Tomaten:Renaissance für den Geschmack

Tomatenparadies am Neusiedlersee

Die aromatische und optische Vielfalt alter Tomatensorten ist enorm.

(Foto: dpa)

Optisch ist die Tomate wieder prima in Form. Jetzt wollen Forscher ihr endlich auch das Aroma zurückgeben. Die Anleitung dazu bergen die Tomatenpflanzen selbst.

Von Kathrin Zinkant

Leise surren die Maschinen. Sägeblätter rotieren, metallene Stempel bewegen sich im Takt. Man muss schon genau hinschauen, um zwischen den Geräten etwas Pflanzliches zu entdecken: Winzige Samen sind auf den Stempeln fixiert und wandern über ein Fließband. Von jedem einzelnen Körnchen hobeln die Sägeblätter winzige Späne. Der zarte Abrieb kommt ins Genlabor. Erst der Blick ins Erbgut entscheidet, welche Samen ausgesät werden. Die meisten enden auf dem Müll.

Willkommen in der Pflanzenzucht des 21. Jahrhunderts. Sie kommt fast ohne Gärten aus und wirkt auf Naturfreunde gewiss etwas befremdlich. Doch soll ihr bald eine sehnsüchtig erwartete Revolution gelingen. Nach Jahrzehnten der gustatorischen Trostlosigkeit will die Genetik der Tomate ihren Geschmack zurückgeben. Die Grundlage dafür hat ein chinesisch-internationales Forscherteam jetzt im Fachblatt Nature Genetics veröffentlicht: Die Wissenschaftler beschreiben und vergleichen darin die Genome von 360 verschiedenen Tomatenvariationen. Zwei Jahre, nachdem als erstes Tomaten-Erbgut jenes der Heinz-Ketchup-Tomate entziffert wurde, ist es die erste umfassende Analyse des Nachtschattengewächses. Und sie birgt die Informationen, die zur Rettung des Geschmacks nötig sind.

Das Vorspiel dieser Rettung kennen die Verbraucher sogar: Supermarkt-Tomaten gleichen in Form, Farbe und Konsistenz nicht mehr dem, was einst als holländische Wasserbombe geschmäht wurde. Selbst durchschnittliche Läden bieten heute von der Cherryrispe bis zum wulstig-mächtigen Cœur de Bœuf eine Auswahl, die an alte Gärten und Sorten erinnert. Dabei sind diese Tomaten Hightech-Produkte des sogenannten Smart Breeding. Sie entstammen einer Turbozucht, für die gewünschte Eigenschaften alter und neuer Sorten gezielt zusammengeführt wurden - mithilfe genetischer Techniken. Aber ohne grüne Gentechnik, bei der ja fremdes Erbgut eingeschleust wird. Der Name des Verfahrens kommt von SMART wie Selection with Markers and Advanced Reproductive Technologies. Oder smart wie "schlau".

Smarte Erbgutanalysen sollen die Zukunft der Tomatenzucht sein

Schlau genug jedenfalls, um das Äußere der Tomate zu richten. Doch obwohl die meisten der schönen neuen Sorten die Zunge nicht mehr triezen, schmecken sie oft nur süß - und Süße ist nicht Aroma. Das haben auch die Studien des Tomatenexperten Harry Klee gezeigt. Der Gartenbauforscher von der University of Florida hat die geschmackliche Restauration der Tomate zu seiner Lebensaufgabe erhoben und Dutzende echte Aromastoffe dieser Beerenfrucht identifiziert. In Verkostungsversuchen stellte Klee fest, dass auch ein lieblicher Geschmack mehr von Molekülen wie 2-Butylacetat und Geranial abhängt als von Zucker.

400 Aromastoffe

...stecken in der Tomate. Nur 28 von ihnen sind der Wissenschaft bekannt. Doch im kollektiven Erbmaterial der vielen Tausend Sorten von Solanum lycopersicum verbirgt sich noch immer das echte, vielfältige Aroma des globalen Gemüselieblings. Die Forschung weiß jetzt, wie sie danach suchen muss. Den Rest erledigt die moderne Züchtung.

Klee war es bisher allerdings nicht gelungen, die passenden Abschnitte im Genom zu finden und herauszuzüchten. Die Studie der Chinesen ist für ihn deshalb jetzt "das Fundament" der Tomatenzukunft. "Diese Arbeit wird sehr schnell zu Ergebnissen in der Züchtung führen", sagt der Forscher. Rein technisch ließen sich die Aromaträger wohl wirklich binnen weniger Jahre einkreuzen. Schon jetzt seien 85 Prozent aller Gemüsesorten der mittleren und großen Saatgutfirmen mithilfe smarter Erbgutanalysen entstanden - statt durch die alte langwierige Zucht, erklärt ein Sprecher des Branchenriesen Monsanto. Bis zu fünf Jahre gegenüber der klassischen Züchtung lassen sich sparen, bestätigt Peter Hefner vom Monsanto-Konkurrenten Syngenta.

Möglich wird Smart Breeding durch die sogenannte Marker Assisted Selection, kurz MAS. Die Züchter nutzen dabei genetische Informationen, ohne die einzelnen Erbanlagen genau zu kennen. Sie müssen nur wissen, dass mit gewünschten oder unliebsamen Eigenschaften der Tomate definierte Marker im Genom zusammenhängen. Sie stecken wie kleine Fähnchen in der Pflanzen-DNA und sagen: Achtung, hier ungefähr gibt es das, was dich interessiert. Im Smart Breeding lässt sich das alles schon an den Spänen der Samen ausmachen. Mithilfe der Marker lassen sich dabei auch Eigenschaften erkennen, die an der gewachsenen Pflanze äußerlich erst spät auszumachen sind - wie Krankheitsanfälligkeit oder klimatische Robustheit. "Das Marker Assisted Breeding ist eine Form von Diagnostik wie in der Medizin", sagt Maarten Koornneef vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. Der Niederländer sieht das Verfahren mehr als Hilfsmittel der konventionellen Züchtung denn als völlig neue Methode. Alles, was mithilfe der genetischen Marker erreicht werden könne, sei auch durch die klassischen Auswahlverfahren zu erreichen. Zumindest, wenn man ein paar Hundert Jahre Zeit hat.

Die Forscher blicken auf elf Millionen Stellen im Tomatengenom

Das Smart Breeding kann dank der aktuellen Veröffentlichung der Chinesen nun allerdings auf eine bislang unerreichte Zahl von elf Millionen Markern in den 360 Tomatensorten zurückgreifen. Die Analyse ist derart detailliert, dass die Forscher sogar die Züchtungsgeschichte auslesen und einzelne Gruppen von Sorten in dieser Historie identifizieren konnten: von der tatsächlich nur perlengroßen Urtomate, die etwa zwei Gramm wog, über die traditionelle Kulturpflanze im Kirschenformat - bis hin zu den Tomatenbrummern unserer Zeit.

In dieser genetischen Chronik verbergen sich auch jene Momente, in denen die Zutaten des guten Geschmacks aus der Tomate vertrieben wurden. Nach diesen Stellen will Harry Klee nun fahnden.

"Das ist noch eine Menge Arbeit", sagt Thomas Städler von der ETH Zürich. Der Experte für Pflanzenevolution hat an der aktuellen Studie mitgearbeitet. Die vielen beschriebenen Marker bieten Städler zufolge tatsächlich die Möglichkeit, Geschmack und Gene in eine Beziehung zu setzen, so, wie es bereits für die weniger aufwendig vererbten Eigenschaften - also Form, Farbe, Festigkeit - gelungen ist. Mehr Komplexität heißt aber auch: mehr Marker und zugehörige Eigenschaften. Tomatenexperte Klee ist trotzdem zuversichtlich: "Jetzt können wir das Geheimnis dieser komplexen Eigenschaft lüften - und das wundervolle Aroma der Tomate zurückholen".

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