Die CDs der Woche - Popkolumne:Datenbündel gegen das iStablishment

Thom Yorke, Atoms For Peace, Austin City Limits Music Festival

Thom Yorke, hier im Oktober 2013 in Austin, Texas. Auf mehr als 100 000 Downloads brachte es sein zweites Solowerk innerhalb der ersten 24 Stunden.

(Foto: AP)

Radiohead-Kopf Thom Yorke veröffentlicht sein neues Album über das Filesharing-Protokoll BitTorrent, in einer rechtlichen Grauzone. Die Musik selbst ist leider nur halb so aufregend wie das Experiment. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Annett Scheffel

Beginnen wir die Woche im Pop mit einer dieser nebensächlichen Absurditäten, die den Zustand der Popmusik oft besser darlegen als die großen, verzwickten Geschichten. Eine Meldung fiel so merkwürdig aus der Zeit, dass einem schlagartig bewusst wurde, wie lange die Neunziger jetzt auch schon wieder her sind: Jason Orange steigt bei Take That aus! Naja, so richtig kümmert das eigentlich niemanden - 19 Jahre nach dem letzten Ausstieg eines Band-Mitglieds. Orange ist natürlich auch nicht Robbie Williams, und der Boygroup-Irrsinn ist sowieso vorbei. Aber Pop in den Neunzigern - das war verdammt noch mal ein ganz anderes Zeitalter. Niemand machte sich damals Gedanken um die Zukunft der Musikindustrie. Das Schaltplattengold lag da noch auf der Straße.

Gegen das iStablishment

Fast Forward ins Jahr 2014: Spricht man heute über Fortschritt in der Popmusik, dann redet man zwar immer noch über Musik, vor allem aber auch über neue, effizientere, fairere, benutzerfreundlichere Vertriebswege. Keiner weiß das besser als einer, der schon in den Neunzigern dabei war: Radiohead-Kopf Thom Yorke veröffentlichte am Freitag sein Album "Tomorrow's Modern Boxes" in Eigenregie über das Filesharing-Protokoll BitTorrent. In der rechtlich oft auffälligen Grauzone also, in der auch die Cyberpiraten ihren sinistren Geschäften nachgehen.

Während mit U2 eine der größten Stadionrock-Bands an einem neuen, kopiersicheren Musikformat arbeitet, ist das eine Form der Selbstermächtigung 2.0. Wie Yorkes Titel andeutet, erreichen die Songs den Internetnutzer für läppische sechs Dollar in zeitgemäßen Schächtelchen: als Datenbündel, das auf den ganzen "Cloud-Quatsch", so Yorke, verzichtet und "die selbsternannten Gate Keeper" umgeht. Auf mehr als 100 000 Downloads brachte es sein zweites Solowerk innerhalb der ersten 24 Stunden, bis Dienstagmittag waren es 550 000 (zum Vergleich: das sind mehr als fünfmal so viele Einheiten wie beim letzten Radiohead-Album "The King Of Limbs" in der ganzen ersten Verkaufswoche).

Gerichtet ist das Ganze nicht nur gegen das iStablishment, sondern auch gegen Streaming-Dienste wie Spotify, das Yorke im vergangenen Jahr als "verzweifelten Furz eines sterbenden Körpers" (der Musikindustrie) bezeichnete. Die Musik, das sei natürlich auch noch erwähnt, ist passend zur Distributionsform elektronischer, als man es von ihm bislang kannte.

Die Tracks, vor allem das melancholische Eröffnungsstück "Brain In A Bottle", sind voller chaotisch flackernder Computer-Beats und schroffen, metallischen Synthesizer-Splittern. Wie ein bedrohlicher Nebel hängt die Musik über Yorkes wimmerndem Falsettgesang, als wäre sie das letzte Bisschen an menschlicher Wärme in dieser Klangwelt. Schauerhaft schön und ergreifend ist das an vielen Stellen, aber leider nur halb so aufregend wie das Filesharing-Experiment. Technology killed the Music Star.

Die berühmteste deutsche Kinderband

Was ist mit dem neuen Tokio-Hotel-Album? Tja. Nach fünf Jahren Pause in ihrem Exil in Los Angeles kehrt die berühmteste deutsche Kinderband mit "Kings of Suburbia" zurück. Schon auf dem Cover knallen die Farben sehr erwachsen und scharfkantig aufeinander. Musikalisch ist alles viel elektronischer als früher und dennoch seltsam unauffällig. Und weil Tokio Hotel sich im Song "Girl Got A Gun" Amerika so vorstellen, haben ihre Mädchen neuerdings eben eine Knarre. Peng-peng. Und Schluss.

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