Klimagipfel in New York:Blindes Wachstum zerstört alles

An aerial view shows steam billowing from the cooling towers of a coal power plant in the western town of Neurath

Braunkohlekraftwerk in Neurath: Der weltweite Treibhausgasausstoß ist weiter auf Rekordkurs

(Foto: REUTERS)

Es ist ein grandioser Irrtum, Wachstum und Klimaschutz getrennt zu betrachten. Beide gehören zusammen - deshalb muss sich das Streben nach immer mehr Wachstum fundamental wandeln.

Kommentar von Marlene Weiß

Die Hoffnungen sind groß, obwohl keine Beschlüsse geplant sind: An diesem Dienstag findet in New York der UN-Klimagipfel statt. Hunderttausende sind deshalb am Sonntag weltweit für Klimaschutz auf die Straße gegangen; auch im australischen Cairns, wo die Finanzchefs der großen Industrie- und Schwellenländer tagten, standen vor der Tür Demonstranten; manche hielten Schilder mit grünen Herzen hoch. Doch drinnen einigten sich die G-20-Vertreter unbeirrt darauf, die Nachfrage anzukurbeln. Um zwei Extra-Prozentpunkte soll die Wirtschaft bis 2018 wachsen. Was das für den Planeten heißt, wurde nicht groß diskutiert. Klimaschutz? Bedaure, da sind wir nicht zuständig, hier geht es um Wachstum. Aber was wäre das für ein Wachstum?

Wachstum, das noch mehr Städte zu Molochen macht, mit großen Entfernungen, verstopften Straßen und zu wenig öffentlichem Nahverkehr? Wachstum, das auch in Schwellenländern energiehungrige Industrien und für diese noch mehr schmutzige Kraftwerke entstehen lässt, die auf Jahrzehnte hinaus Treibhausgase ausstoßen? Wachstum, das nicht mehr Lebensqualität, sondern nur immer mehr Krempel bringt? Wer solches Wachstum hat, der braucht keine Rezession mehr, damit es ihm schlecht geht.

Es ist ein grandioser Irrtum, Wachstum und Klimaschutz getrennt zu betrachten. Denn das Warten auf eine bequeme politische Lösung des lästigen Klimaproblems kann man nach zwei Jahrzehnten Klimaverhandlungen getrost aufgeben, sie wird nicht kommen - nicht beim Gipfel in New York, nicht bei einem anderen Treffen. Warum nicht? Weil es keine rein politische Lösung gibt. Zwar können und müssen Politiker den Rahmen setzen. Sie können dafür sorgen, dass sich nachhaltige Investitionen lohnen und andere nicht. Sie können Firmen und Verbraucher zur Kasse bitten, wenn sie die Atmosphäre mit Klimagasen belasten: über eine CO₂-Steuer etwa; oder per Emissionshandel, wie es ihn in Europa gibt, auch wenn die Preise viel zu niedrig sind.

Zu viel PS, zu viel Schnickschnack zu viel Energieverbrauch

Aber wenn die Erde ein lebenswerter Ort für sieben, acht oder noch mehr Milliarden Menschen bleiben soll, dann müssen sich auch Wirtschaft und Konsumenten verändern und mit ihnen das Wachstum. Nicht viel langsamer muss es werden, aber anders - es muss weg von fossilen, hin zu erneuerbaren Energien gehen. Das Wachstum muss bessere, umweltfreundliche Produkte und Strukturen schaffen. Und nicht immer mehr von allem, sondern weniger. Dass so ein grünes Wachstum möglich ist, haben viele Studien gezeigt. Aber mit der Umsetzung hapert es, dabei ist der Gedanke nicht neu. Schon 1995 veröffentlichte Ernst Ulrich von Weizsäcker mit US-Kollegen einen Bericht an den Club of Rome namens "Faktor Vier", eine optimistische Antwort auf das Katastrophenszenario "Grenzen des Wachstums" von 1972. Sie rechneten darin vor, wie man den Naturverbrauch halbieren und die Wirtschaftsleistung verdoppeln kann: Man muss nur Energie und Rohstoffe viermal besser einsetzen.

Aber während die Ökoenergien auch dank der deutschen Energiewende einen sagenhaften Siegeszug hingelegt haben, ist aus dem Energiesparen bislang nicht viel geworden - und der CO₂-Ausstoß steigt und steigt. Von halbiertem oder auch nur vermindertem Naturverbrauch kann weltweit keine Rede sein. Und zwar nicht, weil die Technik versagt hätte. Sondern weil der Wunsch nach mehr, nach höher, schneller, weiter, zu oft den ökologischen Fortschritt abgehängt hat.

Denn die Energie, die Menschen mit einem Gerät sparen, schleudern sie an anderer Stelle wieder hinaus. Spülmaschinen etwa, die Weizsäcker im Blick hatte, verbrauchen nur noch halb so viel Strom wie 1995. Dafür gibt es in den Wohnungen inzwischen auch Espressomaschinen und Computer, von Smartphones und Tablets ganz zu schweigen. Oder Autos: 1995 war technisch schon das 1,5-Liter-Auto in Reichweite. Seither sind die Motoren viel besser geworden. Aber der durchschnittliche Neuwagen hat viel mehr PS und mehr Schnickschnack als früher, und es wird mehr herumgefahren als je zuvor. Das Ergebnis ist, dass selbst in Deutschland der Energieverbrauch in Haushalten und auf den Straßen seit 1995 nicht nennenswert gesunken ist.

So geht es nicht mehr ewig weiter, denn der Klimawandel ist bereits da. Lange war vage die Rede von künftigen Generationen, an die man denken müsse. Inzwischen sind längst Kinder geboren worden, die bis ins letzte Viertel des Jahrhunderts hinein leben werden. Sie haben die Folgen der heutigen Entscheidungen zu tragen. Blindes Wachstum mag kurzfristig hier und dort mehr Reichtum schaffen, auf Dauer aber zerstört es alles.

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