnis, Dinge einzufordern, die aus einer vermeintlichen islamischen Wahrheit heraus kommen. Wenn andere Muslime dann nicht entsprechend reagieren, werden sie oftmals von den Jugendlichen als Ungläubige bezeichnet. Wir wollen genau diese Einstellungen und Werte diskutieren, hinterfragen und Orientierung bieten.

Hilft der Verein Jugendlichen, aus radikal-salafistischen Kreisen auszusteigen?

Wir sind kein Aussteigerprogramm. Wir arbeiten präventiv und wollen, dass Jugendliche gar nicht erst einsteigen. Einige Jugendliche haben sich allerdings schon bei uns gemeldet, die sehr in der Szene verhaftet waren. Wir helfen diesen Jugendlichen natürlich. Wenn möglich, auch sehr konkret: In einem Fall haben wir uns um eine Wohnung in einem anderen Stadtteil bemüht, damit der Jugendliche nicht ständig auf alte Bekannte aus der Szene trifft.

Die Extremisten ködern Jugendliche mit einfach nachvollziehbaren Argumenten, zum Beispiel Kriegsverbrechen der US-Streitkräfte im Irak.

Wir versuchen mit unserer Argumentation wegzukommen von diesem Schwarz-Weiß-Denken. Wichtig ist uns aber auch: Keine Grundsatzdiskussion über Politik und das Leben allgemein zu führen, sondern konkret über Probleme zu sprechen, die der Jugendliche lösen kann. Wenn die Jugendlichen unreflektiert der Meinung sind, dass alles, was aus dem Westen kommt, von großem Übel ist, können wir nur schwer entgegensteuern.

Im Internet kursieren Propagandafilme, die bei Jugendlichen sehr beliebt sind. Wie gehen Sie damit um?

In Schulen und Freizeittreffs sprechen wir mit den Jugendlichen über solche Videos, wir thematisieren die Aussagen und versuchen sie mit Gegenargumenten zu versehen. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass diese vermeintlich tolle, spannende, oft auch anarchistische Welt so nicht existiert.

Und doch lassen sich Jugendliche von radikal-salafistischen Gruppen anlocken.

Die Jugendlichen werden in den Gruppen willkommen geheißen, sie fühlen sich in einer Gemeinschaft, werden gebraucht und anerkannt. Dazu kommt immer wieder die Gier nach Abenteuer und Abgrenzung vom Elternhaus. Manchmal ist es nur vom Zufall abhängig, ob ein Jugendlicher in die Falle von rechten Extremisten oder von Pseudosalafisten tappt. Das zu erkennen, ist Aufgabe von uns allen.

Sie vermeiden den Begriff der Salafisten, stattdessen sagen Sie Pseudosalafisten. Warum?

Manche Muslime sagen uns, dass sie im Grunde auch Salafisten seien und sich rückbesinnen auf die Anfangszeit der Religion - und gleichermaßen unsere Demokratie schätzen und anerkennen. Um diese Muslime geht es nicht bei unserer Arbeit. Wir meinen den gewaltbereiten Salafismus, die Religion, die von wirren Köpfen und Verbrechern missbraucht wird, wie es in Syrien und im Irak zurzeit passiert. Die richtigen Begriffe können Vertrauen schaffen, weil sie Muslime nicht automatisch als Radikale abstempeln. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass der allergrößte Teil der Muslime in Deutschland absolut friedlich lebt und mit Terror nichts zu tun hat.

Der Verein Wegweiser hilft jungen Menschen, die mit gewaltbefürwortenden radikal-salafistischen Strömungen in Verbindung gekommen sind. Er bietet Kontakt über eine Hotline und in einer Sprechstunde und berät an Schulen und in Jugendtreffs. Das Angebot gibt es in Düsseldorf, Bochum und Bonn, es wird von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen finanziell gefördert.

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