Mads Mikkelsen über Rache:"Wer zu weit geht, verändert sich für immer"

Mads Mikkelsen als Jon in "The Salvation". Im Vordergrund: Madelaine (Eva Green, links) und Bösewicht Delarue (Jeffrey Dean Morgan).

Noch weiß er nicht, dass er zum Helden taugt: Mads Mikkelsen als Jon (Mitte) muss in "The Salvation" erst einmal prekäre Momente überstehen. Im Vordergrund: Madelaine (Eva Green, links) und Jeffrey Dean Morgan als klassischer Bösewicht Delarue.

(Foto: dpa)

Er hätte längst nach Hollywood gehen können, doch Mads Mikkelsen blieb dem europäischen Film treu. Nun spielt er den Helden in einem dänischen Western - genauso verschwitzt, blutend und gerissen wie Gary Cooper oder John Wayne. Ein Gespräch über Sergio Leone, den wilden Westen und das Dogma-95-Manifest.

Von Paul Katzenberger

Mads Mikkelsen, 48, gehört zu den bekanntesten Charakterdarstellern des dänischen Kinos. Seinen internationalen Durchbruch feierte er 2006 als Gegenspieler des damals neuen James-Bond-Darstellers Daniel Craig in "Casino Royale", was ihn aber nicht dazu bewog, weitere Hollywood-Offerten anzunehmen. Stattdessen konzentrierte er sich nach wie vor auf den dänischen Film.

In dem Western "The Salvation", mit dem Mikkelsen jetzt ins Kino kommt, führte sein Landsmann Kristian Levring Regie. Levring gehört wie Thomas Vinterberg und Lars von Trier zu den Unterzeichnern des Dogma-95-Manifestes, das eine Art Keuschheitsgelübde darstellte, um Filme durch den Verzicht auf technische Möglichkeiten wahrhaftiger zu machen. Inzwischen haben sich die Urheber vom Manifest teilweise distanziert, was "The Salvation" allein dadurch anzumerken ist, dass der Film am Computer stark nachbearbeitet wurde.

SZ.de: "The Salvation" ist in vielerlei Hinsicht ein klassischer Western, in dem Sie den Helden spielen. Haben Sie sich bei der Vorbereitung einen der alten Westernhelden zum Vorbild genommen, also etwa Gary Cooper, John Wayne oder James Stewart?

Mads Mikkelsen: Nein, denn obwohl "The Salvation" ein klassischer Western ist, wird er von der modernen Filmsprache beeinflusst.

In welcher Hinsicht?

Vor allem, weil meiner Figur Jon am Anfang gar nicht klar ist, dass sie zum Helden bestimmt ist. Das ist zunächst ein ganz durchschnittlicher Mann. Erst die Umstände machen ihn zum Helden, was er niemals kommen sah. In den alten klassischen Western gibt es dagegen oft von Beginn an den unbezwingbaren Teufelskerl. Das ist hier nicht der Fall.

Aber dieser Rachefeldzug, auf den sich Jon begibt, der ist doch ein ganz typisches Motiv des klassischen Westerns.

Absolut. Allerdings geht es nicht nur im Western um Rache, sie wird auch in vielen anderen Genres thematisiert, zum Beispiel in allen Kung-Fu-Filmen. Was wir in "The Salvation" darüber hinaus aber anschneiden, sind Moralfragen, wie wir sie uns heute im Gegensatz zu den Fünfziger- oder Sechzigerjahren stellen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Jon zieht das konsequent durch. Doch wer zu weit geht, verändert sich für immer. Was Jon erlebt, macht einen komplett anderen Menschen aus ihm. Wir stellen also die Frage, wie weit du mit deiner Vendetta gehen kannst, ohne deinen Lebensweg unumkehrbar neu auszurichten. Und das ist etwas, was in den Western der Vierziger- und Fünfzigerjahre eher ausgeblendet wurde. Da gab es oft klare Lösungen.

Auch an anderen Punkten weicht "The Salvation" vom klassischen Western ab, etwa dadurch, dass ein dänischer Einwanderer all die amerikanischen Bösewichte, die im Film auftauchen, in ihrem eigenen Land zum Teufel schickt. So etwas hat man noch nicht so oft gesehen.

In bestimmter Hinsicht erzählt der Film eine dänische Geschichte, denn er handelt von zwei dänischen Brüdern, die nach Amerika ausgewandert sind. Doch die Leute, die sie treffen, sind Polen, Franzosen, Schweden und Mexikaner, also Immigranten der ersten Generation, die Amerika damals hauptsächlich ausmachten. So gesehen beschreibt unser Film die Realität möglicherweise zutreffender als ein klassischer Western.

Peter (Mikael Persbrandt, links) und Jon (Mads Mikkelsen) in "The Salvation".

Zwei dänische Brüder im Wilden Westen: Peter (Mikael Persbrandt, links) und Jon (Mads Mikkelsen) halten in der Fremde zusammen.

(Foto: Concorde Film)

Warum? Weil im klassischen Western so getan wird, also ob sich die Einwanderer im 18. und 19. Jahrhundert schon so vermischt hätten, wie es heute der Fall ist?

Richtig. In vielen Western werden uns reine Amerikaner vorgeführt. Doch die hätte man damals so nie angetroffen. Die Menschen waren damals vielmehr mit allen möglichen Sprachen und Dialekten konfrontiert.

Die Helden wurde damals allerdings schon so gezeichnet, wie Sie Jon in "The Salvation" nun auch darstellen: Verschwitzt, blutig verwundet, leidend, aber gerissen. Gab es etwas, was Sie aus Ihrer Sicht der Figur mitgeben wollten?

Natürlich hat die Figur etwas von mir bekommen, nämlich mich. Ich habe ihr meine Persönlichkeit - und ich denke - auch meine Menschlichkeit gegeben. Wir haben versucht, ihn mehr als einen Menschen aus Fleisch und Blut zu beschreiben und weniger als Helden.

"Durch Gesichter kann vieles ausgedrückt werden, ohne dass etwas geschieht"

Deswegen zeigen Sie ihn wohl erst in seiner ganzen Ohnmacht. Emotionen werden in "The Salvation" aber auch viel durch die Mimik der Schauspieler ausgedrückt und weniger durch Dialoge. Spielen Sie gerne einen zugeknöpften Protagonisten?

Bei bestimmten Filmen bin ich ein großer Fan weniger Worte. In anderen Filmen rede ich gerne nonstop. Es gehört zum Western-Genre, dass da wenig gesprochen wird. Aber ich habe auch einen Dr. Hannibal Lecter gespielt, der als Psychiater eigentlich seinen Patienten zuhören sollte. Der macht das allerdings nie, er liebt es, den Mund aufzumachen, er redet die ganze Zeit.

Also auch in der Hinsicht ist "The Salvation" ein klassischer Western. Warum kommt dieses Genre Ihrer Meinung besonders gut mit wenigen Dialogen zurecht?

Wir haben eine wichtige Darstellerin im Film, und die heißt Natur. Western zeigen den Menschen oft als kleine Kreatur in einer großen Welt: Ein Mann, der sich allein durch die Wüste kämpft oder wie er allein auf den Horizont zureitet. Darsteller mit ausdrucksstarken Gesichtern bilden in Western-Filmen häufig ein Gegengewicht zu dieser optischen Gewaltigkeit. Denken Sie beispielsweise nur an die Filme von Sergio Leone, der grandiose Gesichter zu einem Markenzeichen seiner Filme machte. Dadurch kann so vieles ausgedrückt werden, ohne dass etwas geschieht.

Aber der Michael Kohlhaas, den Sie vergangenes Jahr in Arnaud des Pallières' Adaption von Heinrich von Kleists Novelle dargestellt haben, ist keine Western-Figur und ist ebenfalls ein recht stiller Typ. Sind Rächer zum Schweigen verdammt?

Michael Kohlhaas ist eine ganz andere Figur als Jon, denn sein Gerechtigkeitsgefühl reicht deutlich weiter. Für ihn gibt es kein Zurück. Er ist bereit, alles zu opfern: seine Frau und sogar sein eigenes Leben. Jon ist nicht so extrem in seiner Einstellung, doch Sie haben recht, eines haben sie gemeinsam: Sie reden nicht viel, weil es nicht viele Leute gibt, mit denen sie reden könnten. Sie sind oft allein.

Dabei müsste Michael Kohlhaas als Anführer eines Heerhaufens doch Menschen um sich scharen, um sie von seiner Mission zu überzeugen; auch durch die Rede.

Es war damals wahrscheinlich gar nicht notwendig, irgend jemanden breitschlagen zu müssen. Wir sprechen vom 16. Jahrhundert, damals gab es eine Klassengesellschaft von unvorstellbaren Ausmaßen: Die Menschen hungerten und hatten kein Geld, während der Adel auf allen Besitztümern saß. In einer solchen Situation ist es nicht schwer, Menschen zu mobilisieren. Doch die soziale Not war gar nicht das Anliegen von Michael Kohlhaas.

Sondern?

Michael Kohlhaas war ein Egomane, der seinen Gerechtigkeitsanspruch über alles stellte und dem die Menschen total egal waren. Es war nicht sein Anliegen, Vorkämpfer für die Armen zu sein.

Es fällt auf, dass Sie zuletzt häufig mit Regisseuren zusammengearbeitet haben, die zu den Unterzeichnern des Dogma-95-Manifestes gehören. Liegt das daran, dass Sie Däne sind, oder gibt es dafür andere Gründe?

Ich denke, das ist Zufall. Es war einfach eine starke Generation von Regisseuren, die immer noch da sind. Sie haben immer noch Visionen und fangen neue Projekte an. Da lässt es sich kaum vermeiden, dass man sich ab und zu über den Weg läuft und ich gefragt werde, ob ich nicht beim ein oder anderen Film mitmachen will.

Entdecken Sie Gemeinsamkeiten bei Dogma-Regisseuren, in der Art und Weise, wie sie heute arbeiten?

Nicht wirklich. Denn das waren sehr unterschiedliche Filmemacher, die zunächst nur den Gedanken teilten, auf spezielle Art und Weise an Dinge heranzugehen, also zum Beispiel den Schauspielern und der Geschichte viel Raum zu lassen. Andererseits gibt es vielleicht doch noch den ein oder anderen Berührungspunkt: "The Salvation" hätte zum Beispiel niemals als Dogma-Film realisiert werden können, bei all der Technik, die zum Einsatz kam. Doch Kristian geht immer noch sehr kollegial mit Schauspielern um.

"The Salvation" ist vornehmlich mit Schauspielern aus den USA, Großbritannien und anderen europäischen Ländern wie Dänemark und Frankreich besetzt. Wie empfanden Sie es als Däne, gemeinsam mit Angelsachsen im amerikanischsten aller Genres aufzutreten?

Inzwischen habe ich in allen möglichen Ländern gearbeitet. Ich bin mit solchen Situationen daher vertraut. Englische Schauspieler sind außerdem häufig sehr gut darin, mit amerikanischem Akzent zu sprechen, manche von denen machen das schon 40 oder 50 Jahre. Außerdem haben wir ja gerade bei diesem Film viele Leute gebeten, ihren Akzent beizubehalten. In dieser Zeit hörten Sie in den USA ein einziges Kauderwelsch an Akzenten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: