Literatur und Kunst aus Syrien:Lachen ist Widerstand

Literatur und Kunst aus Syrien: Der Künstler Tammam Azzam montiert bekannte Motive europäischer Künstler in die syrische Kriegskulisse, hier die Tanzenden von Matisse auf Trümmern.

Der Künstler Tammam Azzam montiert bekannte Motive europäischer Künstler in die syrische Kriegskulisse, hier die Tanzenden von Matisse auf Trümmern.

(Foto: Aus dem besprochenen Band)

Syrische Autoren, Künstler und Aktivisten trotzen dem Assad-Regime, dem IS und dem Tod - mit Humor, Karikaturen und Satire. Ein neuer Literatur- und Kunstband liefert überraschende "Innenansichten aus Syrien".

Von Thorsten Glotzmann

"Manchmal schicken wir uns Witze per SMS", schreibt Schriftsteller Khaled Khalifa. "Ich versinke dann in Gelächter, und es ist mir egal, was die anderen, die mich allein im Auto lachen sehen, denken könnten." Das syrische Lachen ist eines, das im Bruchteil einer Sekunde umschlagen kann. "Unser Lachen passt zum Krieg. Wir brechen unversehens in hysterisches Gelächter aus, doch plötzlich fängt einer an zu weinen. Vielleicht erinnert er sich an eine Geliebte, die das Land verlassen hat oder die getötet wurde."

Khaled Khalifa, ein international bekannter Intellektueller, hätte dem Bürgerkriegshorror entkommen und das Land verlassen können, doch er ist geblieben. Er arbeitet in den Cafés von Damaskus und schreibt von dort aus über die abstumpfende Normalität des Krieges: "Es gibt keinen Grund zur Aufregung und zu der optimistischen Erwartung, dass der Zug des Todes anhalten wird. Niemand interessiert sich mehr für den eigenen Tod oder für den der anderen. [...] Wir haben keine Tränen mehr."

Wem es an Trost und Tränen fehlt, dem bleibt nur das Lachen - ein Motiv, das sich im kürzlich erschienenen Band "Innenansichten aus Syrien" immer wieder findet. Herausgeberin und Islamwissenschaftlerin Larissa Bender hat Romanausschnitte, Kurzgeschichten und Essays zusammengetragen und aus dem Arabischen übersetzt. Die Beiträge sind seit Herbst 2013 unter dem Druck des Krieges entstanden und wurden zum Teil bereits in der Online-Autorenplattform Faust-Kultur veröffentlicht. "Acht der Autoren haben noch im Land gelebt, als sie ihren Beitrag verfasst haben", sagt Larissa Bender. "Davon sind mittlerweile drei geflüchtet."

Eine moderne Form der Schwarzen Komödie

Ergänzt werden die Texte durch Interviews, Fotos, Kalligrafien, Graffiti und Gemälde. Darunter eine bedrückende Version von Edvard Munchs "Schrei": Künstler Wissam Al Jazairy taucht seine Schreienden in eine blutrote Wolke und lässt einen schwarzen Kampfflieger über ihren Köpfen kreisen. Die blassen Gesichter mit den weit aufgerissenen Mündern sind dem Grauen schutzlos ausgeliefert. Ein anderes Bild zeigt eine syrische Stadt, aus der Liebe in Gestalt roter Herzen emporsteigt, während Bomben auf sie niedergehen.

Beeindruckend auch die Idee des Künstlers Tammam Azzam, bekannte Motive europäischer Künstler in die syrische Kriegskulisse zu montieren: Die Tanzenden von Matisse auf Trümmern, Klimts Kuss auf einer verwüsteten Fassade, Goyas Erschießung der Aufständischen in einer syrischen Häuserschlucht. Durch den Kontrast entfalten die Motive eine ungeahnt starke Wirkung. Ähnlich dem zerstörten Wohnhaus aus Damaskus, das Azzam in seiner Arbeit "Bon Voyage" an Luftballons bindet und durch europäische Städte wie London oder Paris fliegen lässt - eine Anspielung auf den Pixar-Film "Oben" und eine eindringliche Erinnerung daran, dass sechseinhalb Millionen Syrer auf der Flucht sind.

Literatur und Kunst aus Syrien: "Syrian Museum" von Tammam Azzam: Klimts Kuss auf einer verwüsteten Fassade.

"Syrian Museum" von Tammam Azzam: Klimts Kuss auf einer verwüsteten Fassade.

(Foto: Aus dem besprochenen Band)

Neben den Jenseits- und Todesszenarien wurden Hunderte Witze in den Sozialen Netzwerken verbreitet, schreibt der Romanautor Fawwaz Haddad, "selbst mitten aus den am schlimmsten betroffenen Regionen, wie der belagerten und unter Bombardierung leidenden Stadt Homs". Haddad sieht in all dem "eine moderne Form der Schwarzen Komödie". In den Hauptrollen: Syrer, die nicht länger vergeblich auf den amerikanischen oder europäischen Godot warten, die sich an den Rest von Leben klammern, der inmitten des Chaos geblieben ist.

Tanzen und singen gegen den Tod

"Es ist nicht begreifbar, dass ein Diktator sein Volk umbringen kann und die Welt dem Morden zuschaut", sagt Herausgeberin Larissa Bender. "Die Menschen in Syrien sind ratlos." Humor könne ein Mittel sein, mit dieser Ratlosigkeit umzugehen. Die Syrer seien immer schon ein humorvolles Volk gewesen, so Bender. "Gerade in einer Diktatur, in der man seine politische Meinung nicht äußern kann, ist es fast normal, Witze zu machen."

Schon vor Ausbruch der Revolution habe es Filme und Fernsehserien gegeben, die gesellschaftliche Unzulänglichkeiten, sogar den Geheimdienst auf die Schippe genommen haben. "Das war immer ein Ventil, das das Regime zugelassen hat. Hauptsache, der Assad-Clan wurde nicht behandelt", sagt Bender. Mit Beginn des Arabischen Frühlings richtete sich die Satire immer offener auch gegen den Diktator selbst. "Auf Facebook wurde Urkomisches gepostet", sagt Bender. "Heute sind diese Leute aber alle verschwunden, tot, geflohen, verletzt."

Demonstrators hold a placard during a protest against Syria's President Bashar al-Assad, after Friday prayers in Kafranbel

Auf ihren Plakaten kritisieren die Aktivisten aus Kafranbel das Assad-Regime, wie hier im Januar 2013, aber auch die Vereinten Nationen, Putin, Obama - und den IS.

(Foto: REUTERS)

Das Land, in dem Assad den Weihnachtsmann getötet hat

Künstler und Aktivisten aus der syrischen Kleinstadt Kafranbel machten mit Karikaturen auf sich aufmerksam. Ihre politischen Forderungen schrieben sie auf Papier, Karton oder Banner und stellten Fotos davon ins Netz, auf Englisch, Französisch oder Deutsch. Darunter auch Sprüche wie diesen vom 21. Dezember 2012, der sich an den Papst richtet: "Fröhliche Weihnachten aus Syrien, dem Land, in dem Assad den Weihnachtsmann tötete."

"Menschen zum Lachen zu bringen, ist eine Möglichkeit, sie wachzurütteln", sagen die Kafranbel-Aktivisten. Auf ihren Plakaten kritisieren sie das Assad-Regime, aber auch die Vereinten Nationen, Putin, Obama - und den IS. Eine Karikatur zeigt einen Soldaten der Freien Syrischen Armee, der sein Gewehr auf das Assad-Regime richtet und von hinten mit der Axt in den Rücken geschlagen wird. Die Hand, die die Axt führt, ist in einen schwarzen Ärmel gekleidet, darauf steht in arabischer Schrift: "Islamischer Staat in Irak und Syrien".

"Tagebuch eines kleinen Diktators"

"Ich glaube, dass die Kreativen in Syrien heute besonders empfänglich für Satire sind, weil der Tod und die Zerstörung so allgegenwärtig sind", sagt Theaterregisseur Rafat Alzakout in einem Interview, das im Buch abgedruckt ist. Alzakout verspottet das syrische Regime mit seinem Puppentheater "Masasit Mati": Die erste Staffel trägt den Titel "Tagebuch eines kleinen Diktators" und ist auf Youtube zu sehen.

Die Hauptfigur Beeshu, unschwer als Präsident Baschar Al-Assad zu erkennen, ist eine ängstliche und larmoyante Fingerpuppe mit Holzkopf, Schnabelnase, Segelohren und hoher Stimme. Beeshu leidet unter Albträumen und fragt sich, warum ihn das syrische Volk denn plötzlich stürzen wolle. Schließlich habe er längst nicht so viele Menschen umgebracht wie sein Vater.

"Die Menschen haben sich von Anfang an mit Lachen, Tanzen und Singen dem Tod entgegengestellt. Das ist für mich als Künstler die wichtigste Lektion", sagt Rafat Alzakout. Das Lachen helfe, die Barrieren der Angst zu überwinden. Es sei zu einem Instrument des Weitermachens geworden. In einem Land wie Syrien ist Lachen Widerstand.

Larissa Bender (Hg.): Innenansichten aus Syrien. Ein Reader mit Texten, Fotografien und Bildern, edition faust, 296 Seiten, 24 Euro.

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