Geplante Auszeit für Angehörige:Das ist nicht die Hilfe, die gebraucht wird

Geplante Auszeit für Angehörige: Wer sich intensiv um einen Kranken kümmert, vernachlässigt oft sich selbst.

Wer sich intensiv um einen Kranken kümmert, vernachlässigt oft sich selbst.

(Foto: Imago Stock&People)

Familienministerin Schwesig will Angehörigen helfen, die einen Verwandten pflegen. Ihnen soll garantiert werden, in ihren Job zurückkehren zu können. Doch das reicht nicht. Die Familie ist immer noch der Pflegedienst der Nation.

Kommentar von Nina von Hardenberg

"Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden", so lehrt es das vierte Gebot. Es ist ein pragmatischer Versorgungsauftrag, der da im Alten Testament steht: Die Kinder sollen sich um ihre Eltern kümmern, wenn diese alt und gebrechlich sind. Bis heute ist die Familie der wichtigste Pflegedienst der Nation. Doch das ändert sich gerade, ein uralter Generationenvertrag bröckelt.

Zwar wird noch immer fast jeder zweite bedürftige alte Mensch von seinen Verwandten gepflegt; aber eben schon nicht mehr 54 Prozent, wie noch vor zwölf Jahren. Die Frauen (denn es sind vor allem Frauen) ziehen sich nach und nach aus der Pflege zurück. Gemessen am Alten Testament ist die moderne Frau eine Rabentochter.

Familienministerin Manuela Schwesig hat nun ein Gesetz vorgestellt, das die Pflege in der Familie regeln soll. Die Ministerin will Angehörigen helfen, die einen Verwandten pflegen und dafür ihre Arbeit aufgeben oder auf Teilzeit gehen. Zwei Jahre lang sollen sie das Recht haben, im früheren Umfang in ihren Job zurückzukehren. Für kurzfristige Noteinsätze bei Oma oder Onkel verspricht sie sogar eine zehntägige Auszeit, die im Unterschied zur bisherigen Regelung bezahlt wird. Das ist lobenswert. Angehörige aber brauchen viel mehr als das. Sie brauchen eine ganz andere Form der Entlastung.

Wer sich intensiv um einen Kranken kümmert, vernachlässigt oft sich selbst

Es ist ja nicht Lieblosigkeit, weshalb Kinder weniger als früher für ihre Eltern da sind. Vielmehr zerreißen sich gerade Frauen schon heute zwischen vielen Rollen und Aufgaben. Sie wollen Karriere machen, kriegen nebenher und oft spät ihre Kinder und sollen dann, sobald der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus ist, die Eltern bemuttern. Für viele ist das eine Überforderung, zumal Eltern und erwachsene Kinder eben häufig nicht mehr am selben Ort leben. Die Alten können nicht im Verbund der Familie betreut werden, sondern die Sache hängt häufig an einem Kind. Es holt die greise Mutter zu sich und reibt sich auf, oder es pendelt zwischen zwei Städten und zwei Leben.

Solche Pflege macht mürbe. Wer sich intensiv um einen Kranken kümmert, vernachlässigt oft sich selbst. Pflegende Angehörige leiden deutlich häufiger als andere an chronischen Krankheiten wie Rückenschmerzen, sie erleben auch häufiger Burn-outs und Depressionen. Pflege kann auch arm machen. Jede Auszeit bedeutet Abschläge beim Verdienst und damit auch später bei der Rente, und vielleicht auch einen Karriereknick. Tut man Angehörigen also wirklich einen Gefallen, wenn man ihnen diese Pause vom Job mit einer trügerischen Garantie noch erleichtert? Zwei Jahre Rückkehrrecht, das hat wenig mit der Realität zu tun. Pflege kann schnell sieben oder acht Jahre dauern. Wichtiger als eine Jobgarantie wären Möglichkeiten, den Job weiterzumachen und trotzdem für die Eltern da zu sein.

Wer Ideen sucht, muss nur auf die Kinder schauen. Immer mehr Betriebe richten Kitas ein, um Frauen den schnellen Rückweg in den Job zu ermöglichen. Genauso wichtig wären betriebliche Einrichtungen der Tagespflege, wo man seine demente Mutter ein paar Stunden abgeben kann. Anstatt darüber zu fabulieren, dass Frauen und Frauenquoten angeblich eine Belastung für die Wirtschaft sind, sollte die Union die Wirtschaft lieber anhalten, nach solchen Lösungen zu suchen; einige Pioniere gibt es schon. Nicht die Frauen sind die Belastung. Sondern die Gesellschaft legt ihre Last auf den Frauen ab.

Es braucht klügere Antworten

Wie kann man für seine Eltern sorgen, ohne sie selbst zu versorgen? Wie für sie da sein, ohne sie selbst waschen und füttern zu müssen? Es braucht auf diese Fragen klügere Antworten, als die Alten einfach nur ins Heim zu schieben. Die wenigsten wollen da hin. Viele könnten mit ein wenig Unterstützung viel länger in ihren Wohnungen bleiben. Diese Unterstützung kann aber nicht nur Frauensache sein; und auch nicht nur Sache der Familie. Lieber sollte man darüber nachdenken, wer in der Gesellschaft eigentlich Kapazitäten dazu frei hat. Manche Städte setzen inzwischen auf jene Rentner, die Zeit haben und helfen wollen - sie machen sich das unerwartet große Interesse der Rentner an Stellen des neuen Bundesfreiwilligendienstes zunutze. Diese älteren Menschen könnten den alten helfen. Aber nicht nur sie.

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen, heißt ein Spruch aus Afrika. Ähnliches gilt für die alten Menschen. Es braucht ein ganzes Dorf, um sie zu versorgen. Und wo es kein Dorf gibt, da braucht es eine gute Nachbarschaft. Die Altenpflege muss künftig viel stärker im Quartier organisiert werden, in der Mitte der Gesellschaft. Mit Nachbarschaftshilfe, Tagesbetreuung und Essen auf Rädern. Und dann auch dem Besuch der guten Töchter und Söhne.

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