Studie zur Bundeswehr:Schonungslose Abrechnung mit der Rüstungspolitik

Studie zur Bundeswehr: Vier zentrale Rüstungsprojekte: Der Schützenpanzer "Puma", der Airbus "A400M", der Eurofighter und der Hubschrauber "NH-90".

Vier zentrale Rüstungsprojekte: Der Schützenpanzer "Puma", der Airbus "A400M", der Eurofighter und der Hubschrauber "NH-90".

(Foto: dpa)

Unabhängige Experten haben im Auftrag von Ursula von der Leyen den Dschungel der Rüstungsprojekte durchforstet. Ihr Fazit: Das Beschaffungswesen ist rückständig, die ausgehandelten Verträge sind schlecht, wichtige Posten bleiben zu lange unbesetzt.

Von Christoph Hickmann

Zum Beispiel diese Sätze: Die "personelle Ressourcenausstattung der Projektteams" sei "weder quantitativ noch qualitativ ausreichend". Und weiter: "Infolgedessen werden wichtige Tätigkeiten im Projekt häufig nur eingeschränkt oder überhaupt nicht ausgeführt."

Worum es geht? Um Rüstung. Die beiden Sätze finden sich in der 50-seitigen Zusammenfassung einer umfassenden "Bestandsaufnahme und Risikoanalyse" zentraler Rüstungsprojekte, vorgelegt von einem Konsortium aus Beratern und Anwälten von KPMG, der Ingenieurgesellschaft P3 und der Kanzlei Taylor Wessing. Es finden sich darin viele ähnlich harte Sätze. Am Montag soll die Studie, die in Gänze eine vierstellige Anzahl an Seiten umfasst, offiziell an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) übergeben werden.

Schonungslose Bestandsaufnahme

Ist das also der nächste Rüstungsskandal, der ihr nach der jüngsten Pannenserie um die Ohren fliegt? Nein, das ist genau das, was sie gewollt hat: eine einigermaßen schonungslose Bestandsaufnahme.

Im Dezember trat sie ihr Amt an, im Februar warf sie den für Rüstung zuständigen Staatssekretär Stéphane Beemelmans raus und kündigte an, nun erst einmal die zentralen Rüstungsprojekte genau durchleuchten zu lassen. Sie hatte erkannt, dass jene Zeit begrenzt sein würde, in der Rüstungsskandale noch ihren Vorgängern zugerechnet würden - deshalb verkündete sie, nun wolle sie ganz genau wissen, was in den Untiefen des Beschaffungswesens an unbekannten Risiken lauere.

Nur drei Monate Zeit

Das klang wie ein Bruch mit der bisher gepflegten Kultur im Ministerium, wonach der Chef nicht unbedingt alles wissen müsse und manches zu seinem eigenen Schutz auch gar nicht wissen sollte. Nebenbei gewann von der Leyen Zeit: Wann immer sie seit dem Frühjahr auf die Probleme im Beschaffungswesen angesprochen wurde, verwies sie darauf, dass es ja erst noch eine Untersuchung geben solle. Über den Sommer machten sich die Analytiker ans Werk, zwischendurch berief von der Leyen die McKinsey-Beraterin Katrin Suder zur Rüstungs-Staatssekretärin - und nach drei Monaten Arbeit liegt nun die Studie vor.

Die Analysten haben sich dafür nach eigenen Angaben durch mehrere Zehntausend Seiten an Projektdokumentationen und Verträgen gelesen sowie mehr als 100 Interviews geführt. Es gab Workshops und Hintergrundgespräche, vor allem mit Mitarbeitern des Ministeriums in Bonn und Berlin sowie beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw. Untersucht wurde ausschließlich das staatliche Beschaffungswesen, die Rüstungsindustrie ist nicht abgedeckt. Und trotzdem sind drei Monate eine äußerst knappe Zeit für die Untersuchung von neun Projekten, die zum Teil eine Historie von mehreren Jahrzehnten und ein Gesamtvolumen von mehr als 50 Milliarden Euro haben.

Der Bund macht schlechte Verträge

Es geht um sieben Rüstungsprojekte und zwei Rüstungsvorhaben, um so verschiedene Objekte wie den Schützenpanzer Puma und eine "Streitkräftegemeinsame Funkausstattung" - entsprechend schwierig ist es, daraus allgemeine Empfehlungen abzuleiten. Unter der Überschrift "Leitbild für eine optimierte Rüstungsbeschaffung" versucht das Konsortium es dennoch - etwa was die Gestaltung von Verträgen angeht, einen der heikelsten Punkte im gesamten Rüstungswesen.

Derzeit, so urteilen die Analysten in der Zusammenfassung, gelinge es dem Bund nicht, "seine Kosten-, Termin- und Leistungsziele" gegenüber der Industrie durchzusetzen. Bereits bei Abschluss der Verträge seien diese "nicht ausreichend verankert". Das liege daran, dass man selbst bei hochkomplexen Projekten auf Musterverträge zurückgreife und auf die Begleitung durch "erfahrene Juristen" verzichte - was zu "unpräzise formulierten Gewährleistungs- und Haftungsklauseln" führe. Bei internationalen Projekten potenziere sich das noch.

Als Lösung schlagen die Verfasser vor, "hochspezifische Gesamtverträge aus einem Guss" zu entwickeln und auszuhandeln. Zudem solle es "Anreizmechanismen" für die Industrie geben: Deren Gewinnspanne solle davon abhängen, ob die definierten Ziele erreicht würden, positiv wie negativ. Der Bund müsse sich "am Niveau privatwirtschaftlicher Vertragsgestaltung orientieren" und juristisch mit der Industrie auf Augenhöhe agieren.

140 Probleme und Risiken

Das Beschaffungswesen der Bundeswehr stellt sich Außenstehenden als ein verschlungenes Dickicht an Kompetenzen, Behörden und Standorten dar. So waren die Analysten nicht nur zu Besuch in Koblenz beim BAAINBw, sondern auch im Planungsamt der Bundeswehr in Berlin-Köpenick, im Amt für Heeresentwicklung in Köln und in der Wehrtechnischen Dienststelle 41 in Trier. Das klingt nicht nur verwirrend, sondern bedeutet auch erhebliche Reibungsverluste - oder, wie es die Analysten ausdrücken: Die Projekte würden nicht in den "bestgeeigneten Organisationsformen und Strukturen abgewickelt". Ihre Empfehlung? "Co-Location" - also die "räumliche Zusammenlegung von interagierenden Funktionen oder Gruppen".

Es sind keine Politiker, die das aufschreiben, sondern Analysten und Berater - die ihre Empfehlungen nicht selbst umsetzen müssen. Allein die räumliche Neuordnung der Behörden brächte wohl einen solchen Aufwand mit sich, dass Ursula von der Leyen sich die Sache zweimal überlegen dürfte. Überhaupt wird nun die Frage sein, welche der Empfehlungen sie aufgreift. In ihrer Zusammenfassung stellen die Verfasser der Ministerin einiges an Arbeit in Aussicht: "Die Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen", heißt es dort, "bedeutet ein ambitioniertes Arbeitsprogramm, das mindestens für die kommenden zwei Jahre erhebliche Kräfte binden wird."

Wichtige Stellen bleiben zu lange unbesetzt

Vergleichsweise leicht zu beheben klingen da noch die Mängel in den Projektteams selbst: Die seien ihren Aufgaben auch deshalb regelmäßig nicht gewachsen, weil vakante Dienstposten bis hinauf zum Projektleiter häufig lange nicht besetzt würden. "Mangelnde Anreizsysteme, starre Dienstpostenstrukturen und feste Verfahrensregeln erschweren das Personalmanagement weiter", heißt es dann. All dies sei zu ändern. Zudem müsse es ein systematisches Risikomanagement geben.

Für Ursula von der Leyen bricht nun die Zeit des Handelns an. Was vor ihr liegt, skizzieren die Analysten am Ende ihrer Zusammenfassung: Im deutlich umfangreicheren Gesamtgutachten seien etwa 140 Probleme und Risiken identifiziert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: