Materialprobleme bei der Bundeswehr:Nichts mehr im grünen Bereich

Ursula von der Leyen

Bisher hat Ursula von der Leyen - hier auf dem Rückflug aus dem nordirakischen Erbil - zu den Beschaffungsproblemen der Bundeswehr nicht viel gesagt.

(Foto: AFP)

Bei ihrem Amtsantritt hat Verteidigungsministerin von der Leyen versprochen, die Bundeswehr transparenter machen zu wollen. Jetzt kommt heraus: Die Probleme mit den Marine-Hubschraubern waren zum Teil schon im Sommer bekannt. Doch die Ministerin schweigt.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Ursula von der Leyen hat in den vergangenen Tagen viel über die Bekämpfung von Ebola geredet, außerdem über Hilfe für die Kurden im Nordirak. Für sie jedenfalls waren es eher angenehme Themen, schließlich konnte sie etwas vorweisen: viele Freiwillige zur Bekämpfung der Seuche, deutsche Waffen zur Bekämpfung der IS-Terrormiliz.

Als nicht so angenehm empfand die Verteidigungsministerin, die am Donnerstag selbst im Nordirak unterwegs war, offensichtlich ein anderes Thema, über das sie deshalb lieber nicht so viel redete: die Ausrüstung der Bundeswehr.

Es war eine Woche der Wahrheit, was das Material der Truppe angeht. Am Anfang dieser Woche stand die Erkenntnis, dass derzeit praktisch die gesamte Flotte der Marinehubschrauber am Boden bleiben muss. Es folgte am Mittwoch eine denkwürdige Sitzung des Verteidigungsausschusses, in der die Chefs der Teilstreitkräfte den Abgeordneten darlegten, wie es um die Ausrüstung überhaupt bestellt ist: nicht allzu gut, teilweise sogar verheerend.

Und die Ministerin? Wirkte, mal unabhängig davon, dass sie bei der Sitzung nicht dabei war, fast unbeteiligt. Wobei sich die Frage stellt: Was hat sie mit alldem zu tun? Oder besser: Was kann sie dafür?

Von der Leyen und der Plan von mehr Transparenz

Im Dezember hat sie ihr Amt angetreten, von daher kann man ihr naturgemäß keine maroden Hubschrauber, Flugzeuge und Boote anlasten. Mit denen hatten schon ihre Vorgänger zu kämpfen. Allerdings hat von der Leyen sich eine beachtliche Fallhöhe geschaffen, indem sie im Februar den für Rüstung zuständigen Staatssekretär Stéphane Beemelmans feuerte und ankündigte, den Rüstungssektor neu zu ordnen - wobei sie den Akzent vor allem auf die Beschaffungsvorhaben legte.

Sie selbst nahm sich dabei in die Verantwortung, als sie erklärte, nun solle Schluss sein mit jener im Ministerium lang gepflegten Kultur, wonach der Chef manches besser gar nicht wissen solle. Transparenter solle es künftig zugehen, versprach von der Leyen - vor allem der Verteidigungsausschuss solle besser über Probleme ins Bild gesetzt werden. Und hielt sie Wort?

Generalinspekteur Volker Wieker jedenfalls, der von Beemelmans' Rauswurf an bis Ende Juli die fachlichen Aufgaben eines Rüstungs-Staatssekretärs innehatte, informierte die Abgeordneten erst Anfang dieser Woche über die Ausfälle der Marinehubschrauber - dabei hatte die Sea-Lynx-Flotte bereits im Sommer zwischenzeitlich komplett am Boden bleiben müssen, weil man Risse am Heck entdeckt hatte. Und das Papier mit dem Titel "Materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte", das Wieker am Mittwoch im Ausschuss verteilen ließ, offenbarte zwar teils erstaunliche Einblicke - doch von unbedingtem Willen zur Transparenz zeugte es ebenfalls nicht.

Von 83 Transporthubschraubern nur 16 einsatzbereit

So wollte Wieker es nach der Sitzung eigentlich wieder einsammeln lassen, damit es nur ja nicht nach außen dringen könne - der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Bartels (SPD) verhinderte das. Nicht allzu transparent wirkt auch das auf den ersten Blick leicht verständliche Ampelsystem, das der Liste zugrunde liegt: Mit Rot, Gelb oder Grün sind da die Waffensysteme gekennzeichnet. Den Abgeordneten aber erschien das teilweise äußerst willkürlich - schließlich steht bei der Luftwaffe alles auf Grün, obwohl von 83 Hubschraubern des Typs CH-53 im Buchbestand nur 16 im zweiten Quartal zur Verfügung standen.

Aus Ministeriumskreisen ist zu hören, dass Wieker die Lage nicht zu negativ dargestellt sehen wollte. Ein Indiz dafür war der mündliche Vortrag des Luftwaffen-Inspekteurs Karl Müllner im Ausschuss: Von einer grünen Ampel konnte da keine Rede sein, stattdessen stellte der Generalleutnant klar, dass die Luftwaffe die Grenzen ihrer Einsatzbereitschaft erreicht habe.

Auch eine Aussage von Marine-Inspekteur Axel Schimpf war äußerst aufschlussreich: Anfang der Woche hatte das Ministerium erklärt, es sei halb so schlimm, dass die Fregatte Lübeck nun ohne Bordhubschrauber zur Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" auslaufe - schließlich werde das Schiff stattdessen vom Flugzeug P-3C Orion unterstützt. Im Ausschuss wurde nun Schimpf gefragt, ob die Orion tatsächlich ein gleichwertiger Ersatz sei? Die sinngemäße Antwort des Vizeadmirals: Nein - wer so etwas sage, habe offenkundig keine allzu tiefe Kenntnis der Materie.

Und die Chefin? Verweist, wenn sie auf die Materiallage angesprochen wird, stets auf die zweite Oktoberwoche. Dann sollen die Ergebnisse eines Konsortiums von Unternehmensberatern, Ingenieuren und Juristen präsentiert werden, die über den Sommer die wichtigsten Beschaffungsprojekte durchleuchtet haben. Bis dahin hat sich von der Leyen weitgehend Schweigen auferlegt - was die Erwartungen an das Gutachten immer weiter hat wachsen lassen. Und was kommt eigentlich danach?

Überlastete Raketenabwehr-Spezialisten in der Türkei

Nicht nur das Material der Bundeswehr hat teilweise die Grenzen der Belastbarkeit erreicht, es fehlt auch an Personal. So wies Luftwaffen-Inspekteur Müllner im Verteidigungsausschuss darauf hin, dass der Einsatz der Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei für seine Leute kaum länger durchzuhalten sei. Mit den USA und den Niederlanden schützt die Bundeswehr die Türkei seit Anfang 2013 vor Beschuss aus dem benachbarten Syrien. Vor einem Vierteljahr hatte vieles darauf hingedeutet, dass der Einsatz Anfang 2015 enden werde, und tatsächlich kündigten die Niederländer kürzlich ihren Rückzug an. Nun steht die Spitze des Berliner Verteidigungsministeriums vor der Frage, wie Deutschland sich verhalten soll. Angesichts der Entwicklungen in der Region ist man auf das Wohlwollen des Bündnispartners Türkei angewiesen. Also doch weitermachen?

Das Problem ist, dass es in der Luftwaffe nur noch einen sehr überschaubaren Kreis von Flugabwehr-Spezialisten gibt - was dazu führte, dass Soldaten, die zu Beginn des Einsatzes in der Türkei stationiert waren, bei ihrem Abschied von dort teils damit rechnen mussten, bald wiederzukommen.

Der Wehrbeauftragte warnt schon mal vorsorglich: "Dem Verteidigungsministerium ist bekannt, dass der Einsatz in der Türkei strukturell nicht durchhaltefähig ist", sagt Hellmut Königshaus. "Ihn erneut verlängern zu wollen, wäre eine politische Entscheidung, die dem betroffenen Personal nur mit großem argumentativen Aufwand verständlich zu machen ist."

Eine weitere Entscheidung, die auf von der Leyen wartet. Am Freitag um 14 Uhr hatte sie übrigens noch einen Termin: Da hatte sie die Inspekteure der Teilstreitkräfte ins Ministerium bestellt. Offenbar hatte sie nach dieser Woche Gesprächsbedarf.

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