Comiczeichner im Flüchtlingslager:Wenn das Leben am Zaun endet

Lesezeit: 3 min

Comiczeichner Reinhard Kleist erzählt die Geschichte von Farhad, der seine Heimat in Syrien verlassen musste. (Foto: Reinhard Kleist)

Ein Comic über den syrischen Bürgerkrieg und das Leben auf der Flucht? Der Zeichner Reinhard Kleist erklärt, wie er mit seinen Bildern die "gefühlte Wahrheit" der Menschen im irakischen Flüchtlingslager Kawergosk einfängt.

Von Daniel Wüllner

Reinhard Kleist ist als Comiczeichner durch seine Johnny-Cash-Biografie Cash: I see a darkness bekannt geworden. Für ein Projekt des Fernsehsenders Arte hat er das Flüchtlingslager Kawergosk im Nordirak besucht.

Süddeutsche.de: Sie haben im Dezember 2013 eine Woche in einem Flüchtlingslager im Irak verbracht und dort gezeichnet. Eignen sich Comics, wenn man so etwas Dramatisches wie das Leben in einem Lager einfangen möchte?

Reinhard Kleist: Ja, denn ein Comic ermöglicht einen sehr direkten Zugang zu einem Thema. Durch die Zeichnungen erlebt der Betrachter, wie ich eine Situation wahrgenommen habe. Es ist eine "gefühlte Wahrheit". Dasselbe gilt für die Bilder, die die Kinder in Kawergosk gemalt haben. Sie drücken aus, was ihnen gefällt oder was sie hassen und vermitteln so einen guten Eindruck des harten Lebens im Lager.

Sie wollten für die Kinder im Flüchtlingslager Zeichen-Workshops geben.

Wir haben viele Buntstifte mitgenommen und zwei Gruppen von 20 bis 30 Kindern eingeladen. Doch nachdem alle Malutensilien verteilt waren, wurde schnell klar, dass es keinen Zeichenkurs geben würde. Die Kinder wollten einfach nur malen. Deshalb habe ich ihnen zwei Aufträge gegeben: Malt ein Bild aus euer Heimat und zeichnet auf, was euch zum Leben in Kawergosk einfällt.

Um sie von den Bildern des Kriegs abzulenken?

Ich habe mich bewusst gegen den Bürgerkrieg als Thema entschieden. Zwei Jungen haben dennoch ein Bild dazu gemalt: Darauf ist ein einfach gezeichnetes Männchen zu sehen. Es trägt ein Gewehr und gleichzeitig weint es. Welches Bild könnte symbolhafter für den Bürgerkrieg stehen?

Kawergosk (Foto: N/A)

Wie sieht das Leben in Kawergosk aus?

Wie in den meisten Flüchtlingslagern findet das Leben der 13 000 Bewohner in und zwischen Zelten statt. Bis zu zehn Menschen teilen sich eine beengte Behausung. Das Lager ist 419 000 Quadratmeter groß, die Möglichkeiten der Menschen sind begrenzt. Langeweile ist ein ernsthaftes Problem, sowohl bei den Erwachsenen wie auch bei den Tausenden Kindern. Ein 15-jähriges Mädchen hat mir erzählt, dass es einfach nur mal wieder einkaufen gehen will. Eine kleine Sorge, aber sie zeigt die Realität der Flüchtlinge: Seit eineinhalb Jahren endet ihr Leben an dem Zaun, der das Lager umschließt.

Wie haben Sie Kontakt zu den Menschen bekommen?

Ich habe gemeinsam mit meinem Übersetzer Hassan Familien in ihren Zelten besucht. Zunächst waren sie sehr verwundert, dass jemand zu ihnen kommt, um sie zu zeichnen. Wir sind dann aber schnell ins Gespräch gekommen. Während ich Skizzen von ihnen anfertigte, haben Sie mir von ihren Erlebnissen erzählt. Für mich war das die direkteste Möglichkeit, Teile ihres Lebens nachzuzeichnen.

Comic über Flüchtlinge
:"Ich habe mein Herz zurückgelassen"

In seiner Comic-Reportage fängt Reinhard Kleist die Erlebnisse der Flüchtlinge in Kawergosk ein. Er fasst ihre Odyssee aus Syrien in den Irak auf wenigen Seiten zusammen - und vermittelt trotzdem das unangenehme Gefühl ins Nichtwissen aufzubrechen.

Dem Bürgerkrieg in Syrien sind die Menschen entkommen. Welche Probleme haben sie in Kawergosk?

Das Flüchtlingslager existierte bei meiner Ankunft erst ein halbes Jahr. Es war noch nicht alles fertig. Was es bedeutet, in einem Flüchtlingslager zu wohnen, merkte ich erst, als ich dort eine Nacht verbrachte. Es regnete stark und war sehr windig, über Nacht hat sich das Lager in eine Schlammwüste verwandelt. Nach nur zwei Schritten hat sich eine dicke Lehmschicht unter den Schuhsohlen gebildet. Irgendwie haben es die Bewohner trotzdem geschafft, ihre Zelte tadellos sauber zu halten. Aber der Winter stand ihnen damals noch bevor.

Haben Sie noch Kontakt zu Bewohnern von Kawergosk?

Ich bin mit meinem Übersetzer Hassan auf Facebook befreundet. Er ist ziemlich gewitzt und immer der erste, der meine Facebook-Einträge kommentiert. In Kawergosk gibt es offenes W-LAN, das vereinfacht die Kommunikation.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Das Flüchtlingslager liegt nur wenige Kilometer von den Orten entfernt, an denen inzwischen die Terrororganisation IS wütet. Was berichtet Hassan über die heutige Situation?

Er hat mir von Protesten nach Versorgungsengpässen erzählt. Außerdem sind die geplanten Baumaßnahmen im Lager immer noch nicht abgeschlossen. Kawergosk ist immer noch nicht richtig winterfest. Aber über die wirklichen Probleme hat Hassan geschwiegen. Ich habe gemerkt, dass er mich nicht beunruhigen wollte.

In Deutschland und Frankreich sind Sie vor allem für Ihre biografischen Comics Castro und Cash: I see a darkness bekannt. Warum nun dieser Wechsel zum Dokumentarischen?

Wenn man zu Hause am Zeichentisch sitzt, kann man sich überall hindenken. Für Castro und Cash habe ich mich in die Materie eingehört und eingelesen, um die Personen zu erfassen. Aber irgendwann wollte ich raus, ich wollte die Welt dort draußen darstellen. Für "Der Boxer" habe ich Boxkämpfe und Konzentrationslager besucht, um ein Gefühl für das Setting zu bekommen und dem Zuschauer das Gezeichnete so authentisch wie möglich zu vermitteln. Die Woche in Kawergosk war für mich eine bereichernde Erfahrung.

ExklusivArte-Doku über Syrien-Flüchtlinge
:Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Sie sind in Sicherheit vor Assads Truppen und der Terrormiliz IS, doch die Unsicherheit, wie es weitergeht, ist schwer auszuhalten. Der Regisseur Pierre Schoeller hat syrische Kurden in einem Flüchtlingslager im Nordirak besucht.

Süddeutsche.de zeigt die Arte-Dokumentation vorab.

Fiel es Ihnen schwer, sich für eine Geschichte zu entscheiden?

Ein Flüchtling namens Farhad zeigte mir auf seinem Smartphone ein Video, in dem zu sehen ist, wie er mit seiner gesamten Familie aus seiner Heimatstadt in Syrien geflohen ist. "Als unser Haus hinter uns am Horizont verschwand, ist mein Herz gebrochen," sagte Farhad. Obwohl die Aufnahme sehr wackelig war, vermittelte sie dennoch dieses Gefühl: die eigene Heimat auf unbestimmte Zeit zu verlassen, ins Nichtwissen aufzubrechen. Solche Geschichten kennt man sonst nur von den Großeltern, die im Zweiten Weltkrieg flüchten mussten. Dieses Gefühl war für mich die Essenz meines Besuchs in Kawergosk - das war die Geschichte, die ich erzählen wollte.

Die Sendereihe Arte Reportage hat vier Künstler nach Kawergosk geschickt, neben Reinhard Kleist noch einen Filmemacher, einen Schriftsteller und einen Fotografen. Mehr dazu auf www.arte.tv/fluechtlinge.

Weitere Linktipps:

  • Die vollständige Comic-Reportage finden Sie hier.
  • Reinhard Kleist hat in Kawergosk Tagebuch geführt.
  • Das Flüchtlingslager Kawergosk in Zahlen der UNHCR.
© Süddeutsche.de/wüll - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: