DFB-Niederlage gegen Polen:Instinktlos im Post-WM-Blues

Polen - Deutschland

Diesmal ohne Tor: Thomas Müller (links) und Mario Götze.

(Foto: dpa)

28 Torschüsse, null Tore, nur Platz vier in der Qualifikationsgruppe: Weltmeister Deutschland kassiert gegen Polen eine historische Niederlage und sucht nach Erklärungen. Dabei begann der Abend mit einer bemerkenswerten Geste.

Von Thomas Hummel, Warschau

Bis weit in die Nacht hinein hallten die Gesänge der Anhänger zwischen den herrlichen Bauten in der Krakowskie Przedmiescié. Auf der Straße zwischen den Bars weiter unten in der Nowy Swiat und der nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruierten Waschauer Altstadt wurde der Anlass angemessen gefeiert. Zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des polnischen Fußballs gewann die Nationalmannschaft gegen den Nachbarn aus Deutschland ein Spiel. Gegen den aktuellen Weltmeister zudem. Es war eine wahrhaft historische Nacht für Polen.

Schon der Abend hatte mit einer bemerkenswerten, fast geschichtsträchtigen Geste begonnen. Als um 20.40 Uhr im Nationalstadion zu Ehren des Gastes die deutsche Hymne erklang, gellten zuerst Pfiffe durch das Rund. Spontan begannen die nicht-pfeifenden Polen während des Liedes dagegen anzuklatschen. Als das Lied bei "blüh' im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland" angekommen war, klatschte fast das ganze Stadion und die Pfiffe verstummten. Es war eine Demonstration des Respekts und der Freundschaft zum Nachbarn. In einer Stadt, die vor 70 Jahren von Vertretern ebendieser Hymne dem Erdboden gleichgemacht worden war.

Danach fand ein Fußballspiel statt, das die Polen so schnell nicht vergessen werden. "Wir sind überglücklich, dass wir zum ersten Mal gegen Deutschland gewonnen haben. Wir haben Geschichte geschrieben", sagte der Dortmunder Lukasz Piszczek. Seine Mannschaft habe auf die Konterchancen gewartet, was sehr gut funktioniert habe.

Kurz nach der Pause: Flanke Piszczek, Kopfball Arkadiusz Milik, 1:0. Kurz vor dem Ende: Robert Lewandowski setzte sich mit einem sehr hohen Ellbogen gegen Erik Durm durch, passte auf Sebastian Mila, der zum 2:0 vollendete. Die Szenen der Freude glichen fast jenen von Rio de Janeiro Mitte Juli. Damals bejubelten die Deutschen den WM-Titel, diesmal freuten sich die Polen überschwänglich über ihren großen Sieg.

Später wollten die Deutschen allerdings nicht die Sicht von Lukasz Piszczek teilen. Eine historische Niederlage, klar. Aber was, bitteschön, habe bei den Polen gut funktioniert? "Bei denen ist eigentlich nicht viel aufgegangen, sonst hätten sie nicht so viele Chancen zugelassen", sagte Christoph Kramer.

Er und seine Mitspieler erkannten nur einen Grund für die erste Niederlage seit 18 Pflichtspielen: Sie hatten 28 Mal auf das Tor der Polen geschossen, doch der Ball ging null Mal rein. Angreifer Thomas Müller wirkte fast verzweifelt: "Wir wollten unbedingt das Tor, wir waren engagiert, sogar bei Standards hatten wir drei gute Möglichkeiten, trotz der großen Kerle der Polen. Wir haben gekämpft, haben uns reingearbeitet, haben uns auch im Strafraum gewehrt. Aber wir hatten nicht den nötigen Touch." Bundestrainer Joachim Löw sah es ähnlich: "Ich kann meiner Mannschaft nur einen einzigen Vorwurf machen: Dass wir kein Tor erzielt haben."

Podolski trifft nur die Latte

Tatsächlich hatten die Deutschen vor allem in den 20 Minuten vor der Halbzeit schnellen, pfiffigen Angriffsfußball gezeigt. Hinten gewannen Abwehrspieler früh den Ball, der starke Kramer leitete meist die Angriffe ein, vorne wirbelten die agilen Offensivspieler die Polen mächtig durcheinander. Vor allem Debütant Karim Bellarabi war für die Gastgeber nie zu greifen, er alleine hätte den Abend früh entscheiden können. Doch der 24-Jährige ließ seine insgesamt sechs Chancen ungenutzt.

Selbst nach der Führung der Gastgeber, als das Stadion zu brodeln begann und die Spieler in Weiß noch verbissener und engagierter das eigene Tor verteidigten, spielten sich die Deutschen häufig genug durch, um das Spiel noch zu drehen. Doch entweder verließen sie beim Torschuss die Kräfte, Torwart Wojciech Szczęsny vom FC Arsenal brachte seine Hände dazwischen - oder Lukas Podolski knallte den Ball an die Latte. Ausgerechnet der in Polen geborene Podolski hatte nach 81 Minuten die größte deutsche Chance. "Wir haben ein gutes Spiel gemacht. Ich mach das nicht immer nur vom Ergebnis abhängig", erklärte Toni Kroos stellvertretend.

Aufkommende Unsicherheit, der Weltmeister könnte nach dem großen Triumph und den Rücktritten erfahrener Spieler zu viel Qualität verloren haben, wiesen alle Beteiligten zurück. Selbst die lange Verletztenliste mit Schweinsteiger, Khedira, Özil, Reus, Gomez etcetera wollte niemand gelten lassen. "Wenn wir ein Tor machen, sieht das ganz anders aus. Dann hätte jeder gesagt, dass wir eine klasse Leistung gezeigt haben", sagte Manuel Neuer.

2:4 gegen Argentinien, 2:1 gegen Schottland, 0:2 gegen Polen - die Ergebnisse sind nach den Erfolgen der vergangenen Jahre gewöhnungsbedürftig. Platz vier in der aktuellen Tabelle der Qualifikationsgruppe D zur Europameisterschaft auch. Am Dienstag in Gelsenkirchen steht die Mannschaft gegen Irland (20.45 Uhr, Liveticker auf SZ.de) schon unter Druck. Bundestrainer Löw nahm das alles aber mit der Selbstsicherheit eines Weltmeister-Trainers auf: "Ich sehe es nicht allzu dramatisch", sagte er, "ich bin mir sicher, das werden wir wieder ausgleichen."

Dass seiner Mannschaft im Angriff Spieler mit dem sicheren Instinkt für den Torabschluss fehlen, weiß er ohnehin schon länger. Auch bei der WM gab es Partien, da benötigten die Deutschen Standardsituationen, um die eigene Überlegenheit für ein Tor zu nutzen. In Polen kulminierte das Problem nun und führte zu einer Niederlage, weil der Gegner seine beiden Chancen sicher nutzte.

Oder ist es doch der Post-WM-Blues, der das DFB-Team erfasst hat? Der sie vor dem Tor eher zu einem künstlerisch wertvollen Schlenzer statt zum energischen Abschluss animiert? Joachim Löw ließ das keinesfalls gelten. Er stellte kurz und prägnant fest: "Das Leben ist schöner als vor der WM."

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