Friedensnobelpreis für Kailash Satyarthi:"Ein Held unserer Zeit"

Indian children's right activist Satyarthi gestures as he speaks with the media at his office in New Delhi

Friedensnobelpreis 2014: Der Inder Kailash Satyarthi in seinem Büro in Neu-Delhi nach Bekanntgabe der Entscheidung des Nobelpreiskomitees.

(Foto: REUTERS)

Tausende Kinder hat Kailash Satyarthi gerettet, doch einige seiner Mitstreiter ließen dabei ihr Leben: Der Hindu kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Heranwachsenden. Den Friedensnobelpreis, den er sich mit Malala Yousafzai teilt, widmet der Inder den noch immer versklavten Kindern.

Porträt von Jakob Schulz

Auszeichnung für Kinderrechtsaktivisten

Fünf Uhr an einem Januarmorgen in Indien. Kailash Satyarthi fährt in einem Kleinbus durch eine neblige Region des Landes. Seine Helfer und er sind unterwegs, um Kinder aus einem Steinbruch zu befreien, in dem sie für kriminelle Unternehmer schuften müssen. Diese Mission sei besonders gefährlich, erzählt Satyarthi: "Hier haben wir einen unserer Freunde verloren. Er wurde erschossen, als wir in dem Steinbruch Menschen retten wollten."

Regelmäßig riskiert Satyarthi sein Leben. Seit vielen Jahren setzt sich der 60-jährige Inder für Kinder- und Menschenrechte in seiner Heimat ein. Sein Traum ist, dass kein Kind jemals wieder versklavt wird. Satyarthi sei ein "Veränderer, ein Held unserer Zeit" - das sagt der US-Schauspieler Robert Redford, der den Inder in einer Sendung für den Sender PBS porträtierte.

Für sein unermüdliches Engagement wird Satyarthi nun gemeinsam mit der erst 17 Jahre alten pakistanischen Aktivistin Malala Yousafzai mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Beide Preisträger, eine Muslima und ein Hindu, erhalten die Auszeichnung "für ihren Kampf gegen die Unterdrückung von Kindern und jungen Menschen und für das Recht aller Kinder auf Bildung".

Millionen versklavte Kinder weltweit

Der Kampf des Inders gegen Unterdrückung und Ausbeutung, für Bildung und Chancengleichheit ist auch noch in diesem Jahrhundert bitter nötig. Laut Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) werden heute weltweit 168 Millionen Kinder zur Arbeit gezwungen. Allein in Satyarthis Heimat Indien schuften offiziellen Zensusdaten zufolge 12,6 Millionen Kinder - sie müssen Müll sammeln, Steine schlagen, Obst an Marktständen verkaufen oder Tee servieren.

1980 gab Satyarthi einen, wie er selbst sagt, "lukrativen Job als Elektrotechniker" auf, um sich dem Kampf für Kinderrechte zu widmen. Mit der Organisation Bachpan Bachao Andolan (BBA), zu Deutsch etwa "Rettet-die-Kinder-Bewegung", hat er eigenen Angaben zufolge fast 80 000 Menschen aus der Leibeigenschaft befreit.

Die gefährliche Arbeit der indischen Aktivisten

Tausende Male stürmte Satyarthi mit den Mitarbeitern seiner Organisation Häuser, Fabriken oder Steinbrüche, um Kinder zu befreien. "Wir planen geheime Operationen. Geschwindigkeit und Vertraulichkeit sind essentiell, wenn wir versklavte Kinder befreien wollen", sagt der 60-Jährige in dem TV-Porträt.

Denn wenn die "Besitzer" der Sklaven von den Befreiungsplänen Wind bekommen, stellen sie sich den Aktivisten oft genug in den Weg. Satyarthi wurde nach eigenen Angaben mehrfach wegen seiner Arbeit brutal körperlich angegriffen. Das Nobelkomitee würdigte denn auch den "persönlichen Mut" des Aktivisten, der mit seinen Protesten in der Tradition Mahatma Gandhis stehe.

Kampf für Kontrollsiegel

Der Inder trug auch maßgeblich dazu bei, den Westen für das Thema Kinderarbeit zu sensibilisieren, und dass heute mehr Konsumenten auf die Herkunft von Produkten achten. Anfang der 1990er Jahre stieß er eine Kampagne in der indischen Teppichindustrie an und bewirkte gemeinsam mit der deutschen Organisation Brot für die Welt, dass das erste global vergebene Zertifizierungslabel "Rugmark" eingeführt wurde. Dabei handelt es sich Brot für die Welt zufolge um ein Siegel, das Teppichherstellern bestätigt, dass sie auf Kinderarbeit verzichten - heute heißt es Goodweave. Mittlerweile gibt es mehrere Kontrollsiegel, die sicherstellen, dass Waren nur von Erwachsenen hergestellt werden.

Im Jahr 1998 organisierte Satyarthi einen 80 000 Kilometer langen Sternmarsch durch Asien, Afrika, Amerika, Australien und Europa, um die Welt wachzurütteln. Unter dem Banner "Global March Against Child Labor" brachte Satyarthi eine weltweite Koalition aus Gewerkschaften, Lehrer-Verbänden und Nichtregierungsorganisationen zusammen. "Wir wollen bis zur Jahrtausendwende die Welt frei von Kinderarbeit machen", sagte er damals.

Dieses Ziel hat Satyarthi nicht erreicht. Seinem Einsatz ist es aber zu verdanken, dass die ILO im Jahr 1999 in ihrer Konvention 182 festgelegt hat, dass "unverzügliche und wirksame Maßnahmen zu treffen sind, um sicherzustellen, dass die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vordringlich verboten und beseitigt werden".

Aktivist schon mehrfach ausgezeichnet

Für sein Engagement erhielt der Mann aus Delhi bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1994 den Aachener Friedenspreis und 1999 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Den Friedensnobelpreis widmete Satyarthi in einer ersten Reaktion nach der Bekanntgabe den Kinderarbeitern, für deren Rechte er seit Jahrzehnten kämpft. "Mit diesem Preis finden die Stimmen von Millionen von Kindern Gehör - Stimmen, die bislang nicht gehört wurden", sagte er dem indischen Nachrichtensender NDTV.

In der PBS-Reportage von Robert Redford über Satyarthi nimmt die Befreiungsaktion ein gutes Ende. 52 Menschen finden schließlich auf dem Lastwagen Platz, mit dem der Aktivist und seine Mitarbeiter den Steinbruch an jenem Januarmorgen verlassen. Die Geretteten werden in ein Dorf gefahren, dass Satyarthi extra für ehemalige Leibeigene errichten ließ. "Wir hatten erwartet, 20 oder 30 Menschen zu retten", sagt er bei seiner Ankunft in dem Dorf. "Das ist ein kleiner Sieg im Kampf gegen die Sklaverei."

Mit Material von dpa, AFP und Reuters

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