Spanien:"Das katalanische Volk entscheidet"

Spanien: Pro-Unabhängigkeits-Demonstration in Girona: "Das katalanische Volk entscheidet" steht auf dem Plakat der jungen Frau, die gegen den Besuch des spanischen Königs protestiert.

Pro-Unabhängigkeits-Demonstration in Girona: "Das katalanische Volk entscheidet" steht auf dem Plakat der jungen Frau, die gegen den Besuch des spanischen Königs protestiert.

(Foto: AFP)

Vom Votum der Schotten sind die Katalanen enttäuscht. In der Separatistenhochburg Girona wird trotzdem weitergekämpft - gegen den erklärten Widerstand aus Madrid.

Von Thomas Urban, Girona

Die drei schottischen Flaggen sind verschwunden. Noch vor einer Woche hingen sie unter den zahlreichen katalanischen Nationalfahnen, die viele Balkons auf dem Unabhängigkeitsplatz von Girona schmücken. Girona, rund 100 Kilometer nordöstlich von Barcelona gelegen, gilt als eine der Hochburgen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Der Mann vom Zeitungskiosk sagt es gerade heraus: "Die Schwäche der Unabhängigkeitsbewegung in Schottland hat uns enttäuscht." Die konservative Regionalregierung in Barcelona will sich davon nicht beirren lassen und hält an dem Plan fest, am 9. November über die Loslösung Kataloniens von Madrid abstimmen zu lassen. Das Regionalparlament machte am Freitag den Weg dafür frei. Doch die Zentralregierung in Madrid möchte dieses Referendum auf keinen Fall zulassen. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hat dabei nicht nur die absolute Mehrheit des spanischen Parlaments, sondern auch das Verfassungsgericht hinter sich.

Das katalanische Verständnis von Freiheit

In jeder Straße von Girona hängen katalanische Fahnen, vier schmale rote Streifen auf gelbem Grund. Tausende sind es. Auch andere Farbtupfer sind auszumachen: das baskische Grün-Weiß-Rot, angeordnet wie der britische Union Jack, und das Rot-Gelb-Violett der spanischen Republik, die im blutigen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 unterlag.

Die offizielle Staatsfahne in Rot-Gelb-Rot mit dem Königswappen hängt nur vor dem Sitz der Bezirksregierung, einem postmodernen Glas-Beton-Klotz, der für eine Stadt mit weniger als 100 000 Einwohnern ein wenig zu groß geraten scheint. So wie auch der neue Bahnhof, eine Art Bunker mit unterirdischem Schnellbahnanschluss. Die Tunnel dafür mussten unter vier Flüssen gegraben werden, die in Girona zusammenfließen. "Pharaonengrab" nennt die Lokalpresse deshalb die Anlage, die eine dreistellige Millionensumme gekostet hat - gewissermaßen eine katalanische Variante von Stuttgart 21.

Das Schaufenster der traditionsreichen Buchhandlung Geli auf der Rambla de la Libertat, der Freiheitsallee, zeigt, was die Katalanen unter Freiheit verstehen: Dort stapeln sich jede Menge Bücher über die Kämpfe gegen das spanische Königshaus, das den Katalanen vor genau 300 Jahren, im Herbst 1714, ihre autonomen Rechte nahm. Zum Jahrestag vor acht Tagen gingen mehr als eine Million Menschen auf Barcelonas Straßen und bildeten, gekleidet in gelbe und rote Hemden, eine kilometerlange katalanische Fahne.

Erinnerungen an den Bürgerkrieg

Im Stadtmuseum ist ein ganzer Saal dem spanischen Bürgerkrieg gewidmet; die Katalanen standen aufseiten der Republik gegen General Franco. 7000 Einwohner Gironas sind damals umgekommen. Kinderzeichnungen aus dem Jahr 1937 zeugen von der Bombardierung der Stadt. Fünf Jahre später schritt Franco als Sieger, noch vor dem Erzbischof, die Treppe vor der Kathedrale herunter. Ein Foto im Großformat zeigt, wie Kinder vor einem Franco-Bild den rechten Arm zum römischen Gruß erheben.

Eine Schulfibel enthält "Patriotische Geschichten", auf Spanisch, denn das Katalanische wurde damals unterdrückt. Gleich neben der Fibel steht im selben Schaukasten ein Exemplar jener 30 Zentimeter hohen Fliegerbomben, die damals auf die Stadt herunterregneten. Ein anderes Foto zeigt Republikaner, die über die Pyrenäen nach Frankreich flüchten, im Vordergrund ein vielleicht acht Jahre alter Junge, der mit einer Krücke geht, weil er ein Bein verloren hat.

Gestörte Kommunikation auf beiden Seiten

Nun liegt der Bürgerkrieg drei Generationen zurück, und schon kurz nach Francos Tod 1975 erhielten die Katalanen schrittweise ihre autonomen Rechte zurück. Darüber hinaus ist die Region inzwischen die wirtschaftsstärkste in ganz Spanien, mit Gehältern deutlich über dem Landesdurchschnitt. Im fernen Madrid bringen Politiker und Publizisten daher wenig Verständnis dafür auf, dass den jüngsten Umfragen zufolge rund 60 Prozent der Wähler in der Region für die Unabhängigkeit stimmen würden - wenn man sie denn ließe.

Das Stadtmuseum von Girona zeigt allerdings auch die andere Seite dieser gestörten Kommunikation: Die Erklärungen und Beschriftungen sind durchweg auf Katalanisch und nur an wenigen Stellen mehrsprachig. Auch die Webseiten der höheren Schulen von Girona informieren grundsätzlich auf Katalanisch und nur selten auch auf Spanisch. In Madrid betrachtet man dies nicht nur als Verletzung einschlägiger Vorschriften für öffentliche Einrichtungen, sondern fühlt sich brüskiert - abgesehen davon, dass nur etwa 60 Prozent der 7,5 Millionen Einwohner der Industrie- und Touristikregion Katalanisch als Muttersprache angeben.

Beim Fußball sind manche Katalanen zur Not sogar für Holland

Die Katalanen wiederum werfen Madrid vor, sie beim regionalen Finanzausgleich, den die Zentralregierung abwickelt, krass zu benachteiligen - die Experten der Zentralregierung behaupten das Gegenteil. Die Kommentatoren der katalanischen Presse verweisen außerdem auf Schottland, wo die Bevölkerung habe entscheiden dürfen - dasselbe Grundrecht wolle Madrid den Katalanen aber nicht zugestehen.

Als Bastion der Unabhängigkeitsbewegung gilt der FC Barcelona. Die neue Saison hat er nicht in den traditionellen blau-roten Hemden begonnen, sondern in gelben Trikots mit vier roten Streifen - den katalanischen Nationalfarben. Und was in Madrid als schlimmster Affront angesehen wurde: Als die spanische Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft in diesem Sommer gegen die Niederlande mit 1:5 unterging, haben viele Fernsehzuschauer in den Straßencafés von Girona und anderen katalanischen Städten jedes Holländer-Tor bejubelt.

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