Augsburger Polizistenmord:Der Angeklagte zittert und schweigt

Polizistenmord Augsburg

Der Angeklagte Raimund M. (Mitte) mit seinem Verteidiger Werner Ruisinger, unter Sonderbewachung im Augsburger Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Zehn Monate lang galt der Angeklagte als zu krank für den Prozess. Jetzt steht der mutmaßliche Polizistenmörder Raimund M. wieder vor Gericht. Eine Frage, die beschäftigt: Ist er wirklich schwer krank - oder ein talentierter Schauspieler?

Von Stefan Mayr, Augsburg

Unter außergewöhnlichen Umständen hat am Montag im sogenannten Polizistenmord-Prozess vor dem Landgericht Augsburg das Wiederaufnahmeverfahren gegen den mutmaßlichen Mittäter Raimund M. begonnen. Zunächst hatte Verteidiger Adam Ahmed versucht, den Start mit einer beispiellosen Serie von Befangenheitsanträgen zu verhindern. Er lehnte nicht nur die zuständige Kammer ab, sondern zusätzlich drei weitere Kammern, die jeweils über seinen Antrag entscheiden sollten. Insgesamt wies er also zwölf Richter zurück. Bis das vierte abgelehnte Trio Ahmeds Gesuch als "unzulässig" bewertete und den Weg zum Verhandlungsbeginn freimachte. Im Sitzungssaal selbst interessierten sich die zahlreichen Journalisten und Zuschauer vor allem für eines: den Gesundheitszustand des Angeklagten.

Raimund M. leidet unter Parkinson und war im November 2013 von einem Gutachter für verhandlungsunfähig erklärt worden. Deshalb wurde der Prozess gegen ihn ausgesetzt. Danach beauftragte das Gericht einen anderen Gutachter. Und nur, weil dieser den 61-Jährigen als verhandlungsfähig erachtete, kann jetzt der Prozess wieder aufgenommen werden.

Wie ein alter gebrechlicher Mann

Allerdings wirkt Raimund M. am Montag alles andere als gesund. Seine rechte Hand zittert pausenlos und so stark, dass sich die Vibrationen auf den Oberkörper und die Stuhllehne übertragen. Immer wieder beugt sich M. nach vorne, in diesen Momenten wirkt er nicht wie der kräftige Sportler, den er noch zu Beginn des ersten Prozesses im Februar 2013 darstellte. Sondern wie ein alter gebrechlicher Mann. Angesichts seines Zustandes wirken die vier durchtrainierten Bewacher mit ihren blauen Polizei-Overalls und ihren Knöpfen im Ohr etwas übertrieben.

Ist der mutmaßliche Polizistenmörder schwer krank und verhandlungsunfähig? Oder eher ein talentierter Schauspieler, der die Symptome nur vortäuscht, um dem Gerichtsverfahren zu entgehen? "Der Gesundheitszustand meines Mandanten hat sich deutlich verschlechtert", sagt sein zweiter Anwalt Werner Ruisinger, "es ist aussichtslos, dass er komplexe Dinge verstehen kann, deshalb ist er meiner Meinung nach nicht verhandlungsfähig."

Ganz anders sieht das Anwalt Walter Rubach, der die Schwester des getöteten Polizisten Mathias Vieth vertritt. "Der Angeklagte ist körperlich beeinträchtigt, aber intellektuell in der Lage, dem Verfahren zu folgen", betont er. "Wir alle müssen aufpassen, dass wir nicht noch einmal auf die Mitleidstour hereinfallen."

Am ersten Prozesstag wurde lediglich die Anklageschrift verlesen. Die Staatsanwaltschaft wirft Raimund M. vor, in einer Oktobernacht des Jahres 2011 zusammen mit seinem Bruder Rudolf R. den Polizisten Mathias Vieth nach einer Verfolgungsjagd im Augsburger Siebentischwald brutal aus einem Hinterhalt erschossen zu haben. Der 41-jährige Familienvater wurde im Kugelhagel mehr als ein halbes Dutzend Mal getroffen. Zudem soll das Brüderpaar mit einem weiteren unbekannten Komplizen mehrere Sicherheitsfirmen überfallen haben. Auch dabei sollen sie überaus rücksichtslos vorgegangen sein: Ihre Geiseln bedrohten sie mit dem Tod oder verletzten sie mit dem Messer, um sie gefügig zu machen.

Der jüngere Bruder Rudolf R. hatte bereits als junger Mann einen Polizisten erschossen und deshalb eine lange Haftstrafe verbüßt. Im Februar wurde er wegen des Mordes an Mathias Vieth zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Seine Verteidiger hatten Freispruch gefordert, gegen das Urteil haben sie Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt.

"Eine große Chance auf ein faires Verfahren vertan"

In der 375-seitigen Urteilsbegründung werde der jetzige Angeklagte bereits 700-mal als Mittäter bezeichnet, kritisieren Raimund M.s Verteidiger. Diese Tatsache werten sie als eindeutigen Hinweis, dass ihr Mandant vorverurteilt ist, zumal die Wiederaufnahme vor derselben Kammer verhandelt wird. "Hier wurde eine große Chance auf ein faires Verfahren vertan", sagt Anwalt Ruisinger, "die Richter hätten sich einfach selbst als befangen ablehnen können." So aber müsse sein Mandant davon ausgehen, "dass das Urteil bereits gefallen ist". Raimund M. machte mit leiser Stimme Angaben zu seiner Person, zu den Vorwürfen äußerte er sich nicht.

Das Interesse an dem Mordprozess ist nach wie vor groß, allerdings nicht so enorm wie an der ersten Auflage. Im vergangenen Jahr warteten interessierte Zuhörer noch in einer langen Schlange stundenlang darauf, dass jemand den vollbesetzten Sitzungssaal verlässt, damit sie selbst eingelassen werden. Diesmal war der Zuhörerraum nur zur Hälfte gefüllt.

Für die zweite Prozessrunde sind 41 Verhandlungstage vorgesehen, das Urteil fällt voraussichtlich im Frühling 2015. Die Kollegin des getöteten Polizisten, die in der Tatnacht mit einem Streifschuss davonkam, war am Montag nicht im Gerichtssaal. Nachdem sie zunächst wieder im Dienst gewesen war, befindet sie sich inzwischen in stationärer Behandlung. "Manchmal kommen schwere Traumata erst nach einer Weile heraus", sagt ihre Anwältin Marion Zech. Die Beamtin wolle aber auf jeden Fall als Zeugin aussagen.

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