ESM-Kapital als Konjunkturpaket:EU will Rettungsgelder zweckentfremden

ESM-Kapital als Konjunkturpaket: Der künftige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwägt, mit Mitteln aus dem Schutzschirm ESM, klammen EU-Staaten unter die Arme zu greifen.

Der künftige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwägt, mit Mitteln aus dem Schutzschirm ESM, klammen EU-Staaten unter die Arme zu greifen.

(Foto: John Thys/AFP)

In Brüssel wird darüber nachgedacht, mit Geld aus dem Euro-Schutzschirm ESM die Konjunktur anzukurbeln. Die Bundesregierung ist nicht begeistert.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel, und Claus Hulverscheidt, Berlin

Die mit Schulden und hoher Arbeitslosigkeit ringenden Regierungen in Paris, Rom und anderen Krisenländern in Europa, warten gespannt auf November. Dann nämlich will nach eigenem Bekunden Jean-Claude Juncker, Präsident der nächsten EU-Kommission, ein Versprechen einlösen. Er will einen Plan vorstellen, wie die verschuldeten Hauptstädte investieren und neue Jobs schaffen können - ohne weiter ins Minus zu rutschen.

"Es ist möglich, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, ohne neue Schulden zu machen", hatte Juncker kurz vor seiner Wahl im Juli versprochen. "Dafür werde ich als neuer Kommissionspräsident stehen."

In diesen Tagen kontaktiert Juncker oft sein Netzwerk in den europäischen Chefetagen. Er ist auf der Suche nach Ideen, mit denen er das angekündigte 300-Milliarden-Euro-Investitionspaket füllen kann. Es soll konkrete Projekte sowie private und öffentliche Gelder umfassen.

Auf der Suche nach öffentlichem Geld, das ohne Neuverschuldung verfügbar ist, haben Experten eine ganz neue Idee an Juncker herangetragen. Sie wollen das im Euro-Rettungsfonds ESM vorhandene, aber nicht genutzte Geld "zeitlich und anteilig begrenzt" zum Anschieben von Investitionen nutzen. Juncker stehe der Idee positiv gegenüber, war in Brüssel zu hören. Der Präsident wollte sich nicht äußern, man arbeite mit Hochdruck an "politisch und technisch umsetzbaren Ideen", hieß es.

Keine Gelder aus dem Euro-Rettungsfonds ESM

Das Bundesfinanzministerium wies die Überlegungen, Gelder aus dem Euro-Rettungsfonds ESM vorübergehend als Investitionsmittel zu nutzen, zurück. "Von solchen Gedankenspielen halten wir nichts", hieß es. Der ESM fungiere als Euro-Rettungsfonds und habe einen festgelegten Auftrag. Auch müssten "Änderungen am Vertrag, die wir ablehnen, von allen ESM-Ländern ratifiziert werden".

Noch drastischer äußerte sich der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU). "Das wäre in der Tat ein Konjunkturprogramm - aber nicht für Europa, sondern für die AfD", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Der ESM solle den Euro stabilisieren und nicht destabilisieren, indem sein Grundkapital einfach ausgegeben werde. "So etwas ist vielleicht französische Politik, aber keine deutsche", erklärte Söder.

Die Protagonisten sehen das anders. Der Euro-Rettungsfonds, eingerichtet, um die finanzielle Stabilität der Euro-Zone zu sichern, werde absehbar keine weiteren Kredite an klamme Länder zu vergeben haben, heißt es in Brüssel. Ein großer Teil der Ausleihkapazität sei ungenutzt.

Von den 500 Milliarden Euro, die der Fonds vergeben kann, sind rund 50 Milliarden Euro an Spanien (41 Milliarden Euro) und Zypern (neun Milliarden Euro) verliehen. Und: Es liegen 80 Milliarden Euro fest als Eigenkapital - Milliarden, für die Regierungen, die jetzt in Defizitverfahren stecken, neue Schulden gemacht haben.

Ungenutzte Gelder für einen Investitionsfonds

Konkret sieht der Plan vor, einen Teil der ungenutzten Gelder in einen Investitionsfonds zu überführen, der unter dem Dach der Europäischen Investitionsbank EIB eingerichtet werden kann. Ein Sprecher der EIB wollte den Plan am Freitag nicht kommentieren. EIB-Kreise bestätigten jedoch, dass die Finanzminister der 28 Staaten die Investitionsbank mit der Europäischen Kommission beauftragt haben, zusammen mit den nationalen Hauptstädten und der Privatwirtschaft eine Liste von Investitionsmöglichkeiten vorzubereiten. EIB-Präsident Werner Hoyer hat dazu eine Task Force eingerichtet.

Die Bank prüfe vor allem Projekte, die in der Vorbereitung vergleichsweise weit gediehen sind, aber aus unterschiedlichen Gründen, etwa aufgrund finanzieller Risiken, nicht realisiert werden. Dazu gehören etwa moderne Telekommunikationsleitungen in wenig besiedelte Gebiete. Die Bank schaue sich an, wie diese Vorhaben gestartet werden könnten.

Brüssel will trotz des Widerstands aus Berlin nicht aufgeben

Über die Finanzierung laufen Gespräche. EIB-Präsident Hoyer hatte am Mittwoch dieser Woche in Luxemburg erklärt, die EIB stehe bereit. Es sei aber klar, dass die Bank zusätzliche Mittel benötige, um ihr gutes Kredit-Rating zu sichern. Das Rating sichert günstige Konditionen.

Am Freitag hieß es in der EIB, über die Finanzierung und die Absicherung von Risiken werde erst entschieden, wenn die Projektliste stehe. Es sei Sache der Anteilseigner der Bank, also der 28 EU-Mitgliedstaaten, darüber final zu befinden.

In Brüssel und Luxemburg wollen die Protagonisten trotz des Widerstands aus Berlin nicht aufgeben. "Spätestens, wenn einzelne Hauptstädte beim ESM anklopfen und sagen, sie brauchen ihr Geld zurück, wird Berlin einlenken. Investitionen sind das kleinere Übel gegenüber Auszahlen", hieß es. Ein hoher EU-Diplomat sagte in Brüssel, zunächst scheine der Plan "unmöglich". Aber wenn es politisch dringend sei, werde alles ermöglicht.

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