Bilanz zum Austauschprogramm für Studenten:Eine Million "Erasmus-Babys"

Wer während des Studiums ins Ausland geht, denkt an Abenteuer. Und vielleicht noch daran, eine neue Sprache zu lernen. Aber Liebe? Doch Erasmus ist einer neuen Studie zufolge ein höchst fruchtbarer Austausch.

  • Die EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou hat in Brüssel eine Studie zum studentischen Austauschprogramm Erasmus vorgestellt. Demnach verbessert ein Auslandsaufenthalt die Karrierechancen.
  • So schätzen fast zwei Drittel der Arbeitgeber Absolventen mit internationaler Erfahrung und würden ihnen mehr berufliche Verantwortung übertragen.
  • Auch Arbeitslosigkeit soll ein Auslandsaufenthalt vorbeugen - wobei alternative Erklärungen für die entsprechenden Zahlen denkbar scheinen.
  • Nicht zuletzt verzeichnet Erasmus auf privater Ebene Erfolge: So seien seit dem Start des Programms 1987 etwa eine Million "Erasmus-Babys" geboren worden.

Bei Auslandsaufenthalt: Liebe

Normalerweise lesen sich Meldungen von politischen Institutionen wie der Europäischen Union (EU) eher trocken. Die Pressemitteilung zur Wirkung von Erasmus, dem studentischen Austauschprogramm der EU, bildet da keine Ausnahme - zumindest bis zur Hälfte. Dort wird es überraschend unterhaltsam, denn neben den Karrierechancen, die ein Auslandsaufenthalt während des Studiums eröffnet, wurde auch untersucht, wie sich diese Zeit auf das Privatleben auswirkt. Ergebnis: Die Chancen in Salamanca, Florenz oder Göteborg den Grundstein zur Familiengründung zu legen, stehen nicht schlecht.

Ein Auslandsaufenthalt während des Studiums lässt demnach deutlich die Wahrscheinlichkeit steigen, mit jemandem aus einem anderen Land zusammenzukommen. Bei der Befragung gab ein Drittel der ehemaligen Erasmus-Studenten an, ihr Lebenspartner komme aus dem Ausland - und 27 Prozent lernten sie oder ihn im Rahmen des Programms kennen. Bei den Befragten ohne Auslandsaufenthalt führten nur 13 Prozent internationale Beziehungen. "Viele dieser jungen Menschen haben den Partner, den sie im Ausland gefunden haben, geheiratet", sagte EU-Bildungskommissarin Androulla Vassiliou bei der Präsentation der Studie in Brüssel.

Auf Basis dieser Zahlen schätzte die Kommission die Zahl der Kinder, die seit dem Programmstart 1987 aus Erasmus-Beziehungen hervorgingen: "Es gibt etwa eine Million Erasmus-Babys", verkündete Vassiliou. Man möchte hinzufügen: Stolz wie eine Kupplerin.

Karrierekick durch Auslandserfahrung?

Ein Auslandsaufenthalt kann aber nicht nur privates Glück bringen, auch die Karrierechancen sollen steigen. So sei die Quote der Arbeitgeber, für die Auslandserfahrung ein wichtiges Einstellungskriterium ist, von 37 Prozent im Jahr 2006 auf 64 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Außerdem gaben 64 Prozent der Arbeitgeber an, Absolventinnen und Absolventen mit internationaler Erfahrung mehr berufliche Verantwortung zu übertragen. Vielleicht auch deshalb, weil jene Arbeitnehmer den Programmverantwortlichen zufolge besonders bei gefragten Querschnittskompetenzen wie Aufgeschlossenheit, Problemlösungsfähigkeit, Toleranz und Selbstvertrauen punkten.

Allerdings, so räumen sie ein, erzielten Austauschstudenten in diesen Kategorien bereits vor ihrem Auslandsaufenthalt überdurchschnittliche Werte. Auch ein anderes Ergebnis der Studie ist durchaus fragwürdig. So sagte Bildungskommissarin Vassiliou: "Die Studie belegt: Wenn man zum Studieren oder für ein Praktikum ins Ausland geht, erhöht man damit sehr wahrscheinlich seine Beschäftigungschancen." Ihre Aussage stützt sich dabei auf Zahlen, wonach die Wahrscheinlichkeit, über längere Zeit arbeitslos zu werden, bei Absolventen mit Auslandserfahrung nur halb so groß ist wie bei Absolventen ohne Auslandserfahrung. Fünf Jahre nach dem Abschluss liege die Arbeitslosenquote der ersten Gruppe um 23 Prozent niedriger.

Eine mögliche Erklärung hierfür könnte allerdings auch sein, dass Studenten, die ins Ausland gehen, organisierter und ehrgeiziger sind als diejenigen, die in ihrem Heimatland bleiben. Auch der Faktor Finanzen könnte eine Rolle spielen: So ist vorstellbar, dass Auslandstudenten von Haus aus finanziell besser gestellt sind und insgesamt mehr Geld in ihre Ausbildung investieren können beziehungsweise über bessere Kontakte verfügen - und so Arbeitslosigkeit vorbeugen. Denn nur fünf Prozent der Studenten, die Zeit im Ausland verbringen, werden überhaupt über Erasmus gefördert.

Die Studie

Die Studie basiert unter anderem auf einer Online-Umfrage in 34 europäischen Ländern. Antworten von mehr als 75 000 Studenten und Absolventen flossen ein, außerdem wurden 650 Unternehmen befragt.

Was ist Erasmus?

Erasmus fördert Studienaufenthalte oder Praktika im Ausland. Das Nachfolgeprogramm "Erasmus+" unterstützt seit Januar auch berufliche Aus- und Weiterbildungen. Das Budget liegt in den kommenden sieben Jahren bei etwa 15 Milliarden Euro.

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