Deutsche Volleyballer bei der WM:Zwei-Meter-Männer mit Tränen in den Augen

Grozer Gyorgy,Amir Ghafour,Farhad Ghaemi

Georg Grozer (im dunklen Trikot) schüchtert Gegner ein. Ob es reicht, um ins WM-Finale zu kommen?

(Foto: AP)

Noch nie haben die deutschen Volleyballer bei einer WM eine Medaille gewonnen, nun stehen sie tatsächlich im Halbfinale. Der mächtige Georg Grozer führt die Mannschaft an. Ein Bad Boy, der nichts mehr hasst als: zu verlieren.

Von Sebastian Winter

Vital Heynen kann ein launiger Redner sein, der Volleyball-Bundestrainer würzt seine Worte oft mit einer Prise Ironie. Das Stilmittel der Übertreibung setzt der Mann aus Maaseik dagegen eher selten ein, öffentlich zumindest. Am Mittwochabend aber, nach dem 3:0-Erfolg der Deutschen gegen den Iran, rief Heynen einfach nur in die Mikrofone: "Das Wunder von Kattowitz!"

Der Weltranglisten-10. steht nun im WM-Halbfinale in Polen, was kein Wunder ist, aber als größte Überraschung des Turniers gelten darf. Gegner in der Runde der letzten Vier sind die Polen, die Russland in fünf Sätzen besiegten; das zweite Halbfinale bestreiten Frankreich und Brasilien. Schon jetzt ist klar, dass die deutsche Mannschaft am Samstag krasser Außenseiter ist. Zugleich kann sie Historisches erreichen, denn ihr Medaillentraum ist zum Greifen nah.

Nie hat eine bundesdeutsche Mannschaft Edelmetall bei einer WM gewonnen, die DDR war 1970 Weltmeister geworden. Selbst den mächtigen Diagonalspieler Georg Grozer schien dieser Gedanke nach dem Semifinal-Einzug ein wenig zu erdrücken: "Ich habe Tränen in den Augen", sagte der Zwei-Meter-Mann.

Mit Grozer, dessen Vorname in seiner Heimat Ungarn György lautet, steht und fällt das deutsche Spiel, so ist das seit Jahren, und so wird es auch in den beiden letzten WM-Spielen am Wochenende sein. Gegen Iran verwandelte der 29-Jährige zwei Drittel seiner 26 Angriffe. Im dritten Satz kam er beim 9:12-Rückstand zum Aufschlag, seiner gefürchteten Waffe, der Gegner punktete erst wieder, als es 18:12 für Deutschland stand. Reflexartig wird bei solchen Gelegenheiten dann immer Grozers Spitzname bemüht, der Hammerschorsch.

Grozer sticht als kompromissloser Anführer mit Bad-Boy-Qualitäten aus einer Mannschaft heraus, die ansonsten eher ein zu braves Antlitz hat. Grozer hasst es einfach, zu verlieren, zugleich ist er nicht mehr so launisch wie noch vor Jahren, als er nach zwei, drei Angriffen in den Block die Lust verlor und in Selbstmitleid versank.

Die Vereins-Karrieresprünge von der Jugendzeit in seiner Geburtsstadt Budapest über die Bundesliga-Stationen Moers und Friedrichshafen, den polnischen Klub Rzeszów bis hin zu seinem aktuellen russischen Verein Lokomotiv Belgorod haben ihn reifen lassen. Mit Belgorod gewann Grozer in diesem Jahr schon die Champions League und die Klub-WM, aber mit der Nationalmannschaft reichte es bislang nur zu Platz fünf bei den Olympischen Spielen von London und Rang sechs bei der EM 2013.

Keine Ein-Mann-Show

Grozer ist dennoch längst in die internationale Spitzenklasse aufgestiegen - geprägt von seinem impulsiven Vater Georg Grozer senior, Magic Schorsch, der mit Moers in den Neunzigerjahren deutscher Meister und Pokalsieger wurde und den europäischen CEV-Cup gewann. Doch während der Vater auf dem Feld gerne mal den Gegner oder die eigenen Mitspieler mit Schimpftiraden verunsicherte, ist sein Sohn viel weniger impulsiv, ruhiger, bescheidener. Sein Image auf dem Feld stimmt dabei gar nicht mit seinem Wesen außerhalb der Linie überein.

So ruft Grozer vor Spielen immer seine polnische Frau Violetta und die beiden Töchter im gemeinsamen Haus in Moers an. Die Familie, die Grozer zunächst nach Russland folgte, ist wieder dorthin zurückgezogen, weil die ältere Tochter eingeschult wurde. Zweimal sieht Grozer seine Familie in sieben Monaten russischem Winter, auch deshalb sagt er, dass seine Karriere nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro zu Ende geht. Sie sind - mit dieser Weltmeisterschaft in Polen - sein letztes großes Ziel.

In Kattowitz, wo die Deutschen seit mittlerweile drei Wochen wohnen und spielen, sagte Grozer am Mittwochabend noch: "Ich habe immer an uns geglaubt." Grozer weiß, dass er nicht mehr der Alleinunterhalter im deutschen Spiel ist, sondern starke Nebenleute hat, die in letzter Zeit viel Erfahrung im Ausland gesammelt haben.

Denis Kaliberda etwa besticht durch seine starke Annahme, außerdem gehört er zu den erfolgreichsten Angreifern des Turniers. Marcus Böhme zählt zu den drei besten Blockspielern dieser WM, und würde Zuspieler Lukas Kampa Grozer und seine Kollegen nicht so beeindruckend in Szene setzen, wären die Deutschen längst gescheitert. Kapitän Jochen Schöps füllt die Rolle des Ruhepols aus, der ins Spiel kommt, wenn Grozer eine Pause braucht.

Es ist also keine Ein-Mann-Show, die Georg Grozer in Kattowitz zeigt, auch er hatte schwache Spiele, die die Deutschen gewannen. Am Wochenende wird das nicht mehr funktionieren. Grozer weiß das, er ist vorbereitet.

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