#endlichfreitag zum Großraumbüro:WG des Wahnsinns

Kolumne #endlichfreitag

Im Großraumbüro sind Einsamkeit und Stille Sehnsuchtsware.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Das Klimasystem ist angeblich intelligent - in jedem Fall böse. Und die Kollegen? Schneiden Fingernägel, züchten Schimmel oder atmen einfach nur. Über die Leiden im Großraumbüro.

Von Johanna Bruckner

Seine Familie kann man sich nicht aussuchen. Aber man kann ihr wenigstens entfliehen. Anders im Job: Vor Großraumbüro und Kollegen gibt es kein Entkommen - außer man kündigt (aber wer kann sich das schon leisten?). Die Beklemmungsgefühle, die einen allmorgendlich beim Betreten des künstlich angelegten Schreibtischwaldes überfallen, sind nichts gegen ein paar Nächte im Jahr unter einem Jugendzimmer-Posterhimmel.

Wobei: eigentlich greift die Waldanalogie zu kurz. Ja, die Lichtverhältnisse sind oft diffus und es riecht gerne ein bisschen modrig. Und manchmal wähnt man sich in einem Remake von Blair Witch Project. Der Schreibtischwald scheint einem feindlich gesinnt, wohin man sich wendet, es gibt kein Entrinnen. Hinter der Fensterscheibe ist nicht frische Luft, sondern noch mal Glas (Sicherheitsgründe, heißt es). Trotzdem sitzt man dauernd im Zug. Das Klimasystem ist angeblich intelligent - in jedem Fall böse. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer brüllend heiß, und ganzjährig schmerzen die Augen, weil Luftfeuchtigkeitswerte wie in der Atacama-Wüste herrschen.

Aber das Drohpotenzial eines Waldes liegt nicht zuletzt in der Ruhe und Einsamkeit. Beides ist im Großraumbüro Sehnsuchtsware. Dort sind es die Kollegen und ihre Eigenheiten, die den Alltag zur Nervenprobe machen. Insofern ist das Großraumbüro eher eine Zweck-WG. Allerdings verfolgen die Mitbewohner mit unterschiedlichen Mitteln ein und dasselbe Ziel: Die Kollegen in den Wahnsinn treiben. Eine Typologie.

Der Krachmacher

Auf seinem MP3-Player läuft "Maria (I Like It Loud)" in der Version von Scooter. Woher Sie das wissen? Ganz einfach, der Songtitel ist das Lebensmotto des Kollegen, ob morgens beim Musikhören in der S-Bahn (lesen Sie hier, welche Tücken auf dem Arbeitsweg sonst noch lauern) oder tagsüber im Büro. Über sein "Guten Morgen!" freuen sich noch die Kollegen drei Zimmer weiter (und die haben tatsächlich Grund zur Freude, weil sie die Begrüßung ohne begleitenden Hörschaden erreicht). Das Beantworten einer E-Mail kommt bei ihm auf 70 Dezibel; damit ist er beim Tippen in etwa so laut wie ein Rasenmäher. Wenn er seinen USB-Stick mit der Präsentation für den 14-Uhr-Termin sucht, klingt das, als hätte nebenan am Schreibtisch eine Großbaustelle aufgemacht.

Und wehe er nimmt den Telefonhörer zur Hand! Dann hilft nur noch der Griff zu den Ohrstöpseln. Doch da ploppt eine Chat-Nachricht auf: "ALLES OKAY BEI DIR!!!???", fragt der Krachmacher in voller digitaler Lautstärke.

Die Körperbewusste

Auf ihrem Schmink-, pardon Schreibtisch eine parallel zum Computermonitor ausgerichtete Phalanx an Kosmetika. Links außen das Deo, ganz rechts der Lippenstift, Ton "Wilde Malve". Die Spraydosen, Tuben und Tiegel sind im Dauereinsatz. Alle halbe Stunde erneuert sie ihren Handcremefilm (dessen Spur zuverlässig wie Fingerabdrücke beweist, wo die Kollegin wann war). Alle 60 Minuten wird das Make-up im Taschenspiegel gecheckt (in den Restaurationsphasen ist sie nicht ansprechbar). Und obwohl die Körperbewusste eine resistente Parfumwolke umgibt, schiebt sie dreimal am Tag das Deo unter die Designerbluse: "Ich schwitz' heut wieder! Schwitzt ihr nicht?" Pfffff. Pfffff.

Es beginnt mit einem stakkatomäßigen Zucken des Fußes

Schlimmer noch als die permanente Geruchsbelästigung sind nur ihre "Mani-Tage". Wann immer ihre Kosmetikerin nicht greifbar ist, packt sie ihr Necessaire im Büro aus ("So gutes Licht hab' ich zuhause nicht!"). Erst wird der Fingernagelüberstand quer durch den Raum geknipst, im Anschluss schrappt die Feile. Wo waren noch mal die Ohrstöpsel?

Der Zappelphilipp

Es beginnt mit einem stakkatomäßigen Zucken des rechten Fußes. Dann fangen die Finger der einen Hand an, nervös auf die Tischplatte zu tippen, während der Daumen der anderen Hand einen Kugelschreiber bearbeitet. Zum Schluss nickt der Kopf - aber niemand hat eine Frage gestellt. Dann ist plötzlich Schluss, nur damit es zwanzig Minuten später von vorne losgeht, dieses Crescendo nervtötender Körperbewegungen.

Die Botanikerin

Nein, die Botanikerin kümmert sich nicht um die Pflege der Büropflanzen. Viel zu profan. Sie züchtet lieber selbst - wobei nein, das wird ihr eigentlich auch nicht gerecht. Sie schafft neues Leben, kreiert Welten, und das Ganze in ihrer Schreibtischschublade. Dort hortet sie im Sommer Pfirsiche, im Winter Mandarinen, und zwischendurch Äpfel und eine Bananen. Standardzitat: "Nein, ich mach' keine Diät, ich achte auf meine Gesundheit!" Schön wär's. Denn den Verlockungen von Kantine und Caféteria kann die Botanikerin dann doch nicht widerstehen, und das Obst vergammelt im Souterrain des Schreibtischs.

Das tut lebensmittelbewussten Mitmenschen nicht nur in der Seele weh, das Schimmelbiotop stinkt auch zum Himmel. Da ist man fast froh um das Duftarsenal der körperbewussten Kollegin.

Der Atemvolle

Er atmet. Und ja, das ist schon zu viel.

Gott sei Dank ist Freitag, zuhause ist es doch am schönsten.

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