Dieter Reiter beim Anzapfen:Dreieinhalb Schläge für das erste Fass

Für einen Münchner Oberbürgermeister ist das Anzapfen eine wichtige Amtshandlung - die kann einen schon nervös machen. Doch Dieter Reiter bleibt bei seiner Feuertaufe cool. Allerdings sind in der Nach-Ude-Ära die Erwartungen hoch.

Von Thierry Backes

Vielleicht war es Kalkül. Vielleicht hat der Moderator versucht, Dieter Reiter ein wenig nervös zu machen. Der schönen Bilder wegen, wenn es in alle Richtungen spritzt. Am Ende hat Christoph Deumling den neuen Münchner Oberbürgermeister so lange ausgefragt, dass das Bier im Schottenhamel auf der Wiesn diesmal nicht um 12.00:00 Uhr fließt wie geplant, sondern erst drei, fünf, zehn Sekunden später.

Gespritzt hat es trotzdem nicht. Dieter Reiter ist cool geblieben bei seinem ersten Mal auf dem Oktoberfest. Er hat den ersten Hirschen im Festzelt mit vier Schlägen angezapft. Oder besser: "Mit dreieinhalb", wie Ministerpräsident Horst Seehofer später sagt, "der letzte war nur zur Sicherheit." Womit er wohl Recht hat, die Meinung teilen sie zumindest auch oben in der Ratsboxe.

Und selbst Dieter Reiter hat erkannt, dass es den letzten Hieb wohl nicht mehr gebraucht hätte. "Der ist drauf!", ruft er ins offene Mikrofon, einige wollen sogar ein "Scheiß drauf!" gehört haben, danach sagt er jedenfalls: "Wurscht!" Wer das alles von oben auf der Pressetribüne beobachtet hat, der hat nach diesem Ausspruch ein ganz kurzes Zögern in Reiters Gesicht erkennen können. Erst als er registriert, dass er ja noch etwas Offizielles zu verkünden hat, ruft er: "O'zapft is! Auf eine friedliche Wiesn!"

"Ich habe ja noch ein paar Jahre zum Üben"

Reiter hat alles richtig gemacht. Er hat das erste Spaten-Fass zwar nicht mit zwei Schlägen angezapft wie Christian Ude in den vergangenen Jahren, aber: "Ich habe ja noch ein paar Jahre zum Üben." OB Thomas Wimmer benötigte 1950 sogar 17 Schläge. Und, auch das vergisst Reiter nicht zu erwähnen: Bei seinem ersten Mal habe Vorgänger Ude sieben Schläge gebraucht.

Ude, der jahrelang die Hauptrolle beim Anstich gespielt hatte, beäugt diesmal als Ehrengast von der Stadtratsempore aus die Feuertaufe seines Nachfolgers. Das Verhältnis zwischen Reiter und Ude scheint sich wieder gebessert zu haben. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Ex-OB vergangene Woche war zumindest von den Animositäten des Wahlkampfs kaum mehr etwas zu spüren. Ein paar Nadelstiche konnte sich Ude allerdings nicht verkneifen. Und auch jetzt setzt er die Erwartungen hoch, als er gefragt wird, wie viel Schläge Reiter brauche: "Ich tippe zwei plus einen Sicherheitsschlag."

Ministerpräsident Seehofer setzt sogar auf zwei: Der Reiter sei kräftig, trainiert und nervenstark, lobt er direkt vor dem Anstich. Oder will er zusätzlich Druck aufbauen? Fest steht: In der Nach-Ude-Ära sind die Erwartungen hoch.

Und der Druck, der auf Reiters Schultern lastet, ist ziemlich hoch. Da hilft es auch nicht, dass der SPD-Politiker vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt bereits zwei Jahre Wiesn-Chef war. Reiter weiß, dass auf dem Oktoberfest eine der wichtigsten Amtshandlungen ansteht, die es für einen Münchner OB gibt. Wer beim Anzapfen versagt, sagt man an der Isar, der kann nicht lange Oberbürgermeister bleiben. Naja, zumindest wäre ein Millionenpublikum bei einer Blamage Zeuge.

"Ich habe Seehofer versprochen, dass er trocken bleibt"

Damit es keine Blamage gibt, hatte Reiter wie Ude mit dem erfahrenen Brauer Helmut Huber vorab geübt. Ob er nervös gewesen sei, das ist eine Frage, die Reiter an diesem ersten Wiesntag dennoch dutzende Male beantworten muss. Christian Schottenhamel, der Festwirt, hat ihm sie auch gestellt bei Einzug der Wiesnwirte, und er hat die gleiche Antwort bekommen wie alle Journalisten: Nö. "Er wirkte sehr zuversichtlich und hat angekündigt, mit drei oder vier Schlägen zurecht zu kommen. Und so ist es ja auch gekommen. Das war eine tolle Leistung."

Als Reiter acht Minuten vor zwölf in unter Fanfaren ins Schottenhamel-Zelt einmarschiert, wirkt er gelassen, er lächelt, winkt und grüßt. Er ist auch in der Anzapfbox entspannt, als Deumling mit seinen Fragen anfängt. Er habe am Freitagabend noch "eine Halbe getrunken" und "gut geschlafen" und wohl nicht vom Anzapfen geträumt, sagt er. Selbstverständlich wolle er seinen Vorgänger "nicht um die Hälfte unterbieten", also mit einem Schlag anzapfen. Und: "Ich habe Horst Seehofer versprochen, dass er trocken bleibt."

Klack, klack, klack, klack. Dieter Reiter schwitzt, als er endlich mit Seehofer anstößt und die obligatorischen Pressefotos gemacht werden. Doch das ist kein Angstschweiß auf seiner Stirn, es liegt vielmehr an der Hitze im Zelt und an den Scheinwerfern der Kameras, die auf ihn gerichtet sind. "Sehr stolz" sei sie auf ihren Mann, sagt Petra Reiter, und der Mann, der sagt: "Ich bin erleichtert, dass alle Füße trocken geblieben sind." Druck habe er keinen gespürt. Wenigstens Anspannung? "Die kam erst sehr kurzfristig, als Herr Deumling nicht aufgehört hat, Fragen zu stellen. Ich hätte mir ein paar Sekunden gewünscht, um mich zu konzentrieren."

Die hat er sich dann einfach genommen, und deshalb fließt das Bier ein paar Sekunden zu spät.

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