ARD-Dokumentation "Tod vor Lampedusa":Europas Schande

Lampedusa

Im Oktober 2013 stehen die Särge der Flüchtlinge, die bei Lampedusa ums Leben kamen, in einem Hangar des Insel-Flughafens.

(Foto: AFP)

Und im Wasser treiben Planken, an denen sich niemand mehr festhält: Die Doku "Tod vor Lampedusa" im Ersten sieht keiner nebenbei - ein Segen. Akribisch haben die Macher des Films die Katastrophe recherchiert.

Von Renate Meinhof

Wenn man mit Patrick Lindhof spricht, der diesen Film geschnitten hat, dann ist es, als würde sich noch eine neue Tür auftun, eine bis dahin verborgene, dabei haben doch diese 45 Minuten ohnehin schon alle Sinne geöffnet.

Denn Lindhof, der Cutter, erzählt von dem Rohmaterial dieser Dokumentation. 120 Stunden hatte er vor sich, aufgenommen mit verschiedensten Kameras, mit Handys von Flüchtlingen, von libyschen Polizisten. Weit mehr also als das, was die beiden Autorinnen Ellen Trapp und Natalie Amiri selber gedreht hatten.

Er arbeitete sich durch die verwackelten Bilder von weinenden Menschen, von verprügelten Männern, vergewaltigten Frauen, von Planken, die im Meer treiben, und niemand hält sich mehr daran fest.

Patrick Lindhof sagt: "Und die Leute snacken das dann so weg."

Nein, diesen Film kann man nicht wegsnacken. Tod vor Lampedusa, heißt er, und im Untertitel "Europas Sündenfall". Er beantwortet die Frage, warum Menschen ihre Heimat verlassen, um nach Europa zu fliehen. Es ist die berührende Geschichte von Dawit, einem jungen Mann aus Eritrea. Er ist einer der wenigen Menschen, die überlebt haben, als in der Nacht auf den 4. Oktober 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa ein überfülltes Flüchtlingsboot in Brand geriet und kenterte. Fast 400 Menschen ertranken. Die italienische Küstenwache kam viel zu spät. Man hat das Bild noch im Kopf, als später der Papst das Wort "Schande" in den Mund nahm angesichts der Tragödie auf dem Meer.

Dawit konnte gerettet werden. Er spricht Wörter, Sätze. Die dazu gehörenden Bilder verfolgen ihn in den Schlaf. Die Frau, die Lydia hieß. Schwanger war sie, im achten Monat. Als sie ertrank, sagt Dawit, wurde ihr Kind geboren.

Dawit lebt heute in Wiesbaden. Die Autorinnen des Films haben seinen Weg so genau wie möglich nachgezeichnet. Seine Flucht von Eritrea über den Sudan, 3000 Kilometer durch die Wüste ans Mittelmeer. Zwei Jahre hat er dafür gebraucht. Er sagt: "Nur am Anfang hast du Angst, aber du wirst kalt, du verbitterst, wenn du schlimme Dinge erlebst."

Für ein menschenwürdiges Leben

Alle Flüchtlinge erleben Schlimmes. Sie machen sich auf den Weg, weil in ihrer Heimat kein menschenwürdiges Leben möglich ist. Es ist nicht der Hunger, der Menschen wie Dawit treibt, es ist die Angst, wegen eines kritischen Worts von der Geheimpolizei abgeholt oder zwangsrekrutiert zu werden, für Jahre zu verschwinden.

So sind die Filmaufnahmen denn auch unter schwierigen Bedingungen zustande gekommen. Drehgenehmigungen gibt es nicht in Eritrea, oft nicht einmal ein Visum. Wer dort als Journalist arbeitet, riskiert etwas. Gut, dass Ellen Trapp und Natalie Amiri vom SWR es gewagt haben, denn sie öffnen dem Zuschauer die Augen: für die beschämenden Diskussionen um Wohnmöglichkeiten für Flüchtlinge, hier im Land, um ihre Sicherheit. Sie öffnen die Augen für den Einzelnen und seine Geschichte, für seine Zerbrechlichkeit.

Das Wort "Flüchtlingskontingent" kommt einem nach diesen 45 Minuten nahezu monströs vor.

Tod vor Lampedusa, ARD, 22.45 Uhr.

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