Zum Tod von Udo Reiter:Aufbruch Ost

Udo Reiter

Udo Reiter, im Bild bei Günther Jauch, wich als MDR-Intendant keinem Konflikt aus.

(Foto: dpa)

Mit 23 saß er im Rollstuhl, beim Bayerischen Rundfunk machte er Karriere, aber richtig wohl fühlte er sich erst beim MDR. Udo Reiter hat ein schönes, schwieriges, wildes Leben geführt. Jetzt ist er gestorben.

Ein Nachruf von Hans Leyendecker

Udo Reiter liebte die Lyrik von Benn, Trakl, van Hoddis und Rilke, und er hatte ein Faible für gute Anfänge. Seine 2013 erschienene Autobiografie "Gestatten, dass ich sitzen bleibe" begann mit dem Satz: "Am Nikolausabend 1966 habe ich mir das Kreuz gebrochen". Da las man doch weiter.

Auf 248 Seiten erfuhr man eine ganze Menge über den Mann, der ein schönes, schwieriges, wildes Leben geführt hat. Die meiste Zeit im Rollstuhl. Er war 1966 mit seinem VW-Käfer auf glatter Straße verunglückt und fortan gelähmt. Er kam in ein Gerät, das damals noch etwas sperrig "Krankenhausfahrstuhl" hieß und heute Rollstuhl heißt. Nicht nur das Wort war furchtbar. Reiter schrieb Abschiedsbriefe und beschloss, sich mit einem eigens zu diesem Zweck besorgten Revolver umzubringen. Nur die Doktorarbeit wollte er noch abgeben. "Dr. Reiter" sollte auf seinem Grabstein stehen.

Wenn er die Geschichte erzählte, konnte er lachen, wie er überhaupt schön lachen konnte. Er hat sich also damals doch nicht erschossen, stattdessen beim Bayerischen Rundfunk (BR) Karriere gemacht. Hörfunkdirektor ist er geworden, eine Programmstrukturreform hat er eingeführt, die heute längst wieder vergessen ist. Wenn die Leute ihn auf seine Zeit beim BR ansprachen, ging es meist darum, dass er Thomas Gottschalk entdeckt und den jungen Günther Jauch, dessen Stammhaus der BR war, gefeuert hatte. Es hatte Zoff um das Musikjournal von Bayern 3 gegeben.

Gründungsintendant der Drei-Länder-Anstalt

Reiter stand zwar im Ruf, sehr emotional reagieren zu können. Dennoch oder vielleicht auch deshalb wurde er 1991 vom MDR-Rundfunkrat einstimmig zum Gründungsintendanten der Anstalt für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewählt.

Reiter fühlte sich wohl. Da war was los. Nicht so langweilig wie in München. "Gesindel" und "gute Leute" versuchten sich als Aufbauhelfer. Er wich keinem Konflikt aus und war der erste ARD-Vorsitzende, der von den anderen Großen der ARD niederkartätscht wurde. Sein 1997 gemachter Vorschlag, eine "Körperschaft ARD-Berlin" mit wenigen ARD-Anstalten zu gründen, löste Tumulte in anderen Häusern aus. Warum eigentlich?

Das Programm des MDR war so, wie der MDR ist. Heimatnah. Generationen von Medienkritikern haben sich darüber erregt, wie provinziell es da zuging, aber die Zuschauer und Zuhörer haben zugeschaut und zugehört. Am Freitagabend sollte zum 20. Mal die "Goldene Henne" verliehen werden, der Medienpreis von MDR, RBB und Super Illu, moderiert von Kai Pflaume.

Den Ausstieg mit 65 Jahren hat Reiter verpasst. Darüber hat er in seinem Buch viel gehadert. Das Wort Skandal wurde danach zum Synonym für den MDR, und man kam bei all den Schmiergeldaffären, Betrugsskandalen und skandalösen Finanzgeschäften von MDR-Mitarbeitern kaum noch mit.

Blick auf das weite Feld

Viele der Vorwürfe fand Reiter überzogen, heuchlerisch, falsch. Na ja. Dass man nach seinem Weggang 2011 den Eindruck weckte, Reiter habe einen Saustall hinterlassen, war aber auch nicht anständig und nicht fair.

Nach dem Krebstod seiner ersten Frau hat er 2012 die Schriftstellerin Else Buschheuer geheiratet und lebte in einem Leipziger Ortsteil in einer einstigen Dorfschule mit Blick auf das weite Feld. Öffentlich engagierte er sich für aktive Sterbehilfe. Im Dezember 2013 schrieb er in der SZ ein leidenschaftliches Plädoyer ("Mein Tod gehört mir"), auf das Franz Müntefering auch in der SZ eine fulminante Replik schrieb.

Udo Reiter, 70, ist am Freitag in seinem Rollstuhl erschossen aufgefunden worden. Er hat sich vermutlich das Leben genommen.

Anmerkung der Redaktion

Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbsttötungen zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: